diese Kritik des Inspektors krank lachen wirst, Christel, so schmerzlich sie auch für mich ist. Aber siehst Du, gerade auf dieses Dein so glückliches Temperament setze ich alle Hoffnung. Du hast noch kein so wahres Lehrgeld in der Schule des Lebens bezahlt, das mir die Gesundheit und sehr viel Geld kostete. — Darum höre! Ich will Dir jungen, schönen, reichen Frau ein Präsent machen, obgleich ich weiss, dass es ein Danaergeschenk ist. Vielleicht fasst du darum dieses Schreiben gar als eine Hiobspost auf! Ich verehre Dir Unterkieferndorf zu Erbe und ewigem Eigentum. Und wenn Du von diesem Deinem Erbe schon jetzt Besitz ergreifen willst, so komm’ her und nimm es in Empfang. Je eher ich den Staub von meinen Füssen schütteln kann, desto besser! Wir lassen dann sogleich alle gerichtlichen notwendigen Schritte, das Wichtigste, was hier nottut, geschehen, überschreiben das widrige Ding, diese elende Sandklitsche, dieses Teufelsnest auf Dich, und Du hältst als Königin von dem zerstörten Jerusalem Deinen Einzug in dieses Haus! Vielleicht baust Du alle gestürzten guten Beziehungen noch einmal auf, was ich jedoch stark in Zweifel ziehe. Verzeih’ meinen Unglauben. Ich möchte je eher, je lieber die Schlinge um den Hals loswerden, denn sie würgt mich. Also komm, bestes Kind, dass ich wirklich erlöst bin! Schreib bald. — Der Herr Oberst hat in Erinnerung an seine Räuberhauptmannstätigkeit im Feld zwischen unserm Besitz eine feindliche Schanze errichten lassen. Schneider nennt es kavalleristisch ‚Mauer, Hürde und Graben‘! — Geradezu kindisch albern und blödsinnig! Riskierst Du den Sprung über diese Hindernisse, die überall Steine in den Weg schmeissen? Wir haben dieses Bollwerk gar nicht erst zum Zankapfel gemacht, sondern nehmen lieber einen grossen Umweg, um auf unsre Wiese zu gelangen. ‚Sonne, Mond und Sterne lachen! und ich lache mit und sterbe!‘ so stöhnt Heinrich Heine und wohnte doch nicht auf dieser Endstation aller irdischen Behaglichkeit und Bequemlichkeit. Und wäre der ‚Kohinoor‘ (oder wie sich dieser Stein der Weisen schreibt, ich glaube es ist falsch!) hier zu finden, ich blieb nicht hier. Möchte doch der Herr Oberst bei einem Satz über seine eigene Schanze in dreifachem Sturz in die Tiefe rasen! Oh, wenn ich die Kraft hätte, diese Bestie, dieses Rindvieh, diesen Hinterwäldler zu zermalmen! — Dein guter, verstorbener Mann, beste Christel, war ein Opfer seiner Schwäche, als er hier ankaufte. Warum? Nur dass ich, die alte Stiefmutter, ein Dach über dem Kopfe habe? — Na, er ahnte ja nicht, dass auch hier ein Markstein an der Grenze stand, der für mich einen ganzen Kalvarienberg bedeutet. Kein Schwindler, kein Leviadan von Ungeheuer hätte mich so hereinlegen können! — Noch etwas für Dich Interessantes. Sie haben jetzt einen sehr starken, grossartigen Hirsch aufgespürt, der ständig von einem Revier in das andre wechselt und nach eitel Willkür sein Standquartier aufschlägt. Der Herr Oberst tobt von früh bis spät in den Wald, um ihn für seine Küche zu sichern. Wäre es nicht ein Hauptulk für dich, als brillante, treffsichere Jägerin, dem Kerl dieses Wild von der Nase wegzuputzen, ihn tüchtig zu nasführen, zu veräppeln? Ein Königreich für einen Sack voll Freikugeln, um den Patron zu äffen! Zuck’ nicht die Achseln in skeptischer Frage! Vertrau’ auf Dich selber! Bist ja ein so resolutes, grossartig energisches kleines Weib, und wenn Du mich rächen kannst, so will ich alle Glocken läuten und alle Kanonenschläge zu Deinem feierlichen Einzug in Walhall donnern lassen! Wenn ich mal hier heraus bin, werde ich mir Vorkommen, wie der Reiter über dem Bodensee. Was denkst Du? — Ich fiebere vor Ungeduld, Deine Antwort zu hören. Und wenn Du das Gut annimmst, so gibt es keine Fisematentchen und Wippchen mehr, Stine, dann heisst es auch: es steht geschrieben!
Und nun Dixi — und ex est! Der Postbote muss gleich kommen, möchte er mein und unser aller Tröster sein. Alles Weitere, was auf dem Papier hier noch fehlt, fügt Schneider noch hinzu, ich nenne ihn nur noch den ‚Sprecher am Torstein‘ (aus der Ingwelde!), denn er vertritt mich jetzt bei allem und jedem, da ich doch sozusagen schon in der offenen Tür stehe.
Ich werde lieber ein Siegel auf diesen Brief drücken — am liebsten ein Sicherheitsschloss davor hängen, vernageln und versiegeln, wenn’s möglich wäre! Trau — schau — wem! Man wird ja so entsetzlich misstrauisch! Glaube mir, es ist so!
So, — das Gut gehört Dir. Ich bin nicht mit Flucht hinausgetrieben, habe auch nicht verkaufen müssen, es ist geschehen! Ich habe gesiegt! Nun komm und hilf, dass der Feind zu meinen Füssen Halali blasen muss!
In Eile — mit Gruss und Kuss
Deine
Dorothea.“
Zweites Kapitel
Frau zur Medden liess tief aufatmend das wunderliche Skriptum sinken.
Einen Augenblick sass sie wie versteinert vor Überraschung, dann erhob sie sich, dehnte langsam und ruckweise die vollen Arme und sagte mit dem Brustton der Überzeugung: „Uff! — Das war eine Leistung!“
Von seiten der kleinen hysterischen Schwiegermama einfach tadellos, geradezu entzückend! — So wird man über Nacht Kleingrundbesitzerin!
Übermächtig gross ist das famose Erbe ja nicht, aber es ist keine Misswachsscholle und Hungerbonjour, sondern hat ganz guten Grund und Boden und vor allen Dingen einen herrlichen Wald, nach dem es ja eigentlich Waldesfelde hiess.
Und die Jagd!
Christels Augen leuchten.
Sie ist sehr sportlich beanlagt, eine passionierte kühne Reiterin, eine „Froschjagd- und Jägermeisterin par excellence“, wie Papa sie scherzend tituliert.
Sie hatten früher selber ein Gut.
Noch immer stiegen die Tränen in die Augen der jungen Witwe, wenn sie noch kurz zuvor daran dachte.
Ihre Wonne, ihr Entzücken war diese Heimat, die ihr die seligsten Jahre beschert, deren sie sich zu erinnern wusste.
Aber was half all ihr Klagen?
Mutter starb, Papa wurde alt, es war eine so günstige Gelegenheit, gut zu verkaufen. So geschah es.
Aber ihre Seele litt Heimweh.
Sie heiratete.
Einen siechen, müden Veteran, einen Greis von sechsundzwanzig Jahren!
Seine Stiefmutter war sehr reich, er kaufte ihr nach langen Überredungskünsten ein Landgut, mehr für sich als für sie, denn er brauchte gute Waldluft und Pflege, und Christel tat er den grössten Gefallen, wenn er ihr ein verlorenes Paradies zurückgab.
So wurde er über den Ruhesitz Unterkieferndorf bald handelseinig.
Kaum, dass er es richtig angesehen hatte.
Der schwierigen Zeiten wegen sollte ein grösseres Rittergut aufgeteilt und als zwei selbständige Besitztümer verkauft werden.
Es waren aber keine selbständigen.
Was anfänglich allen wie ein besonders angenehmer Vorteil deuchte, die unmittelbar aneinanderstossenden Wohn- und Wirtschaftsgebäude, mittels der man sich so nützlich in die Hand arbeiten konnte, erwies sich bald als ein Loch, in das alle Illusionen hineinrutschten und das sich nicht mehr zustopfen liess, je weniger, je schroffer und grösser es von Eigensinn, Unverstand und Dickköpfigkeit aufgerissen ward.
Ihr Mann musste alsogleich nach dem Ankauf ein Sanatorium aufsuchen, das er nicht mehr verlassen sollte.
Ein unvorhergesehener Schlaganfall machte seinem zwecklosen Leben ein Ende.
Frau Dorothea zur Medden musste allein in Unterkieferndorf einziehen, dieweil die Möbelwagen des Obersten von Verne, der die andre, nicht bessere sondern streng reell gleichwertige Hälfte, nämlich Oberkieferndorf, angekauft hatte, auf der andern Seite des sehr grossen Hofes einrollten.
Der Inspektor Schneider der Frau zur Medden aber behauptete, dass bei der Einteilung und Abschätzung des Waldes eine himmelschreiende Ungerechtigkeit geobwaltet hätte, denn die Oberkieferndorfer hätten ein Revier Hochwald mehr bekommen, dieweil sie dafür mit elendem Knüppelholz abgespeist seien.
Er bestimmte die völlig in solchen Dingen unbewanderte Frau Dorothea, an den Verkäufer eine geharnischte Epistel zu richten und um gerechte Regulierung zu ersuchen.
Frau zur Medden war leicht erregbar und empört über die Vergewaltigung ihres guten Rechtes, sie schrieb wie Schneider diktierte, obwohl Inspektor Christiansen