Hofnarr kleide, und führet den Bub hinauf in eine Kammer, darin er künftighin hause.“
So geschah’s, — und der Irregang war über seiner Mutter Leichnam ins Glück gegangen und war sesshaft geworden im Kaufherrnhaus.
„Jû nârro!“ war der Schmerzensschrei seines Lebens gewesen, heute hatte er ihn vor der Walpurga zum erstenmal aus frohem Herzen gejauchzt! — — — —
Die Nacht war bereits tief hernieder gesunken, als der Sohn des Zigeuners sich noch immer ruhelos auf seinem so ungewohnt weichen Lager umherwarf. — Bitteres, leidenschaftliches Heimweh nach dem toten Mütterlein quälte seine Seele, und erst jetzt, da er sein Schellenhemdlein von sich gestreift, durfte er Schmerz und Klagen freien Lauf lassen. Er war ein Kind seiner Zeit. Er fühlte wild und unbändig, er weinte sich schier die Augen aus dem Kopf. Trockneten aber die Tränen, so war auch, schnell wie sie, das Leid vergessen. Dunkel und windstill war die Nacht; im Haus des Ratsherrn lag alles in tiefem Schlaf. Da ... horch ... was war das? — Eine Vogelstimme schreit durch die Nacht. Irregang zuckt jählings empor. Der Vater! — Und der Ruf wiederholt sich, klingt dicht unter dem Fenster. Ja, es ist der Vater. Er hat ihn ausgewittert, er ruft ihn zur Flucht. — Ein Zittern geht durch des Knaben Glieder. Sein Liebstes, die Mutter und Hinde sind tot; soll er abermals hinaus in jenes entsetzliche Leben voll Schmach, Gefahr und Elend? Nein! um alle Heiligen, nein! ... Horch ... wie er ruft und lockt! — Irregang krampft sich fest an die Bettlade und presst das Angesicht in die Kissen. Die Türen stehen unverschlossen, er kann fliehen, wenn er will, — aber er will nicht. Draussen in der Welt ist’s eine blutige Hetzjagd zwischen Folter und Rad, hier ist tiefer Frieden, lange, lange Ruhe. Und Irregangs ganze Sehnsucht ist Ruhe. Hier ist nur eine Hand, die ihn schlagen wird, und diese Hand ist weich. — Er drückt die Finger auf die Ohren und verharrt regungslos. Die Vogelstimme entfernt sich; Goykos umkreist das Haus. Da springt der Sohn des fahrenden Mannes empor und verkriecht sich in den fernsten, dunkelsten Winkel. Des Zigeuners Ruf schweigt allmählich und verhallt, und Irregang schlüpft zurück auf sein Lager und atmet tief und beruhigt auf. — Stille bleibt’s; totenstill. — Da schläft er endlich ein, erschöpft und sterbensmüde. Er hört auch nicht, wie die Sturmglocke gellt, wie plötzlich der Ruf: „Feuerjo! Bürger heraus!“ ertönt. Das Dach des Peter Helzinger brennt. Aber ein furchtbarer Regen stürzt hernieder und löscht, ehe die Flammen um sich greifen.
Auf dem Berg steht Goykos und ballt die Hand gegen Zwingenberg! „Rache! früh oder spät!“ keucht er, und er schaufelt mit den Händen ein Grab für sein Weib.
VII.
Burg Darsberg war im Jahre 1310 von den Herren von Jossa erbaut, aber bereits um 1346 an die Schenken von Erbach übergegangen, in deren Besitz sie lange Zeiten verblieb. Die Herren von Jossa aber erstrebten ihr ehemaliges Besitztum zurück, gaben all ihr Hab und Gut dahin, das einsame Felsennest wieder zu gewinnen, und hatten infolgedessen nicht die ausreichenden Mittel, die Burg in dem früheren Wohlstand zu erhalten. Die Ritter verarmten mehr und mehr, und die Burg Darsberg beherbergte schliesslich einen Edelmann, welcher ausser Wald, Wiesen und etlichen Hufen Ackerlandes keine goldenen Schätze mehr sein eigen nannte. Leberecht von Jossa war ein finsterer, verschlossener Mann, welcher sich, zerfallen mit Gott und der Welt, nach viel bösen Erfahrungen auf sein einsam Bergschloss zurückgezogen hatte, wie ein grillenhafter unwirscher und menschenfeindlicher Einsiedler daselbst zu leben. Jegliche Neuerung war ihm verhasst, und da weder Krämer noch landfahrende Gäste oder Scholaren Einlass in der Burg fanden, so zog die Zeit spurlos an den grauen Mauern vorüber, alles hinter diesen belassend, wie es zu der Ahnherrn Tagen einfach, anspruchslos und unbekannt gewesen. —
Die Sanduhr streute ihre Körnlein rastlos und gewissenhaft, und solange noch die kränkliche Burgfrau, welche an den Folgen eines schweren Sturzes langsam ihrem Ende entgegen siechte, die milde Hand über des Gatten Faust legte, war das Regiment auf Darsberg ein nicht gar zu rauhes gewesen; da man sie aber eines Morgens kühl und bleich, wie das steingehauene Engelsbild in der Kapelle, auf ihrem Schmerzenslager gefunden hatte, da waren gleicherzeit mit ihren gebrochenen Augen auch die freundlichen Sterne des Ritterschlosses untergegangen. —
Herr Leberecht ward noch unzugänglicher denn zuvor, schloss die Tore gegen jedermann und waltete als strenger, schroffer Gebieter in seiner kleinen freudelosen Welt. Von aller Gelehrtheit und Wissenschaft hatte er eine gar üble Meinung, üppig Leben war ihm ein Greuel, und die Kampfrufe, welche auf dem Gebiet der Kirche laut wurden und die Gemüter der Menschheit zu nie gekannter Leidenschaft erhitzten, drangen entweder gar nicht bis in diese Weltvergessenheit heraus, oder nur in solch schwachem Echo, dass sie bei dem Edeln von Jossa auf taube Ohren stiessen. —
Was kümmerte ihn der Streit der Parteien?
Er war als braver Katholik erzogen, er ging gleichgültig den Weg weiter, welchen er bislang gewandelt war, ohne viel danach zu fragen, wie andere ihre Schritte lenkten. — Wozu auch? — Ob so, oder so, am Ende deckt einen jeden die kühle Erde, und er schläft gleich still und fest im engen Kämmerlein, ob er ein Heiligenbild, nur ein schlicht Kreuzlein, oder einen Stein zu Grabeshäupten stehen hat. — Darüber zerbrach sich der alte Reitersmann nicht den Kopf, fand es auch überflüssig, dass sein Söhnlein mehr lerne, denn just schreiben und lesen, was seiner Meinung nach bereits ein erkleckliches Wissen war, denn er verstand beides nicht. Aber er hatte es manchmal doch vermisst, und der Jorg sollte selber ein Pergament und eine Urkunde lesen können, damit ihn Fremde nicht betrügen, wie einst den Vater.
Aber damit war es auch genug des Guten. Der bejahrte Kaplan verblieb als einziger Vertreter der studierten Leute auf Darsberg zurück, und der Ritter nickte Beifall, als sein halbwüchsiger Sohn ungeduldig Papier und Feder in die Ecke warf, und lieber ein tüchtiger Haudegen, als ein Scribente sein wollte. — Leberecht von Jossa kannte nur ein Vergnügen und eine Beschäftigung, die Jagd, und sein Stammhalter hatte keine Gelegenheit, an etwas anderem Geschmack zu finden. Seit frühester Jugend auf war er angehalten, in allen ritterlichen Tugenden ein Meister zu werden. Jagen, reiten, lanzenwerfen, fechten und armbrustschiessen war sein Tagewerk gewesen, und darum wuchs Jorg empor wie ein kraftvoll schlanker, jugendfrischer Eschenstamm, eben so zäh und schmiegsam wie schmuck zu schauen.
Die Mauern der Burg und die Grenze seiner Waldungen war sein engbemessen, tief abgeschieden kleines Reich, denn sein Vater hielt ihn voll finsteren Hasses den Menschen fern, die er hatte verachten lernen. Die Welt lag fern, fern da draussen, und alles, was der junge Edelmann von ihrem Leid und Glück, Hassen und Lieben wusste, das hatte er aus den sagenhaften Heldengeschichten des Gawein, Artus, Alexander und Tristan, des Parzival und Lancelot erlauscht. Ein heisser Drang nach Wanderzug und Aventiure, nach einem heldenhaft kühnen Ritt durchs Land erfüllte seine Seele, und er empfand es als herbe Sklaverei, dass Leberecht Jossa ihn mit strenger Hand daheim hielt, dass er nie und nimmer erfahren sollte, wie es auf der bunten Heerstrasse der Welt ausschaut.
Da begab es sich eines Tages, dass es an das Burgtor klopfte und der einzige Sohn des Wildmeisters Hanno, des jüngst verstorbenen, zur Heimat kehrte. Der Ritter liess ihn vor sich treten, musterte ihn mit finsterm Blick und sprach: „So du des toten Vaters Pöstlein wacker ausfüllen willst, magst du bei mir bleiben; ist mir lieber, bekannten Mannes Kind, denn fremde Rumtreiber bei mir aufzunehmen.“ — Der Synold Wackerstein blieb, und dies war für den Junker Jorg eine bedeutungsschwere Neuerung. Da er den flotten Weidgesell mit dem wetterbraunen verschmitzten Gesicht, den schalkhaften Augen und dem nimmer müden Mundwerk zuerst erblickte, wie er den schwarzen Schnurrbart mit Pech zusammengedreht hatte, dass er wie zwei lange Stacheln rechts und links zur Seite stand, wie er den Hut so keck auf dem Ohre trug und die Hände in die weiten Hosen steckte, da erschien er ihm wie ein fremdes höheres Wesen. Und da er gewahrte, was für ein gereister und landerfahrener Mann der Synold war, wie er nicht müde wurde, die ergötzlichsten Schwänke zu erzählen, und bei den Jagdritten dem Junker die launigste Kurzweil schaffte, da schloss er ihn voll warmer Freundschaft in das Herz, und es gab hinfort keinen besseren Freund für ihn, als der Weidgeselle Synold, sein Bediensteter mit dem übermütigen Gebaren und der nie getrübten Laune. —
Aber des Burschen Erzählungen fachten einen Funken zur Flamme, und da es dem Wackerstein, der an ein abenteuerlich Wanderleben gewöhnt war, gar einsam und langweilig in der Burg ward, so schürte er mit Vorbedacht des jungen Ritters Ungestüm, ihn