Volkstümler zur Realisierung des Mehrwerts gefunden hätten, die auswärtigen Märkte, sei "viel weniger glücklich als der Ausweg, den Malthus, v. Kirchmann und Woronzow selbst als Verfasser des Aufsatzes vom 'Militarismus und Kapitalismus' gefunden hatten"170 . Bulgakow verrät hier, daß er trotz all seiner begeisterten Wiedergabe der Marxschen Schemata der Reproduktion gar nicht begriffen hat, worin das eigentliche Problem liegt, um das die Skeptiker seit Sismondi bis Nikolai-on herumtasteten: Er lehnt den auswärtigen Handel als angeblichen Ausweg aus der Schwierigkeit ab, weil dieser den abgesetzten Mehrwert, "wenn auch in veränderter Gestalt", wieder ins Land einführe. Bulgakow glaubt also, im Einklang mit der rohen Vorstellung v. Kirchmanns und Woronzows, daß es sich darum handelt, ein gewisses Quantum Mehrwert zu vertilgen, vom Erdboden zu verwischen, er ahnt nicht, daß es sich um die Realisierung, um die Warenmetamorphose, also gerade um die "veränderte Gestalt" des Mehrwerts handelt.
So gelangt Bulgakow schließlich, wenn auch durch eine andere Straße, nach demselben Rom wie Struve. Er verkündet die Selbstgenügsamkeit der kapitalistischen Akkumulation, die selbst ihre Produkte verschlinge, wie Kronos seine Kinder, und sich aus sich selbst immer mächtiger gebäre. Von hier aus blieb nur noch ein Schritt zur Rückkehr vom Marxismus zur bürgerlichen Ökonomie. Diesen Schritt hat glücklich Tugan-Baranowski vollzogen.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Die "Disproportionalität" des Herrn Tugan-Baranowski
Wir behandeln diesen Theoretiker zum Schluß - obwohl er seine Auffassung in russischer Sprache schon 1894, vor Struve und Bulgakow, formuliert hatte -, teils weil er erst später in deutscher Sprache seine Theorie in den "Studien zur Theorie und Geschichte der Handelskrisen in England" 1901 und in den "Theoretischen Grundlagen des Marxismus" 1905 in reifer Form entwickelt hat, teils weil er derjenige ist, der aus den gemeinsamen Prämissen der genannten marxistischen Kritiker die weitgehendsten Konsequenzen gezogen hat.
Auch Tugan-Baranowski geht wie Bulgakow von der Marxschen Analyse der gesellschaftlichen Reproduktion aus. Auch er hat erst in dieser Analyse den Schlüssel gefunden, um sich in dem ganzen verworrenen und verwirrenden Komplex von Problemen zurechtzufinden. Während aber Bulgakow als begeisterter Adept der Marxschen Lehre diese nur getreu zu entwickeln sich bemüht und seine Schlüsse einfach dem Meister imputiert, belehrt Tugan-Baranowski umgekehrt Marx, der es nicht verstanden habe, seine eigene glänzende Untersuchung des Reproduktionsprozesses zu verwerten. Der wichtigste allgemeine Schluß, zu dem Tugan auf Grund der Marxschen Sätze gelangt und den er zum Angelpunkt seiner ganzen Theorie macht, ist der, daß die kapitalistische Akkumulation - entgegen der Annahme der Skeptiker - nicht bloß bei den kapitalistischen Formen des Einkommens und der Konsumtion möglich, sondern daß sie von Einkommen und Konsumtion überhaupt unabhängig sei. Nicht die Konsumtion - die Produktion selbst sei ihr eigener bester Absatz. Deshalb sei Produktion mit Absatz identisch und, da die Produktionsausdehnung an sich unbeschränkt, habe auch die Aufnahmefähigkeit für ihre Produkte, der Absatz, keine Schranken. "Die angeführten Schemata", sagt er, "mußten zur Evidenz den an sich sehr einfachen Grundsatz beweisen, welcher aber bei ungenügendem Verständnis des Prozesses der Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals leicht Einwände hervorruft, nämlich den Grundsatz, daß die kapitalistische Produktion für sich selbst einen Markt schafft. Ist es nur möglich, die gesellschaftliche Produktion zu erweitern, reichen die Produktivkräfte dazu aus, so muß bei der proportionellen Einteilung der gesellschaftlichen Produktion auch die Nachfrage eine entsprechende Erweiterung erfahren, denn unter diesen Bedingungen repräsentiert jede neuproduzierte Ware eine neuerschienene Kaufkraft für die Erwerbung anderer Waren. Aus der Vergleichung der einfachen Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals mit dessen Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter kann man den höchst wichtigen Schluß ziehen, daß in der kapitalistischen Wirtschaft die Nachfrage nach Waren vom Gesamtumfang der gesellschaftlichen Konsumtion in einem gewissen Sinne unabhängig ist: Es kann der Gesamtumfang der gesellschaftlichen Konsumtion zurückgehen und zugleich die gesamte gesellschaftliche Nachfrage nach Waren wachsen, wie absurd das auch vom Standpunkte des 'gesunden' Menschenverstandes erscheinen mag."171 Und ebenso weiter: "Als Resultat unserer abstrakten Analyse des Prozesses der Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals hat sich der Schluß ergeben, daß es bei einer proportionellen Einteilung der gesellschaftlichen Produktion kein überschüssiges gesellschaftliches Produkt geben kann."172 Von hier aus revidiert Tugan die Marxsche Krisentheorie, die angeblich auf der Sismondischen "Unterkonsumtion" beruhe: "Die verbreitete Meinung, die bis zu einem gewissen Grade auch von Marx geteilt wurde, daß das Elend der Arbeiter, welche die große Mehrzahl der Bevölkerung bilden, eine Realisation der Produkte der sich immer erweiternden kapitalistischen Produktion wegen mangelnder Nachfrage unmöglich macht - ist als falsch zu bezeichnen. Wir haben gesehen, daß die kapitalistische Produktion für sich selbst einen Markt schafft - die Konsumtion ist nur eines der Momente der kapitalistischen Produktion. Wenn die gesellschaftliche Produktion planmäßig organisiert wäre, wenn die Leiter der Produktion eine vollkommene Kenntnis der Nachfrage und die Macht hätten, die Arbeit und das Kapital frei aus einem Produktionszweig in einen anderen überzuführen, so könnte, wie niedrig die gesellschaftliche Konsumtion auch sein möchte, das Angebot der Waren die Nachfrage nicht überschreiten."173 Der einzige Umstand, der periodisch eine Marktüberfüllung erzeugt, sei der Mangel an Proportionalität bei der Produktionserweiterung. Den Gang der kapitalistischen Akkumulation unter dieser Voraussetzung schildert Tugan folgendermaßen: "Was würden ... die Arbeiter ... bei einer proportionellen Einteilung der Produktion produzieren? Offenbar ihre eigenen Lebensmittel und Produktionsmittel. Wozu werden aber solche dienen? Zur Erweiterung der Produktion im zweiten Jahre. Der Produktion welcher Produkte? Wieder der Produktionsmittel und Lebensmittel der Arbeiter - und so ad infinitum."174 Dieses Frage- und Antwortspiel ist wohlgemerkt nicht als Selbstpersiflage, sondern völlig ernst gemeint. Und so ergeben sich für die Kapitalakkumulation unendliche Perspektiven: "Ist ... die Ausdehnung der Produktion praktisch grenzenlos, so müssen wir die Ausdehnung des Marktes als ebenso grenzenlos annehmen, denn es gibt bei der proportionellen Einteilung der gesellschaftlichen Produktion für die Ausdehnung des Marktes keine andere Schranke außer den Produktivkräften, über welche die Gesellschaft verfügt."175
Da so die Produktion selbst ihren Absatz schafft, so bekommt auch der auswärtige Handel der kapitalistischen Staaten die eigentümliche mechanische Rolle zugewiesen, die wir schon bei Bulgakow kennengelernt haben. Der auswärtige Absatzmarkt ist z.B. für England unbedingt notwendig. "Beweist das nicht, daß die kapitalistische Produktion ein überschüssiges Produkt schafft, für welches auf dem inneren Markte kein Platz vorhanden ist? Warum bedarf England überhaupt eines auswärtigen Marktes? Die Antwort ist keine schwere. Darum, weil ein bedeutender Teil der Kaufkraft Englands für die Anschaffung ausländischer Waren verausgabt wird. Die Einfuhr ausländischer Waren für den inneren Markt Englands macht auch die Ausfuhr englischer Waren für den auswärtigen Markt absolut notwendig. Da England ohne einen ausländischen Import nicht auskommen kann, so ist auch ein Export für dieses Land eine Existenzbedingung, sonst hätte es nichts, womit es für seinen Import bezahlen könnte."176 Hier ist also wieder die landwirtschaftliche Einfuhr als der stimulierende, ausschlaggebende Faktor bezeichnet, und ebenso finden wir die zwei Kategorien Länder "eines landwirtschaftlichen und eines industriellen Typus", die von Natur auf den Austausch untereinander angewiesen sind ganz nach dem Schema deutscher Professoren.
Welches ist nun die Beweisführung für die kühne Lösung des Akkumulationsproblems bei Tugan-Baranowski, von der aus er auch das Problem der Krisen und eine ganze Reihe anderer beleuchtet? Es ist kaum zu glauben, aber um so wichtiger festzustellen: Die Beweisführung Tugans