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Philosophieren mit Dilemmata


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als die Nazis bereits beginnen, ihr die Kinder zu entreißen, dass ihr Sohn weiterleben soll.

      Egal, welche Entscheidung Sophie auch trifft, sie hat keine Option, in irgendeiner Weise richtig zu agieren. Trifft sie die Wahl, dass ihr Sohn weiterleben darf (Möglichkeit A), entscheidet sie sich gegen ihre Tochter, die dann in einer Gaskammer ihr Leben verlieren wird. Trifft sie die Wahl, dass ihre Tochter weiterleben darf (Möglichkeit B), muss ihr Sohn sein Leben hingeben. Trifft sie keine Wahl (Möglichkeit C), sterben beide Kinder. Man kann also sagen, dass Sophies Handeln zugleich etwas Positives als auch Negatives bewirkt. Positiv ist die Tatsache, dass sie einem ihrer Kinder das Leben retten kann, negativ, dass sie das andere dem Tod preisgeben muss. Indem Sophie sich gegen eines ihrer Kinder wendet, verstößt sie unweigerlich gegen das moralische Gebot, jeglichen (körperlichen) Schaden von Menschen grundsätzlich fernzuhalten.

      Ethisch-moralische Dilemmata im Philosophie- und Ethikunterricht

      Aber es ist genau diese Aporie, die sich in besonderem Maße für den Einsatz im Philosophie- und Ethikunterricht eignet. Die Gründe dafür sind mannigfaltig:

      1. In Anlehnung an den amerikanischen Psychologen Lawrence Kohlberg sollen die am Philosophie- bzw. Ethikunterricht teilnehmenden Schülerinnen und Schüler ihre jeweilige moralische Kompetenz erweitern. Dazu bieten sich Dilemmadiskussionen an, denn sie fordern zu einer begründeten Stellungnahme geradezu heraus.

      2. Je mehr ethische Positionen Schülerinnen und Schüler kennen, desto kenntnisreicher können sie Dilemmata dahingehend analysieren, welche ethische Theorie dazu beiträgt bzw. welche ethischen Theorien dazu beitragen können, zu einer eventuell vertretbaren Lösung des aufgeworfenen Problems zu gelangen.

      3. Auch der hohe motivationale Charakter, der von Dilemmageschichten ausgeht, darf keineswegs außer Acht gelassen werden. Gerade weil unterschiedliche Positionen eingenommen werden können, mag dies eine höhere Beteiligung an den häufig sehr konträr geführten Diskussionen zur Folge haben. Auf dieses Weise kann außerdem die Gesprächskultur innerhalb einer Klasse oder eines Kurses weiter gefördert werden.

      Kohlberg, der seine (ausschließlich männlichen) Probanden mit Dilemmata buchstäblich überfrachtete, musste allerdings einsehen, dass sich eine moralische Weiterentwicklung nicht allein durch den permanenten Einsatz von Dilemmata erreichen ließ. Dennoch ist es ihm – sozusagen als Vater des methodischen Einsatzes von Dilemmata – zu verdanken, dass im modernen Philosophie- und Ethikunterricht der Auseinandersetzung mit moralischen bzw. negativen Dilemmageschichten eine tragende Rolle zukommt.

      Aus den angeführten Aspekten erwächst geradezu die Notwendigkeit des unterrichtlichen Einsatzes von Dilemmata. Dabei ist es sinnvoll, dass ein zur Verwendung kommendes Dilemma möglichst der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler entstammt. Der Vorteil einer solchen Dilemmageschichte liegt darin, dass sie, ohne Umwege einzuschlagen, direkt zum Problem der Schülerinnen und Schüler avanciert. Benutzt man allerdings ein Dilemma, das – wie Sophies Wahl – fernab der Lebenswelt der Lernenden liegt, so regt es natürlich auch zum Denken an. Damit es sich aber für die Moralentwicklung als gewinnbringend erweist, ist es von entscheidender Bedeutung, dass es von den Schülerinnen und Schülern nicht als weit von ihnen entferntes und daher für sie irrelevantes fiktionales Beispiel wahrgenommen, sondern in seiner ganzen Dramatik nicht nur mitgedacht, sondern auch mitgefühlt wird.

      Der Aufbau des Buches

      Wie in den beiden bisher erschienenen Bänden Philosophieren mit Filmen im Unterricht und Philosophieren mit Gedankenexperimenten hat sich auch für dieses Buch eine Dreiteilung in einen Theorie-‍, einen Praxis- und einen Materialteil angeboten.

      Der Theorieteil umfasst alle maßgeblichen deutschsprachigen Ansätze, die sich aus didaktischer Sicht mit dem Einsatz von Dilemmata im Philosophie- und Ethikunterricht der Sekundarstufen beschäftigen. Die Rezipientinnen und Rezipienten, für die sich der Umgang mit Dilemmata als etwas Neues darstellt, können hier die theoretische Basis dafür kennenlernen