– die Gründer von Blue Origin und SpaceX hatten aber genau während dieser Blase ihr erstes großes Geld verdient (Jeff Bezos mit Amazon und Elon Musk mit PayPal), das ihnen das risikoreiche Engagement im Weltraum überhaupt erst ermöglichte. Auch der Ansari X-Prize, ein mit zehn Millionen Dollar Preisgeld dotierter Wettbewerb, bei dem private Unternehmen um den ersten bemannten Weltraumflug konkurrierten, endete – erfolgreich – 2004 in dieser Zeit (gestartet war er 1996). Der Gewinner lizensierte die Technologie an das neue Unternehmen Virgin Galactic, von dem im Kapitel über den Weltraumtourismus noch die Rede sein wird. Während das amerikanische Shuttle und die bewährten russischen Sojus-Raketen weiter ihre regelmäßigen Missionen flogen, begannen SpaceX und Blue Origin mit der Entwicklung ihrer privaten Raketen.
SpaceX wurde anfangs von Elon Musk privat finanziert, mit geschätzt bis zu hundert Millionen Dollar. Wie schon erwähnt, nahm SpaceX aber im August 2008 zwanzig Millionen Wagniskapital an, von Founders Fund, einem bekannten Wagniskapitalfonds, den frühere Kollegen Musks bei PayPal gegründet hatten. Der erste orbitale Flug von Musks Falcon 1 (benannt nach dem Millennium Falcon Raumschiff vom Krieg der Sterne) sollte ursprünglich bis Ende 2003 stattfinden. Der viel zitierte Satz „space is hard“ (der Weltraum ist schwierig) sollte sich aber auch hier wieder bewahrheiten und so brauchte es drei fehlgeschlagene Versuche, bis es beim vierten Mal, am 28. September 2008, klappte: Die Falcon 1 erreichte als erste privat finanzierte Rakete eine Erdumlaufbahn. Musk hat später oft betont, dass ein vierter fehlgeschlagener Versuch das Aus für SpaceX bedeutet hätte.
Blue Origin schlug einen anderen Weg ein als SpaceX und konzentrierte sich zunächst auf die Entwicklung von verschiedenen grundlegenden Technologien (z. B. für die autonome Führung und Kontrolle der Raketen), anstatt sich schnellstmöglich an Weltraumflügen zu versuchen. Da Blue Origin mit dem Gründer Jeff Bezos (schon damals einer der reichsten Menschen der Welt) einen verlässlichen und potenten Kapitalgeber hat, konnte man sich einen solchen Ansatz erlauben. Die suborbitale New Shepard-Rakete flog im November 2015 auf über 100 Kilometer Höhe und damit in den Bereich, der offiziell als Weltraum anerkannt ist. Man schaffte es bei diesem Flug sogar, die erste Stufe der New Shepard wieder vertikal zu landen – zum ersten Mal in der Geschichte des Raketenbaus. In den Orbit ist Blue Origin aber bis heute nicht geflogen, trotz vieler weiterer suborbitaler Testflüge der New Shepard.
SpaceX flog zu diesem Zeitpunkt schon regelmäßig in den Orbit und im Auftrag der NASA sogar zur ISS, um diese mit Nachschub zu versorgen. Einen Monat nach der ersten Landung von Blue Origins Rakete New Shepard und nach einigen missglückten eigenen Versuchen gelang es dann SpaceX, die erste Stufe der Falcon-9-Rakete zu landen. Seitdem wurden Starts und Landungen der Falcon 9 immer mehr zur Routine für SpaceX – eine sehr lukrative Routine für das Unternehmen, obwohl die Preise deutlich unter denen der Konkurrenz wie der amerikanischen ULA oder der europäischen Arianespace liegen.
Dieser offensichtliche ökonomische Erfolg beflügelte (buchstäblich) die Fantasie von zahlreichen Weltraumunternehmern und heutzutage gibt es weltweit (zumindest auf dem Papier) über 100 Raketenbauunternehmen. Diese Unternehmen repräsentieren eine große Vielfalt möglicher technischer Lösungen für den Raketenbau und für Raketenstarts. Die meisten dieser Raketen starten vertikal von den Starttürmen, die man beim Abheben immer sieht. Aber es gibt auch Vorschläge für Raketen, die z. B. horizontal wie Flugzeuge abheben oder von Rampen oder aus Flugzeugen ausgeklinkt, die die Raketen auf eine gewisse Höhe fliegen, starten. Die exotischste Startform – welche bislang nur in der Theorie existiert – ist das Modell von SpinLaunch: Das Unternehmen will eine Art von Hochgeschwindigkeitszentrifuge benutzen, um eine Nutzlast in den Weltraum zu schleudern. Aufgrund der extrem hohen Fliehkräfte wäre diese Methode allerdings nicht für Flüge mit Menschen geeignet. Die verschiedenen Unternehmen benutzen ganz verschiedene Antriebsstoffe, vom traditionellen RP-1 (ein kerosinähnlicher Kohlenwasserstoff) bis hin zu Wasserstoffperoxid. Die meisten von ihnen bieten nur Gütertransportflüge ins All an – der Flug mit Menschen ist ein weitaus schwierigeres Geschäftsfeld. Von der Größe her sind diese Raketen alle kleiner als die Falcon 9 von SpaceX oder die geplante New Glenn-Rakete von Blue Origin. Während eine Falcon 9 theoretisch bis zu dreiundzwanzig Tonnen Nutzlast in eine niedrige Umlaufbahn mitnehmen kann, sind viele der anderen Raketen für Nutzlasten von nur einigen Hundert Kilogramm konzipiert – das ist das Gewicht eines einzelnen kleinen Satelliten. Mit solchen kleineren Raketen, die eventuell nur für einen einzelnen Satelliten eingesetzt werden, hat man eine Marktsegmentierung, bei der man eine Falcon 9 von SpaceX mit einem Jumbo Jet und eine Electron-Rakete von Rocket Lab mit einem Privatjet vergleichen kann: Während eine Electron pro Kilogramm zwar viel teurer ist als eine Falcon 9, kann sie den Satelliten des Kunden aber genau in der gewünschten Umlaufbahn platzieren und flexibel abheben, beinahe wann der Kunde es wünscht, da man nicht vom Zeitplan anderer Nutzer der gleichen Rakete abhängig ist.
Diese Raketenunternehmen gibt es mittlerweile rund um den Globus. Natürlich sind viele in den USA angesiedelt, aber es gibt auch Start-ups zum Beispiel in China, Indien, Großbritannien, Frankreich und vielen anderen Ländern. Deutschland ist mit mindestens zwei Unternehmen vertreten: Die Rocket Factory Augsburg wird unter anderem von der traditionsreichen Bremer Technologiegruppe OHB unterstützt, die Münchner Isar Aerospace schaffte es Ende 2019, fünfzehn Millionen Euro Finanzierung zu erhalten, unter anderen vom Wagniskapitalarm der Airbus.
Eine anderer Aspekt, unter dem man die vielen Start-ups im Raketenbau betrachten kann, ist natürlich der jeweilige Status ihrer Entwicklungsarbeit (welcher stark vom Status der Finanzierung abhängt, was nicht weiter überraschend ist). Von den über hundert Unternehmen, die wir im Blick haben, hat zumindest zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches außer SpaceX nur das neuseeländisch-amerikanische Unternehmen Rocket Lab den Orbit erreicht. Was sie machen, machen sie gut: Seit dem Jungfernflug im Mai 2017 hat Rocket Lab insgesamt schon zwölf erfolgreiche Missionen in den Orbit geflogen und sich damit einen Ruf als verlässliches Unternehmen aufgebaut, was in der Weltraumfahrt sehr wichtig ist. 2020 sollen zum Beispiel die texanische Firefly und die kalifornische Virgin Orbit (deren Rakete von der Unterseite eines 747 Jumbo Jets startet) zum exklusiven Klub der privaten Firmen, deren Raketen einen Orbit erreichten, dazukommen. Leider musste der Teststart von Virgin Orbit im Mai 2020 aber nach nur einigen Sekunden Flug aufgrund der Fehlfunktion einer Treibstoffleitung abgebrochen werden. Investoren haben auch Hunderte von Millionen in einige andere Raketenunternehmen investiert, die bis jetzt noch keinen Start vorweisen können. Dazu gehört zum Beispiel die amerikanische Astra, die eigentlich im Frühjahr 2020 vom Raketenstartplatz Kodiak in Alaska gleich zweimal innerhalb einiger Tage den Erdorbit erreichen sollte, um ein Förderungsgeld von zwölf Millionen Dollar des amerikanischen Militärs zu erhalten. Der Start musste allerdings in letzter Minute wegen eines Systemfehlers abgebrochen werden40. Relativity Space, auch aus den USA, erhielt in seiner letzten Finanzierungsrunde Ende 2019 140 Millionen Dollar. Investoren gefallen die Pläne der Firma, ihre Raketen weitgehend mit der Hilfe von 3D-Druck zu produzieren. Das erlaubt zum Beispiel, den Durchmesser der Raketen schnell und flexibel zu verändern, was bei normalen Produktionsvorgängen schwierig ist.
Was alle Raketenfirmen verständlicherweise gemeinsam haben – wie auch immer sie technologisch ihr Ziel verfolgen – ist, dass sie sich auf bereits vorhandene oder potenzielle Kundengruppen fokussieren. Das sind hauptsächlich Satellitenkommunikations- oder Erdbeobachtungsfirmen, staatliche Kunden (einschließlich Raumfahrtagenturen und Militär) sowie einige Weltraumtourismus-Firmen. Wenn wir in der Zukunft wirklich den Mars besiedeln, wären viel schnellere Raketen wünschenswert, zum Beispiel mit nuklearthermischen oder noch exotischeren Antriebsformen. Diese Nachfrage liegt aber so weit in der Zukunft, dass sich im Moment noch keine Firma darauf spezialisiert. Die Entwicklung dieser neuen Technologien wird wahrscheinlich staatlichen Institutionen überlassen bleiben.
Das Raketenstartgeschäft ist trotz bestehender Nachfrage nicht einfach und verspricht alles andere als sichere Gewinne. Schon jetzt gibt es eine Reihe von fehlgeschlagenen Unternehmen, wie zum Beispiel Vector oder Xcor in den USA. Vector hatte sogar den hochrenommierten Silicon-Valley-Wagniskapitalfonds Sequoia als Hauptinvestor – aber auch hier zeigt sich, dass niemand unfehlbar und das Weltraumgeschäft hochspezialisiert und schwierig ist. Jetzt kommt eine weitere Herausforderung auf die zahlreichen neuen Raketenstartfirmen zu, die für manch eine zur Existenzbedrohung werden kann. SpaceX hat angefangen, einen Rideshare-(Mitfahr-)Service anzubieten, der