Gedanken von einem ins andere?
Ab und zu hält er inne, um sich einen Baum, einen Strauch oder kleine Blumen genauer anzuschauen. Beim leisesten ungewöhnlichen Geräusch merkt er auf, schaut - war das ein Tier, welches? Wer ihn freundlich grüßt, verspürt seine Bereitschaft zu einem Gespräch über Naheliegendes, durchaus auch das Wetter. Er hört einen leicht sächsischen Zungenschlag; wer sich auskennt, ordnet ihn der Stadt Dresden zu. Er begegnet Christian Funke.
Die Geschwister 1954, v. l. Christian, Brigitte, Klaus
ERSTES KAPITEL
Wo er herkommt
Heimatstadt Dresden
Christian Funke wurde an einem Ostermontag, dem 18. April 1949, in Dresden-Striesen geboren; zwei Jahre nach seinem Bruder Klaus. 1952 war mit Schwester Brigitte die Familie komplett.
Funkes Vater Reinhard, geboren 1921, arbeitete beim Topographischen Dienst. Er war musikalisch und ein guter Klavierspieler; wollte jedoch kein Berufsmusiker werden. Mutter Christa, geborene Tröger, ebenfalls Jahrgang 1921, stammte aus Kleinbobritzsch im Erzgebirge. Sie hatte eine schöne Stimme, doch ein Leben als Sängerin erschien ihren Eltern als „brotlose Kunst“. So lernte sie Buchhändlerin, immerhin eine Tätigkeit im Kulturbereich. Später war sie als Chefsekretärin beim „Rat des Bezirkes“ Dresden im Bereich Technische Überwachung tätig. Beide Eltern verstarben in hohem Alter, der Vater 2007; seine Frau überlebte ihn um zehn Jahre.
Die Eltern, ca. 2005
Christians Weg zur Geige begann, wie er sich erinnert, als eine Art Verhaltenstherapie: Als neugieriges Kind zerlegte er alles, was ihm in die Finger kam, um das Innenleben der Gegenstände zu erkunden. Allerdings baute er, wenn er es schaffte, die Teile auch wieder zusammen. Eine ehemalige Klassenkameradin gab der Mutter den Tipp, es doch mit der Geige zu versuchen. Damit hatte sie, wie sich bald erwies, ins Schwarze getroffen.
Für das Selbstbewusstsein des Knaben spricht, dass er bei einem Konzert in Dresden einem Geiger zuhörte und keck behauptete: „Das kann ich auch!“.
Kindlicher Künstler
Die Familie war sehr naturverbunden, und so erinnert sich Christian an viele Wanderungen, bei denen sich der Ehrgeiz auch auf das Pilzesuchen richtete. So lobte die Mutter eine Prämie für den ersten gefundenen essbaren Pilz aus, die meist Brigitte gewann. Sie war eben die Kleinste und damit näher am Waldboden. Der Vater verfügte aus seiner beruflichen Tätigkeit über allergenauestes Kartenmaterial, tat sich aber mit dem richtigen Weg schwer. Die Mutter, die eher ihrem Gefühl und der Himmelsrichtung folgte, machte sich einen Spaß daraus, mit dem Lippenstift Markierungen an Wanderwegen zu bearbeiten und so die Verwirrung ihres Mannes komplett zu machen.
Prachtstücke: Familie nach dem Pilzesammeln
Bruder Klaus ist auch künstlerisch begabt. Er war, wie sein Vater, ein passabler Klavierspieler, hatte auch Interesse an der Bildenden Kunst und besuchte entsprechende Zirkel an der Dresdner Kunstakademie. Zwischenzeitlich verlagerte er den Schwerpunkt seiner Interessen und absolvierte ein Studium zum diplomierten Tierzüchter. Doch seit vielen Jahren ist Klaus Funke ein angesehener Schriftsteller. Er beschäftigt sich in fesselnden Romanen mit der Lebensgeschichte berühmter Musiker.
Christian, Klaus und Brigitte mit der geliebten Großmutter „Großi“
Auch Brigitte erlernte das Geigenspiel in frühester Kindheit. Die beiden Geschwister lieferten sich gelegentlich zu Hause Fechtduelle um Übungszeiten und -orte, die sie gern mit ihren Geigenbogen austrugen. Das wird die Eltern nicht gefreut haben, zumal ein solches Teil dabei auch einmal zu Bruch ging. Ebenso blieben auch empfindliche Einrichtungsstücke, wie beispielsweise ein Spiegel, nicht verschont. Den ersten Violinunterricht erhielten sie beide an der Musikschule Dresden bei Anne-Marie Dietze.
Christian beim Musizieren
Prägende Jahre in Moskau
Christian Funke beendete 1965 die 10. Klasse der Spezialmusikschule für Musik und ging danach an die Dresdner Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber.
Dort studierte er, allerdings nur bis 1966, bei Heinz Rudolf. Nach einigen Wochen Russisch-Unterricht und „gesellschaftswissenschaftlicher Einweisung“ durfte er seine musikalische Ausbildung am Moskauer Konservatorium bei Igor Bezrodny fortsetzen.
Christian in Moskau mit der Pianistin Larissa Lobkowa
Als 15-jähriger hatte Funke die Gelegenheit, einem der größten Violinisten des 20. Jahrhunderts, David Oistrach, vorzuspielen. Das hing mit einer Art „Vorauswahl“ für Moskau zusammen. „Diese ‚Aktion‘ kam natürlich bei meinem damaligen Lehrer, Professor Gustav Fritzsche, einem namhaften Professor an der Dresdner Musikhochschule, nicht sehr wohlwollend an. Er verfügte über eine größere Auswahl an phantastischen italienischen Geigen, und die beste darunter, eine ‚Grancino Giovanni‘ durfte ich jahrelang spielen. Nach diesem Vorspiel bei Oistrach hat er mich quasi vor die Tür gesetzt und auch das Instrument einbehalten. Er fühlte sich, vielleicht zu Recht, betrogen, dass man ihm seinen ‚Meisterschüler‘ entziehen wollte. Der oben genannte Heinz Rudolf war ebenfalls ein Schüler von ihm. Die Dresdner Musikhochschule kaufte für mich aus einem Dresdener Privathaushalt eine wunderschöne Violine aus der ‚Testore‘-Familie. Ohne dieses Instrument wäre ja meine Teilnahme am Tschaikowski-Wettbewerb gefährdet gewesen.“ Dieses Verhalten seines Lehrers hat den jungen Musiker sicher irritiert, doch Professor Fritzsche hatte ihn lange Zeit, in der Regel sogar ganze Sonnabend-Vormittage, unterrichtet. Den künstlerischen Werdegang Funkes hat diese Begebenheit ja in keiner Weise beeinträchtigt.
Einige Jahre vorher hatte sich Oistrach auch die jüngere Schwester Brigitte angehört, die 1969 ebenfalls ein Studium bei Igor Bezrodny in Moskau beginnen konnte.
David Oistrach mit Brigitte 1964
Brigitte in Moskau
Nach sechs Studienjahren in Moskau kehrte Brigitte 1975 nach Dresden zurück und wurde Dozentin für Violine an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“. Damit ging sie einen Weg, den die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen bis heute einschlagen: Früher oder später selbst Lehrer ihres Fachs zu werden. Damit tragen sie die Methoden ihrer Ausbildung, zumal bei bedeutenden Musikpädagogen, weiter an die nachfolgenden Generationen. Brigitte erinnert sich, wie beeindruckt sie davon war, in Moskau bei Mstislaw Rostropowitsch, dem weltberühmten Cellisten, hospitieren zu dürfen. Sie beschreibt Erlebnisse aus ihrer Moskauer Zeit, als Vater und Sohn Oistrach dort wirkten. Tief beeindruckt war sie von der Bescheidenheit David Oistrachs, der sich in die Schlange bei der Essensausgabe in der Mensa einreihte, egal, wer vor ihm stand, und geduldig wartete. Sohn Igor brachte diese Geduld zumeist nicht auf. 1982 wurde Brigitte Funke Mitglied der 1. Violinen