Ägypter war…“, verwendet Freud die Metapher vom „ehernen Bild auf tönernen Füßen“, die etwas abgewandelt auch in seinem Briefwechsel wiederkehrt. Yerushalmi hat recht, wenn er das „erschreckend großartige Bild“, von dem im Briefwechsel mit Arnold Zweig die Rede ist, auf Freuds dritte Abhandlung bezieht.74 Bevor ich mich deren Diskussion zuwende, möchte ich aber noch die historischen Umstände beleuchten, die Freuds tiefes Nachdenken über den ägyptischen Ursprung Moses’ und des jüdischen Monotheismus begleitet haben. Freud berichtet in seiner Korrespondenz der dreißiger Jahre freimütig vom Gang der Untersuchungen. Insofern ist der Briefwechsel eine reiche Quelle für Material, das genaueren Einblick in Freuds Planung, Motivation und auch das Zurückschrecken vor der Veröffentlichung seiner Ergebnisse gewährt.
Die ersten beiden Abhandlungen wurden 1937 in der Zeitschrift Imago veröffentlicht, zu einem Zeitpunkt also, als Freud noch in Wien lebte. In beiden Abhandlungen macht er Andeutungen, welche Schlußfolgerungen er aus dem „Faktum“, daß Moses ein ägyptischer Aristokrat gewesen sei, der das jüdische Volk zu Anhängern des Monotheismus Echnatons auserkor, ziehen wird. Er tut aber so, als seien diese Schlußfolgerungen einer zukünftigen Arbeit aufgegeben, die möglicherweise nie abgeschlossen würde. Freud war 1937 einundachtzig Jahre alt, er litt unter einer schmerzhaften und kräftezehrenden Krebskrankheit, fühlte seinen Tod nahen. Er verschloß sich noch immer den Bitten seiner Familie und Freunde, Wien zu verlassen. Gleichwohl wissen wir, daß Freud bereits 1934 „seine Gedanken über Moses und die Religion zum größten Teil entworfen und geschrieben hatte – Gedanken, in die er sich für den Rest seines Lebens vertiefen würde.“75 Schon in Freuds Manuskript des ersten Entwurfs finden wir die zentralen Thesen der dritten Abhandlung – eben jenes Material, auf das er sich bezieht, wenn er am Ende der zweiten Abhandlung „Wenn Moses ein Ägypter war…“ von der zukünftigen, noch zu schreibenden Fortsetzung spricht. Am 6. November 1934, drei Jahre vor der Veröffentlichung der ersten beiden Abhandlungen, schreibt Freud an Arnold Zweig: „Ich verlange doch mehr Sicherheit und mag nicht, daß mir die wertvolle Schlußformel des Ganzen durch die Montierung auf eine Basis gefährdet wird.“76 Am 16. Dezember 1934 schreibt Freud erneut, diesmal von seinen Publikationsbedenken:
„Mit dem Moses lassen Sie mich in Ruhe. Daß dieser wahrscheinlich letzte Versuch, etwas zu schaffen, gescheitert ist, deprimiert mich genug. Nicht daß ich davon losgekommen wäre. Der Mann, und was ich aus ihm machen wollte, verfolgt mich unablässig. Aber es geht nicht, die äußeren Gefahren und die inneren Bedenken erlauben keinen anderen Ausgang des Versuchs. Ich glaube, mein Gedächtnis für rezente Vorgänge ist nicht mehr verläßlich. Daß ich Ihnen in einem früheren Brief genug darüber geschrieben habe, daß Moses ein Ägypter ist, ist nicht das Wesentliche, obwohl der Ausgangspunkt dafür. Es ist auch nicht die innere Schwierigkeit, denn es ist so gut wie gesichert. Sondern die Tatsache, daß ich genötigt war, ein erschreckend großartiges Bild auf einen tönernen Fuß zu stellen, so daß jeder Narr es umstürzen kann.“77
Dieses offene Eingeständnis bestätigt, was wir bereits am Text der beiden ersten Abhandlungen herausgearbeitet hatten. Ungeachtet der wiederholten Versicherungen über das schwache Fundament seiner historischen Behauptungen ist Freud ganz offensichtlich davon überzeugt, mit seinen Vermutungen über das Schicksal des Moses richtig zu liegen. Noch nach dem Abschluß seines ersten Entwurfs, Der Mann Moses: Ein historischer Roman betitelt, suchte er nach Beweisen für die Schlüssigkeit seiner historischen Behauptungen. Am 2. Mai 1935 schreibt Freud an Arnold Zweig, er habe in einem Bericht über die Ausgrabungen bei Tell-el Amarna die Erwähnung eines Prinzen Thotmes gefunden, „von dem sonst nichts bekannt ist“, und fährt fort: „Wäre ich ein Pfund-Millionär, so würde ich die Fortsetzung der Ausgrabungen finanzieren. Dieser Thotmes könnte mein Moses sein, und ich dürfte mich rühmen, daß ich ihn erraten habe.“78
Ungeachtet also der Sorge um die wenigen objektiven Beweise für seine historischen Behauptungen bleibt die Moses-Studie Freuds alles beherrschendes Interesse. Er bekennt in der schließlich 1939 veröffentlichten Fassung: „In Wirklichkeit ist sie zweimal geschrieben worden. Zuerst vor einigen Jahren in Wien, wo ich nicht an die Möglichkeit glaubte, sie veröffentlichen zu können. Ich beschloß, sie liegenzulassen, aber sie quälte mich wie ein unerlöster Geist […].“79 Freud hatte der Öffentlichkeit kein ehernes Bild auf tönernen Füßen präsentieren, sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben wollen. Doch ist dies nicht der Hauptgrund für den Aufschub der Publikation jener „gefährlichen“ dritten Abhandlung. In der ersten Vorbemerkung zu ihr, geschrieben vor dem 12. März 1938, dem deutschen Einmarsch in Österreich, sagt er ausdrücklich: „Ich werde diese Arbeit also nicht bekanntmachen, aber das braucht mich nicht abzuhalten, sie zu schreiben. […] Sie mag dann in der Verborgenheit aufbewahrt bleiben, bis einmal die Zeit kommt, wann sie sich gefahrlos ans Licht wagen darf, oder bis man einem, der sich zu denselben Schlüssen und Meinungen bekennt, sagen kann, es war schon einmal in dunkleren Zeiten jemand da, der sich das nämliche wie du gedacht hat.“80 Es stellt sich die Frage, warum Freud vor der Veröffentlichung dieses dritten Teils, von dem er sagt, er enthalte „das eigentlich Anstößige und Gefährliche […], die Anwendung auf die Genese des Monotheismus und die Auffassung der Religion überhaupt […]“81, zurückschreckte. Man möchte meinen, Freud habe unter dem Eindruck der Verfolgung der europäischen Juden seine jüdischen Mitbürger nicht beleidigen wollen. Dies war aber offenbar nicht sein primärer Beweggrund. Freuds Vorsicht bezog sich eher auf die Reaktion, die er von den katholischen Autoritäten erwartete. In der bereits zitierten Vorbemerkung schreibt er:
„Wir leben hier in einem katholischen Land unter dem Schutz dieser Kirche, unsicher, wie lange er vorhalten wird. Solange er aber besteht, haben wir natürlich Bedenken, etwas zu tun, was die Feindschaft der Kirche erwecken muß. Es ist nicht Feigheit, sondern Vorsicht; der neue Feind, dem zu Dienst zu sein wir uns hüten wollen, ist gefährlicher als der alte, mit dem uns zu vertragen wir bereits gelernt haben. Die psychoanalytische Forschung, die wir pflegen, ist ohnedies der Gegenstand mißtrauischer Aufmerksamkeit von seiten des Katholizismus. Wir werden nicht behaupten, es sei so mit Unrecht. Wenn unsere Arbeit uns zu einem Ergebnis führt, das die Religion auf eine Menschheitsneurose reduziert und ihre großartige Macht in der gleichen Weise aufklärt wie den neurotischen Zwang bei den einzelnen unserer Patienten, so sind wir sicher, den stärksten Unwillen der bei uns herrschenden Mächte auf uns zu ziehen. […] Es würde wahrscheinlich dazu führen, daß uns die Betätigung in der Psychoanalyse verboten wird. Jene gewalttätigen Methoden der Unterdrückung sind der Kirche ja keineswegs fremd, sie empfindet es vielmehr als Einbruch in ihre Vorrechte, wenn auch andere sich ihrer bedienen. Die Psychoanalyse aber, die im Laufe meines langen Lebens überallhin gekommen ist, hat noch immer kein Heim, das wertvoller für sie wäre als eben die Stadt, wo sie geboren und herangewachsen ist.“82
Was immer wir über die Gültigkeit der Argumentation, über die politische Einschätzung der katholischen Kirche oder über die Frage, ob Freuds Vorsicht eine angemessene Reaktion auf die geschilderte Situation sei, denken mögen – Freud läßt keinen Zweifel daran, daß dies sein Hauptmotiv ist. Er drückt dieselbe Sorge in seiner Korrespondenz aus, wo es in einem Brief an Arnold Zweig vom 30. September 1934 heißt:
„Angesichts der neuen Verfolgungen fragt man sich wieder, wie der Jude geworden ist und warum er sich diesen unsterblichen Haß zugezogen hat. Ich hatte bald die Formel heraus. Moses hat den Juden geschaffen, und meine Arbeit bekam den Titel: Der Mann Moses, ein historischer Roman. […] Das Zeug gliederte sich in drei Abschnitte, der erste romanhaft interessant, der zweite mühselig und langwierig, der dritte gehalt- und anspruchsvoll. An dem dritten scheiterte das Unternehmen, denn er brachte eine Theorie der Religion, nichts Neues zwar für mich nach Totem und Tabu, aber doch eher etwas Neues und Fundamentales für Fremde. Die Rücksicht auf diese Fremden heißt mich dann den fertigen Essay sekretieren. Denn wir leben hier in einer Atmosphäre katholischer Strenggläubigkeit. Man sagt, daß die Politik unseres Landes von einem Pater Schmidt gemacht wird […], der Vertrauensmann des Papstes ist und zum Unglück selbst ein Ethnolog und Religionsforscher, der in seinen Büchern aus seinem Abscheu vor der Analyse und besonders meiner Totemtheorie kein Geheimnis macht. […] Nun darf man wohl erwarten, daß eine Publikation von mir ein gewisses Aufsehen machen und der Aufmerksamkeit des feindlichen