Nataly von Eschstruth

Halali!


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Augen auf sie nieder und schreitet so ruhig, als sei nicht das mindeste geschehen, durch die Tannen, dem Hotel entgegen.

      Frau Christel tut ein paar lange Züge an der „Sport“.

      Beinah sieht es aus, als wolle sie die Zigarette beissen, so fest halten sie die Zähne.

      Neben ihr toben Arm in Arm ein paar Nachzügler der Wandervögel vorüber.

      „Es gibt Regen!“ johlt es von hüben.

      Sie antworten in ausgelassener Heiterkeit:

      „Und wenn schlechtes Wetter war

      spielten wir Soldatchen,

      oder Braut und Bräutigam

      oder Muttchen-Vattchen!“

      Frau Christel blickt weder nach dem regenverdächtigen Himmel, noch nach dem Sänger dieses hohen Liedes der Liebe, sondern nur tiefsinnig auf die angekohlte kleine Streichholzschachtel zu ihren Füssen.

      „Hm ... wie einst im Mai ...! Unverschämter Kerl ... wer’s nur sein mag?“

      Es ist dämmrig, als Frau Christel zur Medden in ihr Loggiazimmer des Kurhauses zurückkehrt.

      Auf dem Tisch liegt ein Brief.

      Grosser Umschlag, — Format Morgenpost.

      Aha, von der Schwiegermama.

      Sie blickt auf die Adresse nieder.

      Stimmt. Die steilen, nervösen Schriftzüge der Stiefschwiegermutter.

      „An Frau Christel zur Medden, geb. Freiin Lossow.“

      Ja, ja, das ist sie. — Eigentlich Christine, zu Hause von Vatern auf der heimatlichen Scholle kurzweg „Stine“ genannt.

      Kann sich schon denken, was das arme Altchen will!

      Altchen? Gut, dass sie es nicht gehört hat, sonst wäre die Freundschaft zu Ende.

      Mittelalterlich, — gut konserviert, — drei falsche Zähne, sonst alles noch merkwürdig echt.

      Und sie will?

      Immer das alte Lied! — Ärger! Ärger! Ärger! Angst und Sorgen — denn es muss noch Mord und Totschlag geben! Die Montechi und Capuletti sind Turteltauben dagegen. War ja auch ein wahnsinniger Gedanke, ein Gut zu kaufen, das mit dem Wohnhaus direkt an den Wirtschaftshof des Nachbarbesitzes grenzt!

      „Ein Maler und ein Musikus,

      so Wand an Wand — das gibt Verdruss!

      Dieser Münchner Bilderbogen predigt eitel Wahrheit!

      Als die letzte Nachricht von Ober-Kieferndorf kam, hatte die Mamsell von Unter-Kieferndorf der andern die Bibel in der Kirche vertauscht und war dadurch Wisserin eines geheimnisvollen Liebesbriefes geworden, den die Unter-Kieferndorferin eine Zeitlang auf dem Busen getragen, bis der Brief sengelte und sie ihn darum dem lieben Gott zur Obhut anvertraut hatte. Und nun kam die Giftviper, dieser Drachen! Diese Kanaille von einer Frau Lübbs, die „Lübbsch“ genannt, und stahl ihr zärtliches Geheimnis! Dies war das offizielle Kampfsignal auch zwischen den beiden Beherrscherinnen der Kochtöpfe und Geflügelhöfe!

      Was wird nun heute wieder passiert sein? Es brodelt ja unaufhörlich in dem Hexenkessel, und das heilige Öl auf dem Lämpchen der Freundschaft versiegt.

      Summa summarum — alles war verkracht, und wenn es nach Unterkieferndorf gegangen wäre, so hätte man Oberkieferndorf mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt.

      Heimlich betete jeder, dass der andre recht bald Pleite machen möchte, und wenn einer dem andern „Guten Tag“ bot, so war es eine grasse Lüge!

      Die Inspektoren standen sich auf Hauen und Stechen.

      Die Dienstboten, Knechte und Mägde bekämpften sich mit dem Mut der Verzweiflung.

      Alles was Odem hatte, tobte gegen den bösen Feind, den Nachbar, der ihnen zum Zank gesetzt war.

      Krieg im Frieden!

      Wo einer dem andern Last und Plage aufbimsen konnte, so geschah es, und dies alles erstreckte sich bis auf die Herrschaft hinauf, die dem Hetzer und Verleumder kläglich zum Opfer fiel.

      Das Komischste aber war, dass die arme Schwiegermama diesen ganzen „Zores“ für bittern Ernst nahm, anstatt über all die gegenseitigen Attentate zu lachen, wie Frau zur Medden dies par distance getan!

      Begütigen hiess das Horn des Hasses nur erhöhen, wie Kreuz und Leid, Wut und Feindschaft sich am giftigsten von milden Worten der Versöhnung nähren.

      Wer sollte solchen Zuständen Halt gebieten, wer die Lawine aufhalten, die Ober- und Unterkieferndorf in einem Massengrab zu verschütten drohte?

      Das Ende naht — es naht das Ende! — Aber es war jedesmal nur ein solches des Schreckens, das sich im schrillen Racheschrei aus aller Munde kund tat.

      Und wie namenlos komisch wirkte dieser Sturm im Wasserglase auf den harmlosen Beschauer!

      Die Beleidigungen gingen tief! Ein Zurück gab es nicht.

      Wie oft hatte die arme Schwiegermutter ihr brieflich vorgestöhnt: „Ich habe genug! Ich kann nicht mehr! — Das Herz muss ich dir ausschütten, Christel, denn der Ärger würgt mich, bringt mich um, — darum kann ich nicht schweigen! Ich werde die letzte Sekunde segnen, wenn erst der Reisewagen vor der Tür steht, der mich diesem Höllenpfuhl entrückt!“

      Die junge Frau lacht auch jetzt, wenn sie an solche Ergüsse denkt.

      Sie öffnet den Brief. Er ist sehr lang und dick.

      „Lung’ und Leber duckt euch, jetzt kommt ein Platzregen!“ seufzt sie, „wenn ich nur ein Hänfling wäre, so würde ich auf den ganzen Zimt Pfeifen, aber es gehört zu den Geduldsproben, deren man sich im Leben manchmal nicht erwehren kann!“

      Und sie las.

      „Mein Herzenskind!

      Von Tag zu Tag wartete ich auf Nachricht von Dir, bis mir Dein lieber Vater heute mitteilte, dass Du eine kleine Vergnügungsreise in das Gebirge unternommen hast! Ich möchte Dich nicht mit langen Klageliedern und Jeremiaden langweilen, wenn gleich solche Briefe wie die meinen die besten Prüfungen für treue Herzen sind. — Was wieder alles in diesem schrecklichen Hause, das mir tatsächlich verflucht zu sein scheint, in letzter Zeit passiert ist, geht kaum noch auf eine Kuhhaut. Die bittersten Enttäuschungen bringt alles, was man zur Schlichtung der trostlosen Verhältnisse versucht!

      Es ist, um aus der Haut zu fahren! Kein gutes Wort mehr, das man von drüben hört! Du hast einmal geschrieben, Christel, all die Schikanen, mit denen sich unsre Leute heimsuchen, entbehrten nicht den Stich ins Komische. — Ganz Unterkiefer komme dir vor wie ein Über brettel, auf dem die einzelnen Rollen äusserst charakteristisch verteilt seien! Ein kleiner Vortragsschwank nach dem andern! — Nein, das ist zu mild geurteilt, die Bühne, auf der hier gemimt wird, bietet rechte Schauer- und Trauerstücke, bei denen meine Nerven auf den Hund gekommen sind. Ich weiss ja, dass alles nur ein Bluff ist, um uns hier herauszugraulen, und gerade das erbittert mich auf das äusserste. Ältere Damen wie ich haben nicht mehr den Murr, resp. Leichtsinn, sich über das Miserere solch eines Ringens bis auf Blut und Messer lächelnd hinwegzusetzen. Ich räume allerdings das Feld und der Vorhang mag hinter mir fallen, wie hinter einem zu Tode gehetzten Wild, das noch obendrein ausgepfiffen wird. Dieser Vergleich wird Dir als leidenschaftliche Jägerin gefallen, du liebst ja sportliche Aufregungen! Aber meine Rache will ich haben, liebstes Kind, und auf Niedertracht mit Bosheit antworten! Wie ein Dieb in der Nacht soll es über das böse Gesindel nebenan kommen, dass wir ein Zufallsspiel auf dem Schachbrett spielen, mit dem nötigen Wechsel der Dame! Ich habe den ganzen Klimbim hier satt und mache den Kehraus für alle Ewigkeit! Ich fühle mich matt wie ein verlöschendes Licht und fühle, dass der Tropfen den Stein höhlt. Zuvor möchte ich aber auch dem Herrn Oberst ein Henkersüppchen einbrocken, das er auslöffeln soll zum Mundverbrennen! Jungen, hübschen Mädels und Frauen soll er ja stets den Scharmanten spielen, das sieht man an seinem Logierbesuch, der sich — wie Schneider