Michaela Hanauer

Rulantica (Bd. 2)


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es nur um ihn selbst, würde Mats sich verdrücken. Aber sein tapferes schnelles Kelpie hat es nicht verdient, so behandelt zu werden. Er atmet sich Mut an, klettert die Tribüne hoch und steuert auf Exena zu, was gar nicht so leicht ist, weil viele Meermenschen ebenfalls auf die Tribüne stürmen, um Halvor zu gratulieren. Als er sich endlich durchgeboxt hat, ist Finja bereits in voller Fahrt: »… aber das ist unfair, mein Bruder war viel schneller!«

      »Sein Kelpie trägt kein Zaumzeug«, erklärt Exena.

      »Das macht doch keinen Unterschied!«

      »Das ist sehr wohl ein gewaltiger Unterschied! Er hat sein Kelpie nicht gezähmt. Wir küren den besten Reiter, nicht denjenigen, der sich einfach von seinem Tier tragen lässt! Ich hätte ihn besser gar nicht teilnehmen lassen sollen!«

      Mats steht stocksteif. DAS denken sie von ihm!? Dass er sich nur von Venn tragen lässt? Die Erschütterung trifft ihn tief und unerwartet, seine Knie geben nach, immer noch beachtet ihn niemand.

      »Aber Mats kann reiten«, verteidigt Finja ihn hitzig weiter. »Er hat eine Verbindung zu Venn wie sonst keiner zu seinem Kelpie. Nicht umsonst kann er ihn sogar ohne Sattel und Zaumzeug lenken!«

      »Von Lenken kann da wohl kaum die Rede sein! Ich kann nicht einfach jemanden gewinnen lassen, bloß weil er dein Bruder ist!«

      »Aber …!«

      »Ende der Diskussion, ich muss zu unserem Sieger!«

      Exena lässt Finja stehen, die gibt noch nicht auf, sondern wendet sich an Kailani.

      »Mama …«

      Seit einiger Zeit nennt Finja sie wieder so. Nachdem Finja aus dem Muschelpalast fort in die Eisstadt gegangen ist, sind sie sich wieder nähergekommen, was Mats für seine Schwester freut, ihm aber gerade verdeutlicht, wie viel mehr Finja hierhergehört als er.

      »Mama, du hast doch auch gesehen, dass er vorne lag. Du musst etwas unternehmen!«

      »Ach, Finja, Liebes, ich bin nur Gast in der Eisstadt und habe hier nichts zu bestimmen. Wie du weißt, ist es die erste gemeinsame Feierlichkeit nach so vielen Jahren der Feindschaft, und ich kenne die Gepflogenheiten des Rennens zu wenig …«

      Sie bemerkt Mats und streicht ihm mitleidig übers Haar. »Das verstehst du, Mats, oder?«

      Geistesabwesend nickt Mats, was soll er auch anderes tun? Kailani murmelt eine weitere Entschuldigung und gesellt sich dann rasch zu den Gratulanten rundum Halvor.

      »Exena ist so eine Seekuh!« Finja schlingt die Arme um Mats’ Hals. »Für mich hast eindeutig du gewonnen!«

      Er schüttelt den Kopf. »Und für alle anderen habe ich nicht einmal teilgenommen …«

      »Ach, Mats, lass dich nicht unterkriegen! Du kannst es doch beim nächsten Løp wieder versuchen, und dann gewinnst du so eindeutig, dass sie einfach niemand anderen zum Sieger küren können!«

      Ihre eigentlich tröstlich gemeinten Worte treffen Mats wie feine, aber umso schmerzhaftere Nadelstiche. »Habe ich heute nicht eindeutig gewonnen?«

      Finja stutzt. »Doch, klar, hast du!«

      »Was also sollte im nächsten Jahr anders sein als in diesem?«

      Darauf hat Finja auch keine Antwort.

      Snorri kommt auf sie zu, auf dem Kopf hat er die Eiskrone, seinen kleinen Helm jongliert er in einem seiner Fangarme. Als er bei Mats ankommt, nimmt er die Krone vom Kopf und hält sie ihm hin.

      »Sn, sn!«

      »Ach, Snorri, du bist der Beste. Aber bring die Krone besser Halvor zurück, bevor du Ärger bekommst! Ich habe sie nicht verdient.«

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       RANGNAKOR

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      Mats hat keine Lust mehr, sich das verlogene Theater anzusehen. Sollen sie Halvor eben als Sieger feiern. Aber er muss ihm nicht auch noch zujubeln. Er schnieft schnell ein paar Tränen weg, den heutigen Tag hat er sich ganz anders vorgestellt!

      Das ist dem Rest der Meute aber reichlich egal, sogar der Wächter am Tor zur Eisstadt, der jetzt wieder seinen Posten bezogen hat, bekommt eine Portion des Festmahls ans Tor gebracht, das nach dem Løp für alle anderen auf dem großen Platz aufgetischt wird: Es gibt Muschelsuppe, Thunfischtartar, Seelachs in Salzkruste, an der Sonne getrocknete, knusprige Sardinen und extra für Finja Meeresspargel mit weißem Kieselcrunch. Sie stürzt sich darauf und kümmert sich nicht darum, dass Mats nur in seinem Essen herumstochert und schließlich Snorri seinen Teller zuschiebt. Der Sixtopus freut sich und greift zu, als hätte er nicht gerade eine eigene Portion Algensalat verschlungen.

      Mats hockt sich lieber zu Venn, dem ebenfalls die Lust auf das Gelage vergangen ist und der sich an den Rand des großen Platzes verdrückt hat. Zu dem blöden Festschmaus hätte Mats sich gar nicht erst von Finja überreden lassen sollen.

      Die Runde wird fröhlicher und mit jeder Minute ausgelassener. Geschichten von alten Heldentaten werden erzählt und sogar Exena und Usgur vergessen die Disziplin, die sie sonst immer predigen. Sie rügen nicht einmal den Wächter, der irgendwann seinen einsamen Posten am Tor aufgibt und sich zu den Feiernden gesellt.

      Einige veranstalten ein völlig sinnloses Spiel, bei dem man versuchen muss, den Gegner am Fischschwanz zu packen und um die eigene Achse zu drehen. Mats flüstert Venn zu: »Warte, bis ihnen so schwindelig ist, dass sie sich von allein weiterdrehen.«

      »Statt zu warten, nutze die Gelegenheit.«

      Mats mustert Venn. Das war doch schon wieder sein Kelpie, das ihm einen Ratschlag gibt! Und Venn hat recht, die Gelegenheit ist perfekt und kommt so schnell nicht wieder. Also los – alles andere können sie draußen klären.

      »Einverstanden!«

      Niemand hält sie auf, als sie durch das Tor schlüpfen. Das Wasser auf der anderen Seite kommt Mats weniger trüb und viel freundlicher vor.

      »Wie kam mein Vater bloß mit den Quellwächtern klar?«, murmelt Mats. »Und meine Mam? Wir haben immer noch nicht mehr über ihr Leben auf Rulantica herausgefunden, nur weil Finja sich seit Neuestem zur Musterschülerin mausert und sich an die Regeln hält.«

      »Ich kenne den Weg!«

      Ohne Mats’ Reaktion abzuwarten, zieht Venn ihn mit sich an die Oberfläche. Wie immer, wenn Mats den Kopf aus dem Wasser streckt, atmet er als Erstes tief durch. Seit er seine Wasserangst überwunden und herausgefunden hat, dass er ein Halbmeermensch ist, bekommt er unter Wasser problemlos Luft. Trotzdem ist es anders hier oben. Gewohnter, heller … Ob er doch besser in der Menschenwelt hätte bleiben sollen? Mats schluckt die Frage immer wieder herunter, wenn sie hochploppt. Er war einsam im Kinderheim Drei Birken. Aber ist er hier wirklich weniger einsam? Er gehört nicht dazu, das weiß er nicht erst seit heute. Obwohl er auf Rulantica geboren ist, seine Eltern hier gelebt haben und er seine Schwester bei sich hat. Finja … Venn stupst ihn an.

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      Mats lächelt. »Ja, und du bist natürlich auch hier!«

      Sie schwimmen auf die Insel zu, die sich wie eine Burg vor ihnen auftürmt. Als höchste Zinne der Feuerberg. Gelegentlich macht er seinem Namen alle Ehre und spuckt glühende Lava in die Luft und ins Meer. Das hat Mats vor einiger Zeit selbst erlebt. Aber heute steigt kein einziges Rauchwölkchen in den blauen Himmel.

      Je näher sie schwimmen, desto deutlicher ragen direkt hinter dem Felsenstrand die ersten Pfähle empor. Sie gehören zu Rangnakor, der Stadt, in der die Meermenschen lebten, als sie noch Wikinger und Menschen waren. Bis heute beweisen die Stelzenhäuser die Baukunst ihrer früheren Bewohner. Nach Jahrhunderten