Ulla Schäfer

Christian Funke - Musiker und Genuss-Sachse


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wenn er dialektisch beschreibt: „Ich fühle mich als ein russischer Geiger. Entweder ein deutscher Geiger russischer Herkunft oder ein russischer Geiger deutscher Herkunft. Darauf bin ich stolz.“ Mit Recht stolz ist er auch darauf, dass er seine Karriere aus eigener Kraft, ohne „Connections“, aufgebaut hat.

      Wie auch immer: Christian Funke schloss 1972 sein Studium „Mit besonderer Auszeichnung“ ab. Er war der erste ausländische Student im Fach Violine am Moskauer Konservatorium, der dieses Examensprädikat erhielt. Ebenso absolvierte er auch die obligatorische Klavierprüfung. Auf das Klavierspiel werden wir später noch zurückkommen. Sein Lehrer Igor Bezrodny hatte ihm nicht selten die künstlerische Betreuung seiner Schüler anvertraut. So war er in gewisser Weise auch Assistent seines verehrten Lehrers gewesen.

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      Während des Studiums

      In der Moskauer Zeit erhielten ausländische Studenten während dreier Jahre intensiven Russisch-Unterricht. Christian Funke schildert die Atmosphäre, die dabei herrschte. Lehrerin war eine vornehme Dame der „alten Schule“, deren Mutter noch Hofdame beim letzten Zaren gewesen war. In seiner Seminarklasse waren beispielsweise Studenten aus Kuba und Vietnam, denen sie gemeinsam die Feinheiten der russischen Sprache beibrachte. Die Stunden fanden im Foyer des Großen Saales des Moskauer Konservatoriums statt. Dieser Saal ist, vergleichbar dem Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, eine Weihestätte der Musik. Die angehenden Instrumentalisten profitierten also nicht nur vom Sprachunterricht selbst, sondern begegneten namhaften Künstlern und konnten „nebenbei“ den Proben lauschen.

      Funke erinnert sich: „Ein Ereignis ist mir aus dieser Zeit nachhaltig im Gedächtnis geblieben. In einem Sonatenabend haben David Oistrach und Swjatoslaw Richter 1969 die 1968 komponierte erste und einzige Violinsonate von Dmitri Schostakowitsch uraufgeführt. Natürlich habe ich während meines Studiums viele Möglichkeiten wahrgenommen, die Konzerte von Oistrach zu erleben. Dieses aber war wohl etwas Besonderes, weil zusätzlich zu diesen beide Meisterinterpreten einer der bedeutendsten lebenden Komponisten des 20. Jahrhunderts auf die Bühne kam, um sich beim Publikum in einer denkwürdigen Bescheidenheit für den Applaus zu bedanken. Erst heute wird mir die besondere Bedeutung dieses Konzertabends so richtig bewusst. Gemeinsam mit Peter Rösel haben wir dieses Werk dann auch in unseren Sonatenabenden erfolgreich aufgeführt.“

      Doch die Erinnerungen sind nicht durchweg positive: „Allerdings hatte das Studium auch düstere Momente. Heute kann sich jeder Student auf sein Hauptfach und die dazugehörigen musikalischen Nebenfächer konzentrieren. Wir mussten damals solch unsinnige Nebenfächer wie ‚Geschichte der KPdSU‘, ‚Wissenschaftlicher Kommunismus‘, ‚Sozialistische Ästhetik‘ oder ‚Politische Ökonomie des Sozialismus‘ erlernen. Alles Fächer, die ich ja heute so dringend ‚benötige‘. Der einzige Nutzen bestand wohl darin, dass diese Fächer der Vertiefung der russischen Sprachkenntnisse dienten, denn wir Ausländer mussten ja auf Russisch hören und wiedergeben.“

      Funkes vier Jahre älterer Kommilitone Peter Rösel hatte im Fach Klavier am Moskauer Konservatorium ebenfalls das höchste Prädikat errungen. In Moskau erwarb Rösel sich auch nahezu perfekte Russisch-Kenntnisse, hatte jedoch mit dem gerollten „r“ seine Schwierigkeiten. Die Lehrerin erklärte sich diese mit dem „sächsischen Akzent“, wobei unklar blieb, woher sie diesen kennen mochte. Die beiden Dresdener gaben später sehr viele gemeinsame Konzerte im In- und Ausland. Peter Rösel war unter Kurt Masur auch Solist des Gewandhauses. Wie eindrucksvoll die Abende der beiden waren, spiegeln Rezensions-Überschriften wie „Meisterhaftes Duo spielte Brahms“ (Sächsische Zeitung) oder „Beeindruckendes Duo Rösel-Funke“ (Sächsische Neueste Nachrichten) wider. Ein Zeugnis ihrer künstlerischen Harmonie sind ebenso gemeinsame Schallplatteneinspielungen.

      Zum Eröffnungskonzert der Beethoven-Ehrung 1970 spielten in Berlin die Dresdner Philharmoniker unter Leitung von Kurt Masur. Aufgeführt wurde das Tripelkonzert mit Christian Funke, der Cellistin Natalia Gutman und Peter Rösel. Das „Neue Deutschland“ schrieb unter der Rubrik „Beethoven-Ehrung der DDR“: „Das Tripelkonzert dürfte in seinem Beieinander von kammermusikalischen Feinheiten und heiterem Schwung selten so vollendet musiziert worden sein, wie wir es von dem Trio Natalia Gutman (UdSSR) - Peter Rösel - Christian Funke im Konzert der Dresdner Philharmonie hörten.“ (ND, Januar 1970)

      Der 21-jährige Student Christian Funke saß an diesem Abend still bei einem angeregten, mehrsprachigen Künstlertreffen nach dem Konzert. Wie er sich erinnert, verschlossen ihm die Ehrfurcht vor den prominenten Künstlern und deren temperamentvollen Gesprächen den Mund. Das fiel jedoch nach einer Weile auf, und Peter Rösel äußerte: „Funke schweigt in mehreren Sprachen!“. Knapp zehn Jahre nach dem Studium erinnerte sich Christian Funke, inzwischen 1. Konzertmeister beim Gewandhausorchester Leipzig, in einem Interview für die „Sächsische Zeitung“ Dresden an seine Moskauer Zeit: „Ich war ja ziemlich jung und empfand es als große Auszeichnung, dort zu studieren. Das Moskauer Konservatorium ist wohl führend in der Welt, und durch die Konzentration bedeutender Solisten ist man ständig mit Höchstleistungen konfrontiert. Die enge Verbindung von Theorie und Praxis bei den Lehrern, die gesunde Konkurrenz der Studenten aus aller Welt schaffen dort eine Atmosphäre, die sehr anspornt. Und das Moskauer Publikum: die Säle sind immer voll, die Zuhörer sind sehr kennerhaft und kritisch, doch wen das Moskauer Publikum einmal liebt, den trägt es auf Händen.“ (Sächsische Zeitung, 10.12.1981)

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      Mit Peter Rösel und dessen Frau Heidrun im Gewandhaus

      Allerdings: „Wie schwer es aber ist, in Moskau bejubelt zu werden, musste zum Beispiel der weltbekannte Virtuose Ruggiero Ricci erfahren. Er war ja bekannt für seine unglaubliche Violintechnik, aber bei der Interpretation der klassischen Werke von Bach, Mozart, Beethoven und Brahms hatte er so seine Schwierigkeiten. Vielleicht waren ihm diese zu ‚leicht‘. In einem Konzert im Großen Saal des Konservatoriums spielte er neben anderem in der ersten Hälfte die d-Moll-Partita von Bach. Der damalige Noch-Student Gidon Kremer verließ mit krachender Tür den Saal und konstatierte: ‚So etwas Langweiliges habe ich lange nicht mehr gehört.‘ So endete auch die 1. Halbzeit mit einem 0:0. Der Beifall war recht mäßig. In der zweiten Konzerthälfte allerdings drehte der Meister auf und bezauberte den Saal mit seinen Meisterstücken von Paganini etc. Am Ende stand das Publikum Kopf und er hat bestimmt noch zehn Zugaben spielen müssen.“

      Angesichts von Funkes künstlerischer Entwicklung bietet sich die Frage nach dem Lampenfieber an, das nicht wenige Musiker bei Jury-Vorspielen und Bühnenauftritten stark belastet, sogar behindert. Bereits der sehr junge Geiger hatte damit offenbar wenig oder gar nicht zu kämpfen. Heute danach gefragt, bestätigt Christian Funke diesen Eindruck. Viele langjährige Kollegen und Zuhörer beobachten, dass er als 1. Konzertmeister oder Spiritus Rektor des Bachorchesters inmitten musikalischer Stürme wie ein „Fels in der Brandung“ wirkt. Auch als Solist liegt bei ihm alles, was er ausdrücken will, in seiner Musik. Natürlich empfindet er, wie er sagt, vor Auftritten eine freudige, anspornende Erregung. „Diese kann durchaus eine Form des Genusses annehmen, nämlich den, dass man das, was man sogleich aufführen wird, auch selbst erleben und genießen kann. Es kommt aber auch vor, dass sich diese Vorfreude in Grenzen hält. So können sich beispielsweise schlechte Säle, miserable Akustik oder eigene Empfindlichkeiten bei Ärger mit Veranstaltern durchaus die Spielfreude dämpfen. Doch immer siegt die Disziplin.“ Kollegen bestätigen, dass sie seinen immensen Fleiß kennen und schätzen. Die dadurch entstehende Sicherheit ist wohl ein Grund für seine äußerliche und konzentrierte innerliche Ruhe. Die große äußerliche Geste ist seine Sache nicht. Sein Kollege Stefan Altner hat es in die Worte gefasst: „Denn die große ihm innewohnende musikalische Kraft ist ‚seine Sache‘, die braucht keine äußerliche Attitüde.“

      Im Laufe des Berufslebens hatte Funke ungezählte Begegnungen mit namhaften Kollegen aus derselben „Schule“, beispielsweise dem wesentlich jüngeren Vadim Vengerov oder Shlomo Mintz. Doch auch nach vielen Jahrzehnten des intensiven Musizierens in allen möglichen Konstellationen nimmt Christian Funke bis heute besonders künstlerische Begabungen jüdischer Musiker wahr, ohne diese konkret beschreiben zu können.