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liegenden Mann und ging vor ihm in die Hocke. »Sag mir, wo ihr die Drogen versteckt habt!«, forderte er.

      »Du Wichser hast mir beide Beine gebrochen! Und meine Hand … verdammt, was hast du nur mit meiner Hand gemacht!?« Der Mann starrte auf die Stellen, an denen die Finger fehlten. Tränen liefen ihm über die Wangen, seine Pupillen waren schreckgeweitet.

      »Du hättest dich besser an deinen Grundsatz gehalten, dich niemals mit einem funktionierenden Cyborg anzulegen«, sagte Jack. Dann griff er nach der blutigen Hand und drückte zu. Der gellende Schrei des Mannes ging in weinerliches Flehen über, als Jack auch nach dessen unverletzter Hand griff. »Und jetzt sagst du mir, was ich wissen will, sonst reiße ich dir jeden deiner verdammten Finger einzeln aus!«

      River bemerkte, dass der an die Wand geheftete Mann sich regte. Er schien begriffen zu haben, dass es nur eine Chance für ihn gab. Als er damit begann, an einer seiner Hände zu zerren, trieb er sich dadurch die Klinge durch die Handfläche. Er hielt inne, schloss kurz die Augen und atmete sichtbar tief durch. Dann spaltete er sich mit einem heftigen Ruck die eigene Hand. Blut rann ihm aus dem Mund. Offenbar biss er sich fest auf die Zunge, um nicht zu schreien und dadurch Jack auf sich aufmerksam zu machen. Der Schmerz lohnte sich, denn nun war er imstande, das Messer aus der anderen Hand zu ziehen und sich zu befreien. River war unfähig, darauf in irgendeiner Weise zu reagieren, da er sich weder bewegen noch etwas sagen konnte. Er hörte den Mann, den Jack in der Mangel hatte, verzweifelt stammeln: »Bitte nicht … bitte …« Speichel lief ihm übers Kinn, da er offenbar vergessen hatte, wie man schluckte.

      »Dann rede! Sonst reiße ich dir deinen Daumen ab, als wärs ein verdammtes Hühnerbein«, drohte Jack.

      »Nein, bitte nicht! Bei dem Fischladen am Hafen. Da sind die Drogen. In einem Müllcontainer. Bitte … hör auf … hör auf …«

      Jack ließ die unversehrte Hand los. Dann stieß er unvermittelt seine Faust gegen den Hals des Mannes und zertrümmerte ihm den Kehlkopf. Er erstickte lautlos. Jack erhob sich und drehte sich langsam um, während er sagte: »So, Billy Boy, dich nehme ich mit, um zu sehen, ob dein Kumpel die Wahrheit gesagt hat. Ansonsten werde ich sie aus dir heraus…« Er hielt inne, als er bemerkte, dass Bill es geschafft hatte, sich von der Wand zu lösen. Anfangs glaubte Jack wohl, der Mann würde ohnmächtig, denn er ging zu Boden. Im nächsten Moment erhob sich Bill jedoch und hielt das Gerät in der Hand, das zuvor durch die Luft geflogen war. Er feuerte es ab. Ein satter Strahl Säure erwischte Jack und fraß sich augenblicklich durch die Hälfte seines Körpers. Das Fleisch gab der aggressiven Flüssigkeit ohne jeden Widerstand nach. Es schmolz förmlich und verwandelte die weiche Haut, die River in letzter Zeit so oft liebkost hatte, in eine graue, schrecklich stinkende Masse. Auch die metallenen Komponenten vermochten es nicht, diesem Angriff Stand zu halten. Jacks Arm fiel zu Boden. Rauchende Kabel hingen aus seiner Schulter. Jack hatte den Mund weit geöffnet, aber ihm entrang sich kein Laut, weil ein Teil des Strahls ihm die untere Gesichtshälfte weggeätzt hatte.

      River konnte die Überreste des Mundes sehen, dessen Küsse so süß und sinnlich geschmeckt hatten, dass River niemals eine andere Droge als diese benötigt hätte, um glücklich zu sein. Jacks Zunge war nur noch ein schwarzer Klumpen, der hilflos im löchrigen Unterkiefer herum rollte.

      Bill hielt immer noch die Säurepistole in der Hand und kräuselte angeekelt die Nase. »Ihr Cys stinkt wie die Hölle. Und genau dort wirst du dich gleich wiederfinden, wenn ich dir den Rest gegeben habe. Und dein Freund – den du für deine eigene Zukunft verraten hast – wird schon morgen früh den Arsch für jeden hinhalten müssen, der einen Cy so richtig durchficken will.« Der Blick, mit dem er River bedachte, war vor Gehässigkeit mindestens so ätzend wie die Säure. »Übrigens wird er jede einzelne Sekunde davon bei vollem Bewusstsein mitbekommen, denn eine Umprogrammierung kannst du vergessen. Wir mögen es, euch zu quälen, weil ihr euch für was Besseres haltet. Dabei seid ihr minderwertig. Zum Kotzen!«

      Während er gesprochen hatte, spürte River wie sein System den Stromausstoß endlich in den Griff bekam. Von einer Sekunde zur anderen war die Kraft in seinen Körper zurückgekehrt. Ohne zu zögern, aktivierte seine Beschleunigungsmatrix in dem Moment, als der Mann erneut das Säuregerät auf Jack richtete. River riss es ihm aus der Hand und steckte es ihm blitzschnell in den Mund. Dann feuerte er eine Salve Säure in den Schlund des Menschen. Er ignorierte den sterbenden Körper, der sich am Boden aufbäumte und schließlich nur noch hilflos zuckte. Ebenso wie Jack war der Mann nicht mehr in der Lage, zu schreien. Er starb, ohne dass River ihn eines weiteren Blickes würdigte. Jack hingegen umfasste er mit beiden Händen, als könne er ihn so davor bewahren, in den Abgrund des Todes gerissen zu werden. »Bitte, ich muss es wissen! War das dein Plan, oder hast du mich wirklich verraten?« Jacks nutzlose Zunge schlug nach links, dann nach rechts und perforierte dabei die hauchdünn gewordene Wange. Sie löste sich vollends aus dem Kiefer und fiel mit einem leisen Geräusch auf den schmutzigen Boden. Der Anblick war fürchterlich, und River wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. »Wenn du mich wirklich geliebt hast, blinzle zweimal mit den Lidern«, flehte er. Jacks Lider senkten sich – und blieben geschlossen. River aktivierte seinen Hörkraftverstärker und erkannte, dass Jacks Herz aufgehört hatte, zu schlagen. Es war vorbei. Er ließ den toten Körper seines Freundes los und war sich bewusst, dass er vermutlich niemals erfahren würde, ob Jack ihn wirklich verraten hatte.

      *

      Der nächste Tag kam und ging, ohne dass River es überhaupt realisierte. Er hatte sich in die verdreckte Badewanne gelegt. Sie war voller Staub und Schutt, der von der Decke gefallen war. River war es gleich, worin er lag. Er fühlte sich wie ein skurriles Überbleibsel aus einem Dasein, das genauso gut gar nicht hätte geführt werden müssen. Sicher, er hatte viele Menschenleben gerettet, indem er Silvers getötet hatte. Aber waren die Menschen es überhaupt wert? Das Wort „Wert“ gewann immer mehr in seinen Gedanken Oberhand, andere hingegen verloren an Bedeutung. Liebe gehörte zu diesen Wörtern, die er aus seinen Gedanken verbannte. Sie brachte nichts ein. Sie machte schwach. Beinahe hätte sie ihn seine Freiheit gekostet – das Leben, von dem er gerade dabei war, es freiwillig aufzugeben. River stützte den Kopf in die Hände. Das alles war zu viel. Jack … statt ein neues Leben mit ihm anfangen zu können, lag der Mann, den er geliebt hatte – der Mann, dem er vertraut hatte – tot im Wohnzimmer. Die zahlreichen Fliegen zeugten davon, dass mit den drei Leichen alles seinen natürlichen Lauf nahm, und sie in Kürze von Insekten überhäuft sein würden.

      Er musste nun die Kraft finden, sich aus der Badewanne zu hieven, denn ihm blieb gar nichts anderes übrig. Er selbst musste weiterleben. Aber was ergab jetzt noch Sinn? Mit Grauen dachte er daran, dass er bereits als willenloser Sklave seine Dienste versehen würde, wenn die Menschen nicht so dumm gewesen wären, Jack zu reizen. Allerdings war es immer noch möglich, dass Jack all das genau so geplant hatte – alles, bis auf seinen eigenen Tod natürlich. Womöglich war es eine Lüge gewesen, dass die Drogen nur ausreichen würden, um einen von ihnen aufs Schiff zu bringen. River wusste nichts darüber. Jack hatte alles geregelt, was mit ihrer Flucht zu tun hatte. Vielleicht hatte er ihm tatsächlich zu viel vertraut.

      River seufzte. Er musste unbedingt wieder zu Vernunft kommen. Er musste die grausame Tatsache in Betracht ziehen, dass Jack ihn wirklich hatte opfern wollen, um selbst ein angenehmes Leben zu führen. Aber nun war er tot, und River wusste, wo sich die Drogen angeblich befanden. Er würde herausfinden müssen, ob der Mann die Wahrheit gesagt hatte. Wenn nicht, war alles verloren, denn nun gab es niemanden mehr, aus dem er das Geheimnis herauspressen konnte. Erneut überfiel ihn der Schrecken über Jacks Tod. Es entstand eine drohende Kaskade in seinen Gedankenroutinen. Er musste sich dringend auf andere Dinge konzentrieren. Etwas Tröstliches am besten. Also rief er sich Phils gütiges Altmännergesicht vor Augen und tauchte in die Erinnerungen an seinen Retter ein.

      2. Kapitel

      »Setz dich nicht auf. Schön liegenbleiben, mein Junge.« River fragte sich, wie der alte Mann, den er vor sich sah, überhaupt auf den Gedanken kommen konnte, er würde sich bewegen können. Schließlich war er tot. Oder doch nicht? Für einen Toten hatte er auf jeden Fall zu große Schmerzen. Er konnte das rechte Auge öffnen; das linke fühlte sich an, als stecke glühendes Eisen darin. Der Rest seines Körpers schien weiterhin von Flammen traktiert zu werden, obwohl River