Anthrax-Erreger quer durch die Vereinigten Staaten in 51 Labore sowie nach Australien, Kanada und Südkorea verschickt worden waren.133 In einem weiteren Artikel hieß es: »Das Pentagon bestätigte, dass der Vorfall untersucht werde. Es bestehe kein gesundheitliches Risiko für die Öffentlichkeit. Es würden allerdings vier Labormitarbeiter vorsorglich behandelt.«134
Wenige Monate später wurde festgestellt, dass die US-Armee diese womöglich aktiven Sporen des Biokampfstoffs Anthrax (Milzbrand-Erreger) bei NATO-Übungen in Deutschland eingesetzt hatte.135 Der Focus schrieb dazu im Juli 2015: »Sporen des tödlichen Erregers wurden in ein Labor der Amerikaner im rheinland-pfälzischen Landstuhl geliefert. Weil es zu Unregelmäßigkeiten kam, könnten die Sporen noch aktiv sein […] Anthrax-Sporen verursachen Milzbrand und können mehrere Jahrzehnte aktiv bleiben. Vergangenes Jahr waren staatliche Einrichtungen in den USA immer wieder wegen eines schlampigen Umgangs mit gefährlichen Substanzen in die Kritik geraten. Die Gesundheitsbehörde CDC schloss zwei ihrer Labore, eines davon wegen unsachgemäßen Umgangs mit Anthrax.«136
In den USA hat der fragwürdige und oft unethische Umgang mit Experimenten und Biowaffen eine lange Geschichte.
Dem kollektiven Bewusstsein entgangen sind z. B. die von 1946 bis 1948 in Guatemala durchgeführten US-Syphilisexperimente. Dabei wurden Prostituierte, Soldaten, Strafgefangene, geistig behinderte Patienten und auch Kinder vorsätzlich mit Syphilis und anderen Krankheitserregern infiziert (insgesamt ca. 5000 Personen). Diese Experimente wurden von der guatemaltekischen Regierung als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« eingestuft.137
2019 haben 444 der überlebenden Opfer dieser abscheulichen »Versuche« in den USA eine Klage eingereicht gegen die Rockefeller Foundation, die Johns Hopkins University und den Pharmakonzern Bristol-Myers-Squibb.138 Die Rockefeller Foundation bestreitet jegliche Involvierung in das damalige Projekt. Die Johns Hopkins University veröffentlichte eine Stellungnahme auf ihrer Webpage: »Johns Hopkins drückt sein tiefes Mitgefühl für die Personen und Familien aus, die von der beklagenswerten Syphilis-Studie betroffen sind, die in den 1940er-Jahren von der US-Regierung in Guatemala durchgeführt wurde. Dies war keine Johns Hopkins-Studie.[…]. Von einer präsidialen Kommission wurde eindeutig festgestellt, dass diese skrupellose Forschung von der Regierung der Vereinigten Staaten finanziert und durchgeführt wurde. […]«139 (Hervorhebungen durch die Autorin)
Der Pharmariese Bristol-Myers-Squibb hat sich bislang nicht zu dieser Klage geäußert (Stand: Ende Mai 2020).
Die Liste der unethischen Experimente, die in den USA selbst durchgeführt wurden, ist lang – siehe z. B. auch die Syphilis-Experimente in Tuskegee und Terre Haute.140
Trotz eindeutiger Gesetze scheint bei klinischen Studien immer noch eine gewisse Unachtsamkeit oder auch Risikobereitschaft vorzuherrschen. So hat ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Indien 2013 festgestellt, dass die internationale gemeinnützige US-Organisation PATH minderjährige Mädchen ohne Einverständnis ihrer Eltern in Studien zur Papilloma-Virus-Impfung einbezogen hatte.141 Eine Klage ist derzeit beim Obersten Gericht Indiens anhängig (Stand: Juni 2020).142
Einen überbordenden Forschergeist bewiesen 2005 Wissenschaftler der US-Gesundheitsbehörde CDC, die in ihrem Labor das Spanische-Grippe-Virus gentechnisch erneut ins Leben riefen. Die Labormäuse, die diesen Viren ausgesetzt wurden, starben allesamt.143 Im darauffolgenden Jahr wurde von den US-Gesundheitsinstituten NIH die Herstellung eines experimentellen Impfstoffes gegen diese Grippe bekanntgegeben.144
Was wäre geschehen, wenn dieses hochgefährliche »wiederauferstandene« Virus vor der Entwicklung des Impfstoffs aus dem Labor entwichen wäre? Nicht auszumalen. »Entkommene Viren sind wie Funken auf trockenem Boden: Viele erlöschen, ohne Schaden zu verursachen, aber einer genügt, um einen Flächenbrand auszulösen. Wir wissen beispielsweise, dass das SARS-Coronavirus mindestens siebenmal aus virologischen Labors ausgetreten ist«, so Spektrum der Wissenschaft vom 29. April 2020.145
Einem Bericht von Nature zufolge sind die meisten Vorfälle in biologischen Hochsicherheitslaboren auf menschliche Fehler zurückzuführen.146
Üblicherweise sind Fakten dazu da, gegeneinander abgewogen zu werden, damit man sich aus verschiedenen Quellen, Informationen und Perspektiven eine wahrheitsnahe Meinung bilden kann. Im Fall von SARS-CoV-2 ist das jedoch noch nicht abschließend möglich, da uns (aus China wie aus den USA) noch zu viele Puzzlestücke fehlen, um uns ein komplettes Bild vom Ursprung dieses Virus machen zu können.
Obwohl diese Frage vielleicht nie mit hundertprozentiger Sicherheit beantwortet werden kann, haben die verschiedenen auch in den sozialen Medien aufgestellten Hypothesen zumindest den Vorteil, unser Augenmerk verstärkt auf die zivilen und militärischen Hochsicherheits-Forschungslabore zu lenken. Heutzutage ist es selbst für einen Biologiestudenten kein Problem mehr, bestimmte Organismen mit den richtigen chemischen Werkzeugen zu verändern. So begrüßenswert die rasche Entwicklung in der Genetik ist, birgt sie doch auch immense Risiken.
Menschen machen Fehler – aber Fehler in (Hoch-)Sicherheitslaboren, in denen aus welchen Gründen auch immer mit hochinfektiösen oder gar tödlichen Krankheitserregern geforscht und experimentiert wird, können weltweit leicht zu einer Art russischem Roulette werden.
Die globale Ausbreitung eines per Zufall aus einem solchen Labor entkommenen pathogenen Virus kann niemals ausgeschlossen werden. SARS-CoV-2 führt uns einmal mehr vor Augen, wie gefährlich solche Einrichtungen sind und dass wir auch auf diesem Gebiet dringend und möglichst schnell eine Lösung finden sollten. Dies umso mehr in einer Zeit, die von Wirtschaftskonflikten, Finanzkriegen und einem erneuten Wettrüsten geprägt sind.
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