nennt, am ähnlichsten gewesen war. »Imposant«, hätte Rayk dazu gesagt. »Im Po Sand und im Arsch Geröll.«
Mats grinst in sich hinein, was für ein blöder Spruch, trotzdem hat er sich offensichtlich eingebrannt in sein Gedächtnis. Von Carla, der Heimmutter, hätte Rayk dafür einen Rüffel bekommen – einen total harmlosen Rüffel, verglichen mit Usgurs oder, noch schlimmer, Exenas Wutausbruch, wenn Mats wieder einmal den Zweizack nicht richtig hält oder keinen einzigen Eiszauber hinbekommt. Wasser zu Eis erstarren lassen, das kann eben nur Finja. Wenn Mats einen Zauberspruch aufsagt, wird das Wasser um ihn herum nicht einmal ein halbes Grad kühler. Er schüttelt sich, er mag jetzt nicht an seine peinlichen Fehlversuche und Exena denken. Nach diesem furchtbaren Tag hat er sich ein paar Stunden Freiheit verdient und mit etwas Glück findet er endlich eine Spur von seiner Mam. Mats vermutet, dass sie in einem dieser Stelzenhäuser gelebt hat, und heute hat er endlich Zeit, sich hier genauer umzusehen, während die Meermenschen sinnlos feiern!
Am Ufer klettert Mats flink die karstigen Felsenwände nach oben an Land. Das soll ihm Exena nachmachen – da hilft ihr sämtliche Magie nicht: Mit ihrem Fischschwanz muss sie im Wasser bleiben wie alle Meermenschen außer ihm und Finja.
Seine Schadenfreude weicht dem Staunen über das Schauspiel, das Venn bietet, als er anmutig an Land springt. Mats hat die Verwandlung zwar schon öfter gesehen, doch es ist immer wieder atemberaubend, wenn sich Venns Fischschwanz in zwei kräftige Hinterbeine verwandelt und er statt seiner glatten Haut ein Fell bekommt, aus dem das Wasser in silbrigen Fäden rinnt. Das magische Wasserpferd schüttelt sich und lässt um sich herum feinste Silbertropfen regnen, bevor sie sich einen Weg zu den Stelzenhäusern bahnen. Bei genauerem Hinsehen sind sie nicht ganz so unbeschädigt, wie es aus der Ferne wirkt. Die Stützpfosten sind morsch und einige Querbalken sogar durchgebrochen, sodass die Unterböden der Häuser schief auf halber Höhe hängen und jederzeit komplett zu Boden stürzen könnten. Die spitzen Holzdächer wurden mit Drachen- oder Schlangenköpfen an den Giebeln verziert. Seltsam grotesk ragen sie empor, als würden sie heute noch über die Stadt wachen, obwohl so manchem ein Zahn, die Nase oder sogar der halbe Kopf fehlt. Die Farbe der Häuser ist natürlich längst abgeblättert, stattdessen hat überall Moos angesetzt, und auf einigen Dächern liegt so viel Schilf, dass es aussieht, als wären sie damit absichtlich gepolstert worden. Wo früher Verbindungsbrücken zwischen den Häusern waren, klaffen jetzt gefährliche Abgründe.
»Wohnen kann man hier jedenfalls nicht mehr«, stellt Mats fest. »Schade, es würde mir gefallen!«
Venn schnaubt aufmunternd und tappt behutsam voran, aber er ist schwer und bricht bei jedem zweiten Schritt ein. Nur mühsam kann er seinen Huf befreien.
»Pbr-au-uuu«, schimpft er die Holzlatten an, als ein Splitter ihn in die Fesseln pikst. Auf die nächsthöhere Ebene der Stelzenhäuser kann er unmöglich gelangen. Mats breitet die Arme aus wie ein Seiltänzer und tippt jeden Balken an, bevor er auf ihm balanciert. Er schafft es besser als sein Kelpie, muss aber höllisch aufpassen, nicht abzustürzen. Selten hat es sich so gut angefühlt, zwei Beine zu haben, aufrecht gehen zu können und – im Vergleich zu einem Kelpie – ein Fliegengewicht zu sein.
Venn bleibt stehen. »Eine Hydda ist intakt! Suche sie, ich warte auf dich!«
Mats hält mitten auf seinem Balken inne und dreht sich zu dem Kelpie um. Schon wieder!
»Du redest wirklich mit mir! Nicht nur in meiner Einbildung, sondern richtig echt, oder? Ich weiß nämlich nicht, was eine Hydda ist, und das Wort intakt würde ich selbst in Gedanken nie benutzen.«
»Die Stelzenhäuser werden Hyddas genannt«, erklärt Venn. »Und du hast bisher angenommen, dir meine weisen Ratschläge lediglich auszudenken?«
»Ähm … na ja … bisher irgendwie schon«, räumt Mats ein.
»Und das fandest du wahrscheinlicher, als einen guten Freund zu verstehen?« Venn gibt ein schnaubendes Gelächter von sich.
»Ich dachte eben, du redest bloß in meinem Kopf, weil …«
»… weil wir uns mit dem Herzen verstehen«, vervollständigt Venn und nickt. »Ja, so hat unsere Verständigung vor vielen Monden angefangen. So haben wir gegenseitig unsere Sprachen gelernt, und du verstehst, was alle Meermenschen um dich herum für wiehernde Laute halten.«
»Ich bin der Einzige, der dich versteht?«
»So ist es, ich kenne niemanden, der je die Kelpsprache erlernt hat.«
»Auch mein Vater nicht?«
»Falor erahnte vieles, aber wir konnten nicht miteinander sprechen.«
»Und Exena?«
»Pah, sie am wenigsten! Fällt es dir so schwer zu glauben, dass du etwas Besonderes kannst?«
Mats lässt niedergeschlagen den Kopf hängen. »Frag mal Usgur und die anderen Quellwächter, die halten mich alle für einen Totalausfall!«
»Solange du dich nicht selbst für einen hältst!«
»Manchmal schon«, gibt Mats zu. »Ich bekomme keinen Eiszauber hin und singen kann ich noch weniger.«
»Du siehst doch, wozu die Fähigkeiten der Quellwächter und Sirenen dienen, sie bewachen eine Insel. Nur weil du nicht kannst, was alle können, heißt das nicht, dass deine Aufgabe weniger wichtig sein wird.«
»Du bist wirklich ein wunderbarer Freund.« Mats hüpft vor Glück auf und ab und der Balken unter ihm fängt gefährlich an zu knacksen.
»Das Kompliment gebe ich gerne zurück! Aber jetzt gehst du besser und suchst nach der Hydda deiner Mutter. Wenn es dunkel wird, sollten wir nicht mehr hier sein.«
Kurz zögert Mats, er hätte noch zig Fragen, jetzt, da er weiß, dass Venn ihn versteht. Andererseits können sie später immer noch reden, sich unbemerkt aus der Eisstadt schleichen und sich hier in aller Ruhe umsehen, kann er wahrscheinlich so schnell nicht wieder.
Also fragt Mats nur: »Hast du eine Ahnung, wo ich suchen soll?«
Venn schüttelt die Mähne. »Ich weiß nur, dass deine Mutter in einem der Stelzenhäuser lebte und ich von dort, wo ich jetzt stehe, laut wieherte, um sie zu deinem Vater ins Wasser zu rufen.«
Mats muss unwillkürlich lachen. »Wie ein Telefon auf vier Beinen.«
»Ein WAS, bitte?«
»Nicht so wichtig, bloß menschlicher Technikkram. Ich mach mich jetzt auf die Socken«, und weil er Venns nächste Rückfrage vorausahnt, schiebt er rasch hinterher, »… also, auf die Suche.«
Er setzt seinen Balanceakt fort. Jetzt nur nicht nach unten schauen.
»Wenigstens habe ich keine Höhenangst«, murmelt Mats.
Wie sind die Wikinger früher nach oben gelangt? Wahrscheinlich standen damals noch Holztreppen oder sie benutzten Strickleitern. Nicht gerade eine bequeme Art, ins eigene Zuhause zu kommen, dafür blieben auch bei Sturm und Wellengang ihre Füße trocken, und sie waren vor gefährlichem Getier geschützt. Überhaupt erinnern Mats die Behausungen an eine Mischung aus den sonst fensterlosen Langhäusern der Wikinger und ihren schnittigen Holzschiffen, mit denen sie die Weltmeere beherrschten. Als ob sich Viken Rangnak, der Anführer, und sein Clan auch an Land nicht ganz vom Seefahrerleben verabschieden wollten.
Mats lässt den Blick durch das erste Haus schweifen und versucht, sich die Wikingerabteilung im Museum Krønasår ins Gedächtnis zu rufen. Früher war es bestimmt sehr gemütlich hier, doch von der Einrichtung ist jetzt nicht mehr viel übrig. Ein windschiefes Holzgestell in der Ecke könnte ein Bett oder eine Sitzbank gewesen sein. Mit einem Fell oder einer Matte hat der ehemalige Bewohner es vielleicht sogar für beides genutzt. An dem Platz in der Mitte, an dem üblicherweise die Feuerstelle war, klafft ein tiefes Loch und erinnert Mats daran, sich weiterhin sehr vorsichtig über die morschen Böden zu bewegen.
In der nächsten Hütte erwartet ihn nahezu derselbe Zustand, allerdings