Edgar Rice Burroughs

Tarzan – Band 1 – Tarzan und die weiße Frau


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Blick auf die­se Zeu­gen ei­ner furcht­ba­ren Tra­gö­die. Sein wil­des Dschun­gel­le­ben hat­te ihn an den An­blick to­ter und ster­ben­der Tie­re ge­wöhnt. Auch wenn er ge­wusst hät­te, dass er auf die Über­res­te sei­ner El­tern blick­te, so wäre er nicht ge­rühr­ter ge­we­sen.

      Die Mö­bel und der üb­ri­ge In­halt des Rau­mes fes­sel­ten sei­ne Auf­merk­sam­keit mehr. Er be­sich­tig­te man­che Din­ge mi­nu­ten­lang, das fremd­ar­ti­ge Hand­werks­zeug, die Waf­fen, die Bü­cher, Pa­pier und Klei­der, die den Ver­hee­run­gen der Zeit in der feuch­ten Luft der Dschun­gel­hüt­te nur we­nig wi­der­stan­den hat­ten.

      Er öff­ne­te Kas­ten und Schrän­ke, die ihm völ­lig neu wa­ren, und in die­sen fand er den In­halt viel bes­ter er­hal­ten. Un­ter an­de­rem ent­deck­te er ein schar­fes Jagd­mes­ser, mit dem er sich schon gleich in den Fin­ger schnitt. Das hin­der­te ihn aber nicht, wei­te­re Ver­su­che da­mit an­zu­stel­len, und er fand, dass er mit sei­nem neu­en Spiel­zeug Holz­split­ter vom Tisch und von den Stüh­len ab­schnei­den konn­te. Das amü­sier­te ihn eine gan­ze Wei­le, aber schließ­lich wur­de er des­sen über­drüs­sig, und er setz­te sei­ne Nach­for­schun­gen fort.

      In ei­nem mit Bü­chern ge­füll­ten Schrank fand er eine Kin­der­fi­bel mit schö­nen far­bi­gen Bil­dern, die sei­ne Neu­gier aufs höchs­te er­reg­ten.

      Da gab es man­cher­lei Af­fen, die ein ähn­li­ches Ge­sicht hat­ten, wie er, und gleich beim ers­ten Buch­sta­ben A fand er auch klei­ne Af­fen, wie er sie täg­lich im Ur­wal­de auf den Bäu­men um­her­klet­tern sah. Aber nir­gends fand er im Buch ein Bild von sei­nem ei­ge­nen Volk, kein Bild von Ker­schak, Tu­blat oder Kala.

      Zu­erst ver­such­te er, die klei­nen Fi­gu­ren von den Blät­tern weg­zu­neh­men, aber bald sah er, dass sie nicht le­bend wa­ren, ob­schon er nicht wuss­te, was sie ei­gent­lich sei­en und er auch kei­ne Wor­te hat­te, sie zu be­schrei­ben.

      Die Schif­fe und Ei­sen­bahn­zü­ge, die Kühe und Pfer­de, die er im Buch sah, wa­ren ganz sinn­los für ihn, da er sich nicht vor­stel­len konn­te, was das sein moch­te, aber noch viel we­ni­ger konn­te er be­grei­fen, was die Buch­sta­ben sein soll­ten, die­se klei­nen Din­ger, die sich un­ter und zwi­schen den far­bi­gen Bil­dern be­fan­den. Er dach­te, es könn­te eine sel­te­ne Art Kä­fer sein, denn vie­le von ih­nen hat­ten Bei­ne, ob­gleich nir­gends Au­gen oder ein Mund zu se­hen war.

      Das war also Tar­zans ers­te Be­kannt­schaft mit den Buch­sta­ben des Al­pha­bets, und da­bei war er schon über zehn Jah­re alt! Na­tür­lich hat­te er nie et­was Ge­druck­tes ge­se­hen, hat­te auch nie mit ei­nem le­ben­den We­sen ge­spro­chen, das et­was von dem Vor­han­den­sein ei­ner ge­schrie­be­nen Spra­che wuss­te. Auch hat­te er noch nie je­mand le­sen ge­se­hen.

      Es war also kein Wun­der, dass der Jun­ge den Sinn der selt­sa­men Fi­gu­ren nicht er­ra­ten konn­te.

      Ge­gen die Mit­te des Bu­ches fand er sei­ne alte Fein­din, die Lö­win Sa­bor, und wei­ter sah er Hi­stah, die Schlan­ge, sich win­den.

      O, das war sehr in­ter­essant! Nie­mals in all die­sen Jah­ren hat­te er sich über et­was so ge­freut. Er war so ver­tieft in die Be­trach­tung der Bil­der, dass er nicht be­merk­te, wie die Dun­kel­heit her­ein­brach, bis er die Fi­gu­ren nicht mehr deut­lich un­ter­schei­den konn­te.

      Er leg­te das Buch in den Schrank zu­rück und schloss die Tür, denn er woll­te nicht, dass sonst je­mand sei­ne Schät­ze fin­den und zer­stö­ren soll­te. Als er in die Abend­däm­merung hin­aus­ging, schloss er die Tür der Hüt­te so hin­ter sich zu, wie sie war, ehe er das Ge­heim­nis der Hüt­te ent­deckt hat­te. Zu­vor aber hat­te er noch das Jagd­mes­ser vom Bo­den auf­ge­ho­ben, um es sei­nen Ka­me­ra­den zu zei­gen.

      Er war noch kaum zwölf Schrit­te ge­gan­gen, als sich aus dem Schat­ten ei­nes Ge­bü­sches vor ihm eine große Ge­stalt er­hob. Zu­erst dach­te er, es sei ei­ner von sei­nem ei­ge­nen Vol­ke, aber dann er­kann­te er plötz­lich Vol­ga­ni, den Rie­sen-Go­ril­la.

      Er war so nahe, dass sich ihm kei­ne Aus­sicht zur Flucht bot. Der klei­ne Tar­zan wuss­te, dass er für sein Le­ben zu kämp­fen hat­te, denn die großen Tie­re wa­ren die Tod­fein­de sei­nes Stam­mes.

      Wäre Tar­zan ein voll er­wach­se­ner Affe ge­we­sen, da hät­te er den Kampf mit dem Go­ril­la schon aus­ge­nom­men, aber er war nur ein klei­ner eng­li­scher Jun­ge, wenn auch sehr mus­ku­lös für sein Al­ter. Wenn er auch sei­nem grau­sa­men Feind nicht ge­wach­sen war, so floss in sei­nen Adern doch das Blut ei­ner mäch­ti­gen Kämp­fer­ras­se, und dazu kam, dass er sich wäh­rend sei­ner kur­z­en Le­bens­zeit un­ter die­sem wil­den Dschun­gel­vol­ke or­dent­lich trai­niert hat­te.

      Er kann­te kei­ne Furcht, ob­gleich sein Herz schnel­ler schlug, wenn er ein Aben­teu­er er­leb­te. Wohl hät­te er ver­sucht, zu ent­kom­men, weil er sich sag­te, dass er dem großen Go­ril­la nicht ge­wach­sen war, aber da er ein­sah, dass die Flucht un­mög­lich war, trat er ihm tap­fer ent­ge­gen, ohne auch nur mit ei­nem Mus­kel zu zu­cken.

      Er kam dem wil­den Tier so­gar bei sei­nem An­griff halb­wegs ent­ge­gen. Mit den Fäus­ten schlug er auf das Un­ge­tüm ein, und wenn das auch an und für sich so un­nütz ge­we­sen wäre wie der Kampf ei­ner Flie­ge ge­gen einen Ele­fan­ten, so hielt er doch noch in der einen Hand das Mes­ser, das er in der Hüt­te ge­fun­den hat­te, und als das Tier sich ihm schla­gend und bei­ßend nä­her­te, rich­te­te er die Spit­ze des Mes­sers zu­fäl­lig ge­gen des­sen haa­ri­ge Brust. Als es sich nun tief in den Kör­per hin­ein­bohr­te, schrie der Go­ril­la vor Schmerz und Wut auf.

      In die­ser kur­z­en Se­kun­de lern­te der Kna­be sein schar­fes glän­zen­des Spiel­zeug als Waf­fe ge­brau­chen, und als das Tier ihn zu Bo­den schlug, um ihn zu zer­rei­ßen, stieß er ihm die Klin­ge wie­der­holt bis ans Heft in die Brust.

      Der Go­ril­la, der auf sei­ne Art kämpf­te, ver­setz­te dem Kna­ben schreck­li­che Schlä­ge mit sei­ner Hand und riss ihm mit sei­nen ge­wal­ti­gen Hän­den das Fleisch von Hals und Brust.

      Ei­nen Au­gen­blick lang wälz­ten sich die bei­den in wil­dem Kampf auf dem Bo­den. Die Stö­ße, die der Jun­ge mit sei­nem blu­ti­gen, zer­fleisch­ten Arme aus­führ­te, wur­den im­mer schwä­cher, und end­lich erstar­ben die Be­we­gun­gen mit ei­nem krampf­haf­ten Ruck: Tar­zan, der jun­ge Lord Grey­sto­ke, roll­te wie leb­los auf die ab­ge­stor­be­ne Pflan­zen­de­cke des Dschun­gel­bo­dens.

      Eine Mei­le weit im Wal­de hat­te der Stamm den wil­den An­griffs­schrei des Go­ril­las ge­hört. Ker­schak hat­te die Ge­wohn­heit, sei­ne An­ge­hö­ri­gen zu­sam­men­zu­ru­fen, wenn Ge­fahr droh­te, teils um sich ge­gen­sei­tig ge­gen einen ge­mein­sa­men Feind zu schüt­zen, teils um sich zu über­zeu­gen, ob auch noch alle Mit­glie­der sei­nes Stam­mes vor­han­den wa­ren.

      Das tat er denn auch dies­mal, zu­mal man nicht wis­sen konn­te, ob je­ner Go­ril­la viel­leicht nur ei­ner von meh­re­ren war. So merk­te man, dass Tar­zan fehl­te. Tu­blat wehr­te sich aber hef­tig da­ge­gen, ihm zu Hil­fe zu ei­len. Ker­schak selbst moch­te den klei­nen frem­den Find­ling auch nicht or­dent­lich lei­den, und so ließ er sich von Tu­blat über­re­den, mit ei­nem Ach­sel­zu­cken kehr­te er zu der Stel­le zu­rück, wo er sich auf ei­nem Hau­fen Blät­ter sein La­ger be­rei­tet hat­te.

      Kala dach­te aber an­ders. Kaum hat­te sie be­merkt, dass Tar­zan