Leberecht hatte seiner siebenzig Jahre nicht gedenken wollen, war bei Frühlingssturm und Regen zum Tann geritten und hatte in durchnässtem Wamse viele Stunden lang ein Wild verfolgt. Da er heimkam, war er ein kranker Mann. Der Kaplan, der sich ein wenig auf Arzneikunde verstand, versuchte nach bestem Willen das Übel zu bekämpfen, aber der brave Torwart Lambert schüttelte den Kopf und sprach: „Es ist ein Lungenfieber, dawider ist kein Kraut gewachsen. Kenne es, hat meine Mutter selig auch aufs Bahrtuch gebracht!“
Er hatte recht gesagt. Nach kaum fünf Tagen klang das Glöcklein über der Kapelle und kündete es den rauschenden Wipfeln im Walde drunten, dass der Edle von Jossa heimgegangen sei als ein braver Christ. Und sein Sohn vergoss aufrichtige Tränen des Schmerzes und küsste zum letztenmal die erkaltete Hand, welche schwer aber dennoch voller Liebe auf ihm gelegen.
Die dunkle Pforte der Gruft tat sich auf, und Herr Leberecht ging ein in das Kämmerlein darin sein Weib schon ruhte. Die Hammerschläge klangen dumpf herauf auf den Hof, wo die Dienstbaren in feierlichem Schweigen verharrten, der Weihrauch duftete, der Gesang verhallte, und die Riegel legten sich wieder vor das morsche Holz der Türe.
Ein frischer Windzug aber blies durch Hof und Hallen, als wollte er sagen: Das Alte ist gesunken, und eine neue Zeit bricht an! — und die Linden im Hof hatten über Nacht die Knospen gesprengt, als schauten sie mit hoffnungsvollen Augen hernieder auf den jungen Rittersmann, welcher ein ebenso frisch aufblühend Reis auf altem Stamme war, als ihre maiengrünen Zweige.
Ja, Junker Jorg war ein frisches Reis! — Hoch und schlank und doch eine kraftvoll markige Gestalt, trug er sein Haupt auf eisenfesten Schultern, mit etwas täppisch ungeschickten, aber sichern Schritten in das Leben tretend. Sein ganzes Wesen war Kraft und strotzende Jugendfrische, derb und ungeschliffen, wie das eines Jünglings, welcher unter Männerhänden in tiefster Einsamkeit emporgewachsen. Treuherzig, grundehrlich und voll heitern Mutes lachten seine Blauaugen im frischgeröteten Angesicht, und die blonden Haare lockten sich hernieder auf die Schultern, just so, wie sie der liebe Herrgott hatte wachsen lassen. —
Die Fahrstrasse lag weit ab von Burg Darsberg! Es war kein giftiges Stäublein herüber geweht worden in die Jagdgründe und den Pallas des jungen Ritters und obwohl Jorg bereits in seinem vierundzwanzigsten Lebensjahre stand, war er dennoch ein Kind an Herz und Seele geblieben, ein braves, unverdorbenes Gemüt, welches glaubt und vertraut, welches in beinah weichherziger Gutmütigkeit nur Liebe und Freundschaft gibt und wieder verlangt. —
Auch Synold, obwohl er die Welt auf zerrissenen Schuhsohlen gemessen und als leichter Vogel hin und her geflattert war, hatte wohl als Landsknecht und Wanderbursch manche Narbe in sein lustig Angesicht, aber keinen dunklen Fleck auf sein Gewissen gezeichnet. Er war ein gutherziger, braver Gesell, leichtlebig und nicht sonderlich zur ernsten Arbeit aufgelegt, hatte stets den Kopf voll Schelmenstreiche und mochte lieber mit flinkem Arm ein fröhlich Abenteuer ausfechten, als daheim sitzen und Pflug oder Axt im Burgfried führen.
So hatte er denn abgewartet, bis die Trauerzeit verstrichen, und sein junger Gebieter wieder Lust und Freude am heitern Verkehr zeigte, und hatte alsdann das Eisen mit kräftigem Hammer geschmiedet und noch viel dringlichere Wanderlustliedlein gesungen, denn die Schwalben, welche heimgekommen waren und ihre Grüsse durch die blaue Luft jubelten. —
Da hatten Jorg von Jossas Augen aufgeleuchtet in ungestümer Sehnsucht, und er war mit dem Synold hinauf zur Rüstkammer geschritten, ihr geheimnisvolles Reich zum erstenmal als Burgherr zu betreten. Hei, wie es ihm da so wehrhaft und köstlich entgegenblinkte! Voran stand des Vaters Rüste, ein schlichtes, dunkles Eisenkleid, prunklos, aber schier steinern in seiner trefflichen Arbeit. Das war ein Zaubermantel für gefahrvolle Streifzüge durch fremdes Land. Und hier das Schwert „Sigenôt“, der mächtige Zweihänder, der seinen Herrn nun und nimmer im Stich lassen wird, und wenn ihn sechs Sarazenenräuber auf einmal anfallen! — Jorg fasste den schweren Griff und liess die alte Waffe mit kraftvollen Armen durch die Luft sausen. Ein scharfer, pfeifender Laut, — der junge Körper neigte sich in elastischer Muskelkraft und eine Blutwelle stieg heiss in des Jünglings frisches Angesicht. — Hier gar der Helm! Da Synold ihn auf des Gebieters blonde Locken drückt, schaut er beinah zärtlich auf diesen schmucken Ritter, den man für ein rotwangig Mägdelein halten könnte, wenn der Schnurrbart sich nicht allzu männlich über den Lippen kräuselte. „So, nun schnalle mir auch den Harnisch zur Probe auf den Leib!“ lacht der Junker, „auf dass ich fix und fertig mein Bild als Reitersmann spiegeln kann! Fehlt nichts mehr, Synold, denn mein Rapp im Stall!“
„Und die Feldbinde? das vornehme Anzeichen dafür, dass Ihr ein edelgeboren Ritterblut seid?“
„Eine Feldbinde? Schau hin, diese, die dort hängen, sind mürbe und farblos vom Alter.“
„Ei, so müsst Ihr Euch bald ein feines Jungfräulein als Herzliebste anschaffen, auf dass sie Euch die Farben heimlicher Minne um die Brust schlingt!“
Jorg wurde blutrot und lachte: „Damit hat’s noch gute Wege! Habe schon manch dralles Dirnlein im Dorf drunten gesehen, und hat keine mein Herz gewonnen!“
Synold zuckte die breiten Schultern. „Bauerndirnen! wie mögen die in eines Edeln Auge stechen! Habt fein acht, Junker, wenn wir einreiten in die Hofburgen und die grossen Städte, da gibt’s viel schöne Schätzelein zu schaun! Aber auf diese können wir nicht mit dem ritterlichen Abzeichen warten! Lasst uns schauen, ob Eure Frau Mutter nicht die seidenen Schärpen in der Truhe verwahrt hat, — in der Trödelkammer zur Seiten steht alles Gerät, das von der Seligen Leibeskleidung und Nachlass herrührt.“
Der Riegel wich knarrend zurück, und der Erbe vo Darsberg stampfte auf seinen schweren Reiterstiefeln über die Schwelle. Er musste sich bücken in dem niedern Raum, über welchen das Dach schräg zur Seiten abfiel.
Da standen buntgemalte Laden und Truhen an den Wänden umher, und die beiden wanderlustigen Gesellen machten sich daran, sie zu durchwühlen. Da lag ein verknotetes Päcklein obenauf, und da Jorg es öffnete, fiel ihm ein Stück scharlachfarbene Seide, wohl an drei Ellen lang, entgegen, und darin lag ein zierlich gefalteter Brief. — Das Datum nannte just den Todestag der Edlen von Jossa, und der Brief war geschrieben aus der Stadt Zwingenberg. Nicht ohne Mühe entzifferte der Junker die verschnörkelte Schrift und las mit Staunen, dass eine Frau Edelgarde von Hardenau (deren Eheherr Gerhard von Hardenau sich ein Haus in Zwingenberg erbauet, weil er alle seine Liegenschaften und das Schloss an den Landgrafen Philipp verkauft) seine Mutter vielliebe und ernsttugendsame Base nennt und ihr zum Namenstag beiliegend Stück Scharlach zu einem Ärmelfutter sendet. Und selbe Frau Edelgarde erzählt von dem Wohlergehn ihrer Lieben und gedenkt auch ihres jungen Töchterleins Britta, so ein gar liebliches Dirnchen sei und jetzt mit Gottes Hülfe ein tückisch Rotfieber bestanden habe.“
Der Edle von Jossa schaute mit hochgerötetem Antlitz von dem Schreiben auf. „Eia über solch einen trefflichen Fund! Habe ich in der Stadt Zwingenberg Blutsverwandte sitzen, davon mir nie eine Menschenseel’ gesprochen. War ein wortkarger Mann, mein Vater, und mit der ganzen Sippe zerfallen. Nun aber weiss ich unsrer Reise ein erstes Ziel, Synold, heisset Zwingenberg, und selben Scharlach schneidet mir die Vogtin zur Feldschärpe, auf dass ich prächtig geschmückt durchs Stadttor reite!“
Dabei wandte sich der Junker, um hastig zur Hausfrau des Amadeus hinab zu schreiten, aber er wandte das Haupt jählings und schaute noch einmal zurück. In einem Winkel lag hoch zu Hauf all sein Kinderspielwerk, seine Armbrust, Schirmschwert, Vogel- und Kugelspiel, und wie der junge Ritter voll freudiger Rührung herzutritt, solch lieben Tand näher zu schauen, da neigt er sich plötzlich nieder und zieht mit leisem Ruf des Staunens ein buntfarbig Narrenkäpplein unter dem Kram hervor. „Des Irregangs Schellenhaube! Ei, über solch eine Freude! Hab es vor Jahren gesucht mit weinenden Augen, da es mir verloren war, und nun fällt’s mir so unvermutet in die Hand! — Klein Irregang! hab’ ihn nicht vergessen, den absonderlichen Bub, war er doch das einzige Kasparlein, das ich jemals geschaut!“ — und der Junker sah die bunte Kappe mit denselben leuchtenden Kinderaugen an, wie dazumal, als ihn dieses Geschenk so hoch beglückte, und legte die Hand gewichtig auf seines dienstbaren Freundes Schulter. „Ist ja der Zierrat vom Irregang, von dem ich dir soviel des Erstaunlichen erzählte!“ erinnerte er eifrig.
Synold stand breitbeinig