Rosa Luxemburg

Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)


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in ihren Konsumtionsfonds eingehn? Wäre das alles, so würde der Mehrwert verjubelt bis auf die Hefen, und es fände bloß einfache Reproduktion statt.

      Um zu akkumulieren, muß man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwandeln. Aber, ohne Wunder zu tun, kann man nur solche Dinge in Kapital verwandeln, die im Arbeitsprozeß verwendbar sind. d h. Produktionsmittel, und des ferneren Dinge, von denen der Arbeiter sich erhalten kann, d.h. Lebensmittel. Folglich muß ein Teil der jährlichen Mehrarbeit verwandt worden sein zur Herstellung zusätzlicher Produktions- und Lebensmittel, im Überschuß über das Quantum, das zum Ersatz des vorgeschossenen Kapitals erforderlich war. Mit einem Wort: der Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die sachlichen Bestandteile eines neuen Kapitals enthält."

      Hier werden für die Akkumulation folgende Bedingungen aufgestellt:

      1. Der Mehrwert, der kapitalisiert werden soll, kommt von vornherein in der Naturalgestalt des Kapitals (als zuschüssige Produktionsmittel und zuschüssige Lebensmittel der Arbeiter) zur Welt.

      2. Die Erweiterung der kapitalistischen Produktion wird vollzogen ausschließlich mit eigenen (kapitalistisch produzierten) Produktionsmitteln und Lebensmitteln.

      3. Der Umfang der jeweiligen Produktionserweiterung (Akkumulation) ist von vornherein durch den Umfang des jedesmaligen zu kapitalisierenden) Mehrwerts gegeben; sie kann nicht größer sein, da sie an die Menge Produktions- und Lebensmittel gebunden ist, die das Mehrprodukt darstellen, sie kann aber auch nicht geringer sein, da sonst ein Teil des Mehrprodukts in seiner Naturalgestalt unverwendbar wäre. Diese Abweichungen nach oben und nach unten mögen periodische Schwankungen und Krisen hervorrufen, von denen wir hier abzusehen haben; im Durchschnitt müssen sich zu kapitalisierendes Mehrprodukt und faktische Akkumulation decken.

      4. Da die kapitalistische Produktion selbst ausschließliche Abnehmerin ihres Mehrprodukts ist, so ist für die Kapitalakkumulation keine Schranke zu finden.

      Diesen Bedingungen entspricht auch das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion. Hier geht die Akkumulation vonstatten, ohne daß im geringsten ersichtlich wäre, für wen, für welche neuen Konsumenten schließlich die Produktion immer mehr erweitert wird. Das Schema setzt etwa folgenden Gang voraus: Die Kohlenindustrie wird erweitert, um die Eisenindustrie zu erweitern. Diese wird erweitert, um die Maschinenindustrie zu erweitern. Diese wird erweitert, um die Produktion der Konsumtionsmittel zu erweitern. Diese wird ihrerseits erweitert, um die wachsende Armee der Kohlen-, Eisen- und Maschinenarbeiter sowie der eigenen Arbeiter zu erhalten. Und so "ad infinitum" im Kreise - nach der Theorie Tugan-Baranowskis. Daß das Marxsche Schema, allein betrachtet, in der Tat eine solche Auslegung zuläßt, beweist der bloße Umstand, daß Marx nach seinen eigenen wiederholten und ausdrücklichen Feststellungen überhaupt unternimmt, den Akkumulationsprozeß des Gesamtkapitals in einer Gesellschaft darzustellen, die lediglich aus Kapitalisten und Arbeitern besteht. Die Stellen, die darauf Bezug nehmen, finden sich in jedem Bande des "Kapitals".

      Im ersten Bande, gerade im Kapitel über die "Verwandlung von Mehrwert in Kapital" heißt es: "Um den Gegenstand der Untersuchung in seiner Reinheit, frei von störenden Nebenumständen aufzufassen, müssen wir hier die gesamte Handelswelt als eine Nation ansehn und voraussetzen, daß die kapitalistische Produktion sich überall festgesetzt und sich aller Industriezweige bemächtigt hat." (S. 544, Fußnote 21a.) [Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 607]

      Im zweiten Bande kehrt die Voraussetzung mehrmals wieder. So im Kapitel 17 über die Zirkulation des Mehrwerts:

      "Nun aber existieren nur zwei Ausgangspunkte: der Kapitalist und der Arbeiter. Alle dritten Personenrubriken müssen entweder für Dienstleistungen Geld von diesen beiden Klassen erhalten, oder soweit sie es ohne Gestenleistung erhalten, sind sie Mitbesitzer des Mehrwerts in der Form von Rente, Zins etc. ...

      Die Kapitalistenklasse bleibt also der einzige Ausgangspunkt der Geldzirkulation." (S. 307.) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 334/335.]

      Weiter in demselben Kapitel speziell über die Geldzirkulation unter Voraussetzung der Akkumulation:

      "Aber die Schwierigkeit kommt dann, wenn wir nicht partielle, sondern allgemeine Akkumulation von Geldkapital in der Kapitalistenklasse voraussetzen. Außer dieser Klasse gibt es nach unsrer Unterstellung - allgemeine und ausschließliche Herrschaft der kapitalistischen Produktion - überhaupt keine andre Klasse als die Arbeiterklasse." (S. 321.) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 348.]

      Dasselbe nochmals im 20. Kapitel: "... hier gibt es nur zwei Klassen: die Arbeiterklasse, die nur über ihre Arbeitskraft verfügt; die Kapitalistenklasse, die im Monopolbesitz der gesellschaftlichen Produktionsmittel wie des Geldes ist." (S. 396.) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 419.]

      Im dritten Bande, bei der Darstellung des Gesamtprozesses der kapitalistischen Produktion, sagt Marx ganz ausdrücklich:

      "Denken wir uns die ganze Gesellschaft bloß aus industriellen Kapitalisten und Lohnarbeitern zusammengesetzt. Sehn wir ferner ab von den Preiswechseln, die große Portionen des Gesamtkapitals hindern, sich in ihren Durchschnittsverhältnissen zu ersetzen, und die, bei dem allgemeinen Zusammenhang des ganzen Reproduktionsprozesses, wie ihn namentlich der Kredit entwickelt, immer zeitweilige allgemeine Stockungen hervorbringen müssen. Sehn wir ab ebenfalls von den Scheingeschäften und spekulativen Umsätzen, die das Kreditwesen fördert. Dann wäre eine Krise nur erklärlich aus Mißverhältnis der Produktion in verschiednen Zweigen und aus einem Mißverhältnis, worin der Konsum der Kapitalisten selbst zu ihrer Akkumulation stände. Wie aber die Dinge liegen, hängt der Ersatz der in der Produktion angelegten Kapitale großenteils ab von der Konsumtionsfähigkeit der nicht produktiven Klassen; während die Konsumtionsfähigkeit der Arbeiter teils durch die Gesetze des Arbeitslohns, teils dadurch beschränkt ist, daß sie nur solange angewandt werden, als sie mit Profit für die Kapitalistenklasse angewandt werden können." (2. Teil, S. 21.; [Karl Marx: Das Kapital, Dritter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 25, S. 500/501.] Dieses letzte Zitat bezieht sich auf die Frage der Krisen, die für uns nicht in Betracht kommt; es zeigt aber unzweideutig, daß Marx die Bewegung des Gesamtkapitals, "wie die Dinge liegen", nur von drei Kategorien Konsumenten abhängig macht: Kapitalisten, Arbeitern und "nichtproduktiven Klassen", d.h. dem Anhang der Kapitalistenklasse ("König, Praff, Professor, Hure, Kriegsknecht") den er im zweiten Bande mit vollem Recht nur als Vertreter abgeleiteter Kaukraft und sofern als Mitverzehrer des Mehrwertes oder des Arbeitslohnes abtut.

      Endlich in den "Theorien über den Mehrwert", Band II, Teil 2, Seite 263 [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Zweiter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.2, S. 493.], formuliert Marx die allgemeinen Voraussetzungen, unter denen er die Akkumulation ins Auge faßt, im Kapitel "Akkumulation von Kapital und Krisen" wie folgt:

      "Wir haben hier bloß die Formen zu betrachten, die das Kapital in seinen verschiednen Fortentwicklungen durchmacht. Es sind also die reellen Verhältnisse nicht entwickelt, innerhalb deren der wirkliche Produktionsprozeß vorgeht. Es wird immer unterstellt, daß die Ware zu ihrem Wert verkauft wird. Die Konkurrenz der Kapitalien wird nicht betrachtet, ebensowenig das Kreditwesen, ebensowenig die wirkliche Konstitution der Gesellschaft, die keineswegs bloß aus den Klassen der Arbeiter und industriellen Kapitalisten besteht, wo also Konsumenten und Produzenten nicht identisch, die erstere Kategorie (deren Revenuen zum Teil sekundäre, vom Profit und Salair abgeleitete, keine primitiven sind) der Konsumenten viel weiter ist als die zweite (die der Produzenten - R. L.), und daher die Art, wie sie ihre Revenue spendet, und der Umfang der letztren sehr große Modifikationen im ökonomischen Haushalt und speziell im Zirkulations- und Reproduktionsprozesse des Kapitals hervorbringt." Also auch hier berücksichtigt Marx, wenn er schon von der "wirklichen Konstitution der Gesellschaft" spricht, lediglich die Mitesser des Mehrwerts und des Arbeitslohns, also bloß den Anhang der kapitalistischen Grundkategorien der Produktion.

      So unterliegt es keinem Zweifel, daß Marx den Prozeß der Akkumulation in einer ausschließlich aus Kapitalisten und Arbeitern bestehenden Gesellschaft darstellen wollte, unter allgemeiner und ausschließlicher Herrschaft der