Charles Stephen Dessain

John Henry Newman


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Kapitel die Begegnung mit einer groß angelegten Persönlichkeit ermöglicht, die die Geschichte der Kirche bis in unsere Zeit hinein geprägt hat und prägt.

      Dessains Newman-Buch ist der Abschluss einer Lebensarbeit8, die ganz im Dienst des großen Kardinals gestanden hat. Er ist ein sicherer und zuverlässiger Führer durch sein Leben und Werk.

      Als Newman starb, galt es für seine Brüder im Oratorium zu Birmingham, ein großes Erbe zu bewahren. Seit 1846 hatte Newman in der Gemeinschaft von Priestern gelebt, die er nach der Regel des vom heiligen Philipp Neri vor mehr als 400 Jahren in Rom begründeten Oratoriums zusammengerufen hatte. Vorher, in seiner anglikanischen Zeit, wirkte er in Oxford als Seelsorger der ihm als Tutor anvertrauten Studenten. Hier verkündigte er das Wort Gottes in sorgfältig aufgezeichneten Predigten (über 300 von ihnen blieben uns erhalten), hier und in Birmingham schrieb er seine Bücher und die unendlich vielen Briefe.

      Viele glückliche Umstände mussten zusammentreffen, damit im Newman-Archiv in Birmingham das gesamte Lebenswerk eines großen Schriftstellers gesammelt und gehütet werden konnte, und dazu gehört auch die Gewohnheit aus der Zeit der Romantik, Briefe aufzubewahren, und erst recht die selbstvergessene Hingabe der Nachlassverwalter bis hin zu Charles Stephen Dessain, dem Herausgeber seiner Briefe und Tagebücher in 31 großen Bänden. Erst in jüngster Zeit wurden im Auftrag amerikanischer Universitäten nicht weniger als 63 000 Mikrofilme von den Buch- und Briefseiten Newmans hergestellt.

      Umso höher ist die Meisterschaft des Verfassers einzuschätzen, aus all diesen vielen Einzelheiten ein treffendes und überzeugendes Bild Newmans vor uns zu entwerfen. Man hat Newman den »autobiografischsten unter allen Menschen« genannt (H. Bremond). Auch das Werk, das ihn, in »königlichem Englisch« geschrieben, berühmt gemacht hat, ist eine Autobiografie: die Apologia Pro Vita Sua, eine Geschichte seiner religiösen Überzeugungen, die man mit den Bekenntnissen des Augustinus und Rousseaus verglichen hat. Newman dachte, ja er meditierte meist mit der Feder in der Hand9 – also für uns mit, die wir uns von seinen Gedanken befruchten lassen. Es sind Gedanken eines Gottsuchers, für den es »nur zwei Wesen« von »absoluter« Gewissheit und von »einleuchtender Selbstverständlichkeit« gibt, »Gott und die Seele«10, der aber zugleich auf die Menschen zuging und für jede neue Stufe der Lebenserfahrung und Welterfahrung gerüstet war. Gott war ja für ihn der Schöpfer der Welt und der Menschen, und aus der Kontemplation der Wahrheit Gottes kam ihm die Kraft, in seine Zeit zu wirken. Er war ein Genie der Freundschaft, und mit seinen Freunden verbündete er sich zu einem geistigen Kampf für die Würde des Menschen, die Freiheit des Gewissens, für die Wahrheit und die Liebe.

       Kurze Lebensskizze Newmans

      Der junge Newman hat, wie Dessain im ersten Kapitel seines Buches berichtet, mit fünfzehn Jahren eine für sein Leben entscheidende Bekehrung erlebt. Wir sehen ihn dann als Studenten in Oxford, wo sich der Ernst seiner Entscheidung für Gott und für Christus, der in der Bibel zu uns redet, bewähren musste. Hier fand er Lehrer und Freunde, aber auch seinen eigenen Weg der Vorliebe für die frühe Zeit des Christentums, in der bedeutenden Männern wie Clemens von Alexandrien, Athanasius und Augustinus eine Synthese der klassischen Kultur mit dem Christentum gelungen war. Er wurde zum Kritiker des Rationalismus, der damals in die philosophische und theologische Atmosphäre der Oxforder Universität eingedrungen war. Bald fasste er den Entschluss, die Priesterweihe in seiner Kirche zu erstreben, gleichzeitig blieb er aber als Tutor von Studenten des Oriel College dem ganzen Umkreis der damaligen Wissenschaften verpflichtet. Seine Predigten hielt er in einer ihm anvertrauten Vorstadtgemeinde von Oxford, aber auch von der Kanzel der Universitätskirche. In der Darstellung von Dessain sind den Predigten Newmans viele Seiten gewidmet. Hierin zeigt sich eine Entwicklung seines religiösen Denkens von einem mehr subjektiven, »evangelikalen« Christentum hin zu der Entdeckung der Bedeutung der Kirche als Trägerin der Offenbarungsreligion.11

      Es war seine Erfahrung in der Seelsorge für die gläubigen Menschen, die ihn erkennen ließ, dass der Calvinismus, der damals die evangelikale Richtung innerhalb der anglikanischen Kirche beherrschte, »kein Schlüssel zu den Phänomenen der menschlichen Natur« war.12 Er entdeckte auf einem sehr persönlichen Weg die Bedeutung der Kirche des sich in Christus offenbarenden Gottes für die Heilsgeschichte der Menschheit.

      In der Rückschau erscheint diese Hinwendung zur Kirche, die er als junger Priester um das Jahr 1825 erfuhr, wie eine zweite Bekehrung. Einflussreiche Freunde wie John Keble und E. B. Pusey gehörten der hochkirchlichen Richtung ihrer Kirche an.

      Auf einer Reise nach Sizilien und Italien reifte in ihm der Gedanke einer besonderen Sendung, die in England auf ihn warte, für die Erneuerung und Reform der anglikanischen Kirche einzutreten. So wurde er bald der führende Kopf einer von Oxford ausgehenden Bewegung (Oxford Movement), die unter dem Namen Oxford-Bewegung bekannt ist. Er war der Hauptverfasser der Broschürenreihe (Tract I–XC), durch die diese Bewegung weite Kreise erfasst hat. Dessain beschreibt die Konflikte, besonders mit der Universität Oxford und den anglikanischen Bischöfen, die sich daraus im Lauf der Zeit für Newman ergaben. Hatte Newman in seinem ersten Traktat die Verbürgerlichung der anglikanischen Kirche, gemessen an dem Geist des »ursprünglichen« Christentums der ersten Jahrhunderte, angeprangert, warf er später den Bischöfen vor, die dogmatischen Grundlagen des Christentums preisgegeben zu haben.13 Im hohen Alter schrieb er einmal an einen Biologen: »Der Hauptgrund meines Übertritts war, dass die Anglikaner selbst daran glauben, unser Herr habe eine Kirche eingesetzt. Hat er es getan oder nicht? Wenn ja, dann muss es eine lehrende Kirche gewesen sein. Was sonst? Nun, die Church of England war keine lehrende Kirche – sie war ein mit sich selbst entzweites Haus.«14 Und das habe ihn schließlich zur katholischen Kirche geführt, die ihren Anspruch auf Lehrautorität auf den Beistand des der Kirche verheißenen Heiligen Geistes stützt. Diese Bemerkung wollte aber nicht eine Kurzformel für die Motive seiner Konversion sein, die Dessain im Einzelnen darstellt.

      Der Vorwurf, dass die katholische Kirche im Wort Gottes nicht begründete Zusätze, ja Korruptionen im Lauf ihrer Geschichte aufgenommen habe, bereitete ihm schon früh eine echte Gewissensnot. Seine Antwort war eines seiner bedeutendsten Werke, über »Die Entwicklung der christlichen Lehre«, das die Kriterien zur Unterscheidung einer echten Dogmenentwicklung enthält, wie Dessain dies näherhin ausführt.

      Dem Übertritt Newmans zur katholischen Kirche am 9. Oktober 1845 ging eine Zeit ernsten Ringens voraus – er verbrachte einige Jahre zusammen mit jungen Studenten fastend und betend in klösterlicher Abgeschiedenheit in seinem Pfarrdorf Littlemore.

      Die Kapitel des Buches, die von der katholischen Zeit Newmans handeln, zeigen uns neue Seiten seiner vielschichtigen Persönlichkeit. Am Tag seiner Konversion schrieb er dreißig Briefe, um seine Freunde davon zu benachrichtigen. Mit seinen Studenten, die zur gleichen Zeit sich der katholischen Kirche angeschlossen hatten, wollte er zusammenbleiben. Mit einigen von ihnen fuhr er bald nach Rom, um Klarheit über seine zukünftige Aufgabe in der katholischen Kirche zu finden. Später schrieb er einmal, damals habe mit ihm die kleine katholische Minderheit in England eine Kriegsmaschine erworben, mit der sie nichts Rechtes anzufangen wusste. Er fühlte, dass einige fürchteten, sie könnte auch »nach hinten losgehen«.15

      Newman überlegte ernsthaft, ob er sich mit seinen Studenten einem Orden anschließen sollte. Bezeichnend ist dabei seine Erkenntnis: »Wenn ich Jesuit werde, so würde niemand wissen, ob meine Worte noch meine eigenen Worte wären oder ob ich sozusagen noch die Fortsetzung meines eigenen Ichs sein würde.«16

      In Rom stieß er auf das Oratorium, das sein Gründer, der heilige Philipp Neri, als eine Gemeinschaft von Priestern und Laien ohne Ordensgelübde gegründet hatte. Hier gab es bei aller Bindung an das Leben in der Gemeinschaft die Freiheit, sich dem Menschen als Seelsorger zuzuwenden, und zugleich die Freiheit, die eine wissenschaftliche Arbeit verlangt.17

      Die erste Bewährung der kleinen Gruppe von Konvertiten, denen sich bald auch der anglikanische Jugendseelsorger F. W. Faber mit einem Teil seiner jungen Gemeinde anschloss, geschah durch die Übernahme einer Arbeiterpfarrei in der Industriestadt Birmingham. Bald darauf trennte sich