Michaela Hanauer

Rulantica (Bd. 2)


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ja, fast perfekt. Bis auf die Sache mit dem verpassten Sieg. Wie konnte Exena ihrem Bruder das antun? Er war eindeutig als Erster im Ziel. Immer, wenn Finja glaubt, einigermaßen mit der Anführerin der Quellwächter klarzukommen, passiert wieder so was Dummes. Sie legt es darauf an, von allen gehasst zu werden! Obwohl – heute hat sie denjenigen zum Sieger gekürt, den die allermeisten in der Eisstadt feiern wollten.

      Finja schämt sich, weil sie so denkt, aber Mats ist nicht sonderlich beliebt in der Unterwasserwelt. Also zumindest nicht bei den Jungwächtern, mit denen sie ihre Ausbildung absolvieren. Woran das wohl liegt? Sie kommt doch auch mit den meisten klar. Mit Ilai kann sie sich prima im Zweikampf messen, Xizir und sie geben sich gegenseitig Tipps in Wasser- und Eismagie, und Timur rechnet sie immer noch hoch an, dass er sie damals, kurz bevor sie Rulantica verlassen hat, sogar vor Usgur in Schutz genommen hat. Trotzdem vermisst sie Aquamaris. Manchmal ist ihr die Verantwortung, die auf ihren Schultern lastet, zu groß. Dann wünscht sie sich, einfach wieder Aquina, die Sirene, zu sein, die in den Tag hineinleben durfte. Gleichzeitig ist es ein geniales Gefühl, dass Mama Kailani und sogar Exena ihr zutrauen, eines Tages Rulantica von dem Fluch zu befreien. Zusammen mit Mats – obwohl sich Finja nicht sicher ist, was Exena ihrem Bruder zutraut, erst recht nicht nach dem Rennen heute. Wäre das schön, wenn sie eines Tages völlig frei wären! Sie könnte mit Mats abwechselnd in seiner Stadt und in Aquamaris leben oder die ganze Welt bereisen …

      »Jade und Orchid haben sich nach dir erkundigt«, platzt Bror in Finjas Grübelei.

      »Wie geht es ihnen?«, erkundigt sich Finja sofort.

      »Gut«, sagt Bror. »Jade war neulich sogar besser als Larima beim Skjol.«

      Das versetzt Finja einen Stich. »Oh, da wäre ich gerne dabei gewesen. Larima war bestimmt blass und giftig wie Krötenschleim.«

      »Finja!«, tadelt Kailani, allerdings in ausgesprochen mildem Ton. »Schadenfreude steht dir nicht!«

      »Das war nicht gegen Larima gemeint, ich freue mich nur für Jade«, verteidigt sich Finja. »Weil ich sie und die anderen vermisse, versteht ihr? Nicht so sehr wie euch, aber auch ziemlich«, fügt sie schnell hinzu.

      »Natürlich verstehen wir das!«, schaltet sich Bror wieder ein. »Es geht uns doch nicht anders!«

      Kailani nickt. »Ich werde nachher mit Exena sprechen. Sie muss dich einfach öfter zu uns nach Aquamaris lassen. Ihre Disziplinmaßnahmen hin oder her, aber du gehörst eben genauso zu uns wie zu den Quellwächtern. Zu einer besonderen Stellung gehört auch ein besonderes Maß an Freiraum!«

      »Und Mats?«, rutscht es Finja heraus.

      Kailani blinzelt irritiert. »Der darf selbstverständlich mitkommen, er ist im Muschelpalast genauso willkommen wie du, das weißt du doch!«

      »Das meine ich gar nicht«, sagt Finja. »Für ihn hast du dich vorhin nicht eingesetzt, als Exena ihm den Sieg weggenommen hat.«

      »Das ist etwas ganz anderes!«, sagt Kailani. »Ich würde es auch nicht dulden, wenn Exena sich in meine Angelegenheiten in Aquamaris einmischt. Umgekehrt muss ich in ihrem Reich ihre Entscheidungen akzeptieren. So haben wir es vor vielen Jahren vereinbart.«

      »Außer, wenn sie mir nicht erlaubt, euch zu besuchen. Damit stellst du ihre Regeln doch genauso infrage!«, beharrt Finja. Sie nimmt in Kauf, Kailani durch ihre Hartnäckigkeit zu vergrollen. Sosehr sie sich die Lockerung des Ausgangsverbots wünscht, so wenig kann sie Mats verletzten Gesichtsausdruck vergessen. Er ist schließlich ihr Zwilling. Sie kann fühlen, was er fühlt, selbst wenn sie leider immer häufiger anders empfindet als er. Klingt verwirrend und das ist es auch. In der fremden Menschenwelt war sie ihm viel näher als hier, obwohl es in der Unterwasserwelt viel, viel schöner ist. Sie nimmt Mats überallhin mit, aber er sagt wenig bis gar nichts. Ist das vielleicht der Grund, warum außer ihr noch niemand erkannt hat, wie liebenswert er ist? Ob es heute anders gelaufen wäre, wenn außer ihr noch jemand gegen Exenas Entscheidung protestiert hätte?

      Aber sie kann nicht mehr für ihn tun, wenn nicht einmal Kailani es wagt.

      »Ach, Aquina«, seufzt Kailani.

      »Finja«, korrigiert Bror sanft und seufzt ebenfalls.

      Finja betrachtet die beiden, von denen sie so lange dachte, dass sie ihre Eltern sind. Niemand spricht es aus, aber genau das ist der Unterschied zwischen ihr und Mats: diese zwölf Aquina-Jahre.

      Jetzt seufzt auch Finja.

      In diesem Moment beugt Snorri sich kopfüber in die Kalkschale, um die letzten Spargelspitzen zu erwischen. Als er den Kopf zurückzieht, sitzt die Schale fest auf seinem Kopf. Das scheint ihn weniger zu stören als Exena, die zornig versucht, ihm die Schüssel abzujagen.

      »Das kann sie vergessen«, lacht Kailani, sichtlich erleichtert über die Ablenkung. »Snorri hat schon früher gerne alles Mögliche auf den Kopf gesetzt, deshalb haben wir ihm irgendwann einen Helm überlassen. Das wird nicht einmal Exena ihm abgewöhnen können!«

      »Ich werfe den frechen Sixtopus aus meiner Stadt!«, brüllt Exena am Kopfende der Tafel, wobei selbst Usgurs Mundwinkel verdächtig zucken.

      Nur Finja fühlt mit einem Mal einen dumpfen Schmerz in Brust und Magen. Was ist los? So viel hat sie nun auch wieder nicht gegessen … Nein, irgendetwas stimmt nicht! Hektisch blickt sie sich um. Wo steckt Mats eigentlich?

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       GRÅ

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      »MRK!«

      Stille.

      »Mrk, ein Mensch. Mit zwei Beinen. Seit Jahrren hat sich keinerr zu uns verirrrt!«

      Ungläubig lauscht Mats den Worten. Das bildet er sich doch bloß ein. Diesmal ist es ganz bestimmt nur eine Stimme in seinem Kopf. Vorsichtshalber fragt er nach.

      »Wieso kannst du meine Sprache?«

      Die Antwort ist eine Gegenfrage: »Mrk, woherr hast du das Amulett?«

      Das ist eine längere Geschichte, denkt Mats. Da er nicht sicher ist, ob der Mauk ihm so lange bereitwillig zuhört, selbst wenn er sich das alles nicht nur einbildet, entschließt er sich zur Kurzfassung.

      »Von meiner Mutter.«

      Die Balken über ihm fangen gefährlich an zu wippen, offensichtlich ausgelöst durch den auf und ab hüpfenden Riesenvogel.

      »Mrk, werr ist deine Mutterr?«

      »War«, sagt Mats mit belegter Stimme. »Vivika Stenrokk.«

      »Mrk, bedauerrlich!«

      Jetzt ist es an Mats, unter der Bank zu zappeln.

      »Du, du kanntest sie?«

      »Mrk, könnte sein!«

      »Ich leider nicht«, rutscht es Mats heraus.

      »MRK!«

      Die Bank knarrt und die Balken drücken sich auf Mats’ Brustkorb.

      »MRRRK!«

      »Was sagst du?«

      »Mrk, das warr nicht für dich bestimmt, sondern für meine Scharr. Sie forderrn deinen Tod.«

      »Nein, bitte, ich wollte wirklich nicht …«

      »MRK – still, Mensch! Das entscheide ich! Jetzt komm rraus, damit ich dich sehen kann!«

      Alles in Mats sträubt sich. Wieso sollte er freiwillig den einzigen Ort verlassen, der ihm etwas Schutz gibt?

      Rums, der spitze Schnabel dringt nur wenige Zentimeter neben seinem Kopf in das Holz ein, als wäre es nicht viel mehr als Schaumstoff.

      »MRRK!