spricht zwar an mehreren Stellen etwas großspurig von seiner "abstrakten Analyse des Prozesses der Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals", von "zwingender Logik" seiner Analyse, die ganze "Analyse" reduziert sich jedoch auf die Abschrift des Marxschen Schemas der erweiterten Reproduktion, nur mir anders gewählten Zahlen. In der ganzen Studie Tugans wird man keine Spur eines anderen Beweises finden. In dem Marxschen Schema verläuft nun tatsächlich die Akkumulation, die Produktion, die Realisierung, der Austausch, die Reproduktion glatt wie am Schnürchen. Und ferner kann man diese "Akkumulation" auch tatsächlich "ad infinitum" fortsetzen. Nämlich solange Papier und Tinte reichen. Und diese seine harmlose Übung mit arithmetischen Gleichungen auf dem Papier gibt Tugan-Baranowski in vollem Ernst für den Beweis aus, daß die Dinge sich ebenso in Wirklichkeit abspielen. "Die angeführten Schemata mußten zur Evidenz beweisen ..." Und an einer anderen Stelle widerlegt er Hobson, der von der Unmöglichkeit der Akkumulation überzeugt ist, folgendermaßen: "Das Schema Nr. 2 der Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals auf erweiterter Stufenleiter entspricht dem von Hobson betrachteten Falle der Akkumulation des Kapitals. Sehen wir aber in diesem Schema ein überschüssiges Produkt entstehen? In keiner Weise!"177 Also weil "im Schema" kein überschüssiges Produkt entsteht, so ist Hobson auch schon widerlegt und die Sache erledigt.
Freilich, Tugan-Baranowski weiß sehr wohl, daß in der rauhen Wirklichkeit die Dinge nicht so glatt verlaufen. Es gibt beständige Schwankungen beim Austausch und periodische Krisen. Aber die Krisen treten eben nur deshalb ein, weil keine Proportionalität bei der Produktionserweiterung beobachtet wird, d.h. weil man sich im voraus nicht an die Proportionen des "Schemas Nr. 2" hält. Wäre [man] nach dem verfahren, dann hätten wir keine Krisen, und alles ginge in der kapitalistischen Produktion so hübsch vonstatten wie auf dem Papier. Nun wird Tugan zugeben müssen, daß man - wo wir den Reproduktionsprozeß im ganzen als einen fortlaufenden Prozeß behandeln - von den Krisen füglich absehen darf. Die "Proportionalität" mag alle Augenblicke aus den Fugen gehen, im Durchschnitt der Konjunkturen durch lauter Abweichungen, durch Preisschwankungen täglich und durch Krisen periodisch wird ja die "Proportionalität" immer wieder eingerenkt. Daß sie im ganzen schlecht oder recht tatsächlich eingehalten wird, beweist der Umstand, daß die kapitalistische Wirtschaft fortbesteht und sich entwickelt, sonst hätten wir längst ein Tohuwabohu und den Zusammenbruch erlebt. Im Durchschnitt, im Endresultat wird also die Tugansche Proportionalität eingehalten, woraus zu schließen, daß die Wirklichkeit sich nach "Schema Nr. 2" richtet. Und weil dieses Schema sich unendlich weiterführen läßt, so kann auch die Kapitalakkumulation ad infinitum fortschreiten.
Auffallend ist bei alledem nicht das Resultat, zu dem Tugan-Baranowski gelangt, nämlich die Annahme, daß das Schema tatsächlich dem Gang der Dinge entspricht - wir sahen, daß auch Bulgakow diesen Glauben teilte -, sondern der Umstand, daß Tugan nicht einmal für nötig hält, die Frage danach zu stellen, ob denn das "Schema" stimmt, daß er, statt das Schema zu beweisen, umgekehrt das Schema selbst, die arithmetische Übung auf dem Papier, für einen Beweis betrachtet, daß auch in Wirklichkeit die Dinge sich so verhalten. Bulgakow suchte das Marxsche Schema mit ehrlicher Mühe auf die wirklichen konkreten Verhältnisse der kapitalistischen Wirtschaft und des kapitalistischen Austausches zu projizieren, suchte sich durch die Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, durchzuringen, was er freilich nicht fertiggebracht hat und wobei er schließlich in der Analyse von Marx steckenblieb, die er selbst mit voller Klarheit als unfertig, abgebrochen ansah. Tugan-Baranowski braucht gar keine Beweise, er zerbricht sich nicht viel den Kopf: Da sich die arithmetischen Proportionen zur Zufriedenheit lösen und nach Belieben fortsetzen lassen, so ist ihm das just ein Beweis, daß sich die kapitalistische Akkumulation - vorbehaltlich der bewußten "Proportionalität", die aber, wie auch Tugan nicht bestreiten wird, vorn oder hinten doch hineinkommt - ebenso restlos und unendlich fortwinden könne.
Tugan-Baranowski hat freilich einen indirekten Beweis, daß das Schema mit seinen seltsamen Ergebnissen der Wirklichkeit entspricht, ihr treues Spiegelbild darstellt. Das ist die Tatsache, daß in der kapitalistischen Gesellschaft, ganz im Einklang mit dem Schema, die menschliche Konsumtion hinter die Produktion gesetzt, jene zum Mittel, diese zum Selbstzweck wie auch menschliche Arbeit der "Arbeit" der Maschine gleichgesetzt werde: "Der technische Fortschritt gelangt darin zum Ausdruck, daß die Bedeutung der Arbeitsmittel, der Maschine immer mehr, im Vergleich mit der lebendigen Arbeit, dem Arbeiter selbst, zunimmt. Die Produktionsmittel spielen eine immer größere Rolle im Produktionsprozeß und auf dem Warenmarkt. Der Arbeiter tritt gegenüber der Maschine in den Hintergrund, und zugleich tritt in den Hintergrund die aus der Konsumtion des Arbeiters entstehende Nachfrage im Vergleich mit der Nachfrage, welche aus der produktiven Konsumtion der Produktionsmittel entsteht. Das ganze Getriebe der kapitalistischen Wirtschaft nimmt den Charakter eines gleichsam für sich selbst existierenden Mechanismus an, in welchem die Konsumtion der Menschen als ein einfaches Moment des Prozesses der Reproduktion und der Zirkulation des Kapitals erscheint."178 Diese Entdeckung betrachtet Tugan als das Grundgesetz der kapitalistischen Wirtschaftsweise, und ihre Bestätigung kommt in einem ganz handgreiflichen Phänomen zum Ausdruck: Mit dem Fortgang der kapitalistischen Entwicklung wächst die Abteilung der Produktionsmittel im Verhältnis zur Abteilung der Konsumtionsmittel und auf ihre Kosten immer mehr. Gerade Marx hat bekanntlich dieses Gesetz selbst aufgestellt, und seine schematische Darstellung der Reproduktion beruht auf diesem Gesetz, obschon Marx die dadurch herbeigeführten Verschiebungen der Einfachheit halber nicht in der weiteren Entwicklung seines Schemas zahlenmäßig berücksichtigt hat. Hier also, in dem automatischen Wachstum der Abteilung der Produktionsmittel im Vergleich zu der Abteilung der Konsumtionsmittel hat Tugan den einzigen objektiven exakten Beweis für seine Theorie gefunden, daß in der kapitalistischen Gesellschaft die menschliche Konsumtion immer unwichtiger, die Produktion immer mehr Selbstzweck wird. Diesen Gedanken macht er zum Eckstein seines ganzen theoretischen Gebäudes. "In allen industriellen Staaten", verkündet er, "tritt uns dieselbe Erscheinung entgegen - überall folgt die Entwicklung der Volkswirtschaft demselben fundamentalen Gesetz. Die Montanindustrie, welche die Produktionsmittel für die moderne Industrie schafft, wird immer mehr in den Vordergrund gerückt. Somit kommt in der relativen Abnahme des Exports derjenigen britischen Fabrikate, die in den unmittelbaren Verbrauch eingehen, auch das Grundgesetz der kapitalistischen Entwicklung zum Ausdruck: Je mehr die Technik fortschreitet, desto mehr treten die Konsumtionsmittel zurück gegenüber den Produktionsmitteln. Die Menschenkonsumtion spielt eine immer geringere Rolle gegenüber der produktiven Konsumtion der Produktionsmittel ..."179
Wiewohl Tugan auch dieses "fundamentale Gesetz" leibhaftig und fertig direkt von Marx bezogen hat, wie seine sämtlichen " fundamentalen" Gedanken sonst, sofern sie etwas Greifbares und Exaktes darstellen, so ist er wieder damit nicht zufrieden und beeilt sich, Marx sofort mit der von Marx bezogenen Weisheit zu belehren. Marx habe da wieder wie ein blindes Huhn eine Perle gefunden, wisse aber nicht, was er damit anfangen soll. Erst Tugan-Baranowski hat die "fundamentale" Entdeckung für die Wissenschaft zu fruktifizieren verstanden, in seiner Hand beleuchtet plötzlich das gefundene Gesetz das gesamte Getriebe der kapitalistischen Wirtschaft: Hier in diesem Gesetz des Wachstums der Abteilung der Produktionsmittel auf Kosten der Abteilung der Konsumtionsmittel kommt klar, deutlich, exakt, meßbar zum Ausdruck, daß für die kapitalistische Gesellschaft die menschliche Konsumtion immer unwichtiger, daß der Mensch von ihr dem Produktionsmittel gleichgesetzt wird, daß also Marx gründlich irrte, einmal als er annahm, daß nur der Mensch den Mehrwert schaffe und nicht auch die Maschine, daß die menschliche Konsumtion eine Schranke für die kapitalistische Produktion darstelle, woraus sich heute periodische Krisen und morgen der Zusammenbruch und das Ende mit Schrecken der kapitalistischen Wirtschaft ergeben müßten.
Kurz, in dem "Grundgesetz" des Wachstums der Produktionsmittel auf Kosten der Konsumtionsmittel spiegelt sich die kapitalistische Gesellschaft als Ganzes mit ihrem spezifischen Wesen, wie es von Marx nicht verstanden und von Tugan-Baranowski endlich glücklich entziffert worden ist.
Wir haben schon früher gesehen, welche entscheidende Rolle das besagte kapitalistische "Grundgesetz" in der Kontroverse der russischen Marxisten mit den Skeptikern spielte. Bulgakows Äußerungen kennen wir. Genauso drückt sich ein anderer Marxist in seiner