Robert Rauh

Fontanes Kriegsgefangenschaft


Скачать книгу

löste bei Fontane zwiespältige Empfindungen aus. Mein Herz schlug […] höher, bekennt er gegenüber seiner Frau, doch könne er ein Schmerzgefühl nicht los werden. Wozu das alles? Um nichts! Blos damit Lude Napoleon festsitzt oder damit der Franzose sich ferner einbilden kann, er sei das Prachtstück der Schöpfung – um solcher Chimäre willen der Tod von Tausenden![11]

image

      Ungeheurer Lärm in dem stillen Warnemünde: Blick auf die Strandpromenade und den Leuchtturm, Postkarte, um 1900

      Ein drittes Mal im Felde

      Am 7. August, als George Fontane mit seinem Bataillon »unter donnernden Hurras die [französische] Grenze« überschritt[12], kehrte sein Vater in die flaggende, siegestrunkene Hauptstadt zurück.[13] In der Wohnung fand er einen Brief seines Verlegers vor und hielt im Tagebuch fest: Herr v. Decker wünscht abermals ein Kriegsbuch. So wird es denn eine Trilogie: 1864, 66, 70.[14] Rudolf von Decker, Eigentümer und Verleger der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei, war durch die Wanderungen durch die Mark Brandenburg auf Fontane aufmerksam geworden[15] und hatte ihn zunächst mit einem Buch über den Deutsch-Dänischen Krieg von 1864[16] beauftragt; zwei Jahre später mit einer Publikation über den preußisch-österreichischen Krieg von 1866[17], dessen zweiter Halbband im Juli 1870 erschienen war. Nun also ein Buch über den Deutsch-Französischen Krieg. Dabei hatte Fontane das Gefühl: nun sei es auf Lebenszeit an Siegen und Siegesbeschreibung genug. Es hat anders kommen sollen; alles steht ein drittes Mal im Felde, so denn auch wir.[18]

      Während Fontane mit Decker über die Vertragsbedingungen für das neue Kriegsbuch, unter anderem ein Honorar [von] 50 T[alern] pro Bogen[19], verhandelte, wurde sein jüngstes Manuskript, das er als Briefe aus Mecklenburg veröffentlichen wollte, [u]nter den obwaltenden Umständen nicht mehr angenommen. Wer will jetzt, schrieb er an Mathilde von Rohr, Plaudereien über Warnemünde und Doberan lesen![20] Dafür floss frisches Geld aus einer anderen Quelle in die stets klamme Familienkasse. Fontane nahm am 15. August seine neue Referenten-Tätigkeit als Theaterkritiker für die Vossische Zeitung auf.[21] In seiner ersten Rezension über die Aufführung von Schillers Wilhelm Tell, mit der am 17. August im Königlichen Opernhaus die Berliner Theatersaison eröffnet wurde, rechtfertigte er den Krieg gegen Frankreich nun auch öffentlich: Der Tell enthalte kaum eine Seite, gewiss keine Scene, die nicht völlig zwangslos auf die Gegenwart, auf unser Recht und unseren Kampf gedeutet werden könnte.[22]

      Nachdem Decker auf alle Bedingungen eingegangen war[23], begann Fontane seine Reise nach Frankreich zu planen. Im September legte er ein neues Notizbuch an, das er mit dem Titel Kriegsschauplatz 1870 versah und worin er unter anderem beteiligte Regimenter und Namen führender Offiziere notierte.[24] Über den Kriegsverlauf diskutierte Fontane mit seinem Freund Bernhard von Lepel – und war nach wie vor hin- und hergerissen: Welche Siege, welche Verluste! Am Ende kam er jedoch zu dem Schluss, dass es keinen Sinn mache, alle diese Verluste aufzuzählen, wie er Mathilde von Rohr schrieb. Erfreuen wir uns an der einen großen Tatsache, dass wir wenigstens gesiegt haben und dass wir auf Feindes Land stehn.[25]

image

      Welche Siege, welche Verluste! Das Dorf Bazeilles bei Sedan nach der Schlacht vom 1. September 1870, Holzstich 1895

      Anfang September überschlugen sich die Ereignisse. Nachdem die französische Armee infolge der kriegsentscheidenden Schlacht von Sedan in der Nähe der belgischen Grenze vom 1./2. September 1870 kapituliert hatte und Napoléon III. sowie über 10.000 französische Armeeangehörige in Gefangenschaft geraten waren, wurde am 4. September in Paris die Dritte Republik ausgerufen. »Eigentlich müsste der Krieg aus sein«, konstatierte der preußische Generalstabschef Helmuth von Moltke.[26] Aber die provisorische »Regierung der Nationalen Verteidigung« unter General Louis Jules Trochu und seinem Innenminister Léon Gambetta führte den Krieg fort. Da die französische Armee aufgrund von Tod, Desertation und Gefangennahme dezimiert war, setzte die provisorische Regierung nun auf die Mobilisierung der Bevölkerung – mit antideutscher, stellenweise hasserfüllter Propaganda sowie der massenhaften Einberufung wehrfähiger Männer, die im Schnellverfahren ausgebildet und bewaffnet wurden. Aus einem kontrollierten »Kabinettskrieg« der Regierung entwickelte sich ein enthemmter Volkskrieg, wozu auch die Partisanenkämpfe von »Franctireur«-Einheiten [Freikorps] gehörten. Hauptkriegsschauplätze wurden jetzt die Kämpfe um Metz und die französische Hauptstadt. Außenminister Jules Favre verkündete am 6. September, den Preußen solle nicht ein Quadratmeter Frankreich und nicht ein Stein einer französischen Festung preisgegeben werden.[27] Als die preußische Armee immer weiter an Paris heranrückte und einen Ring um die Stadt bildete, wurde der Beschluss revidiert, die neue Regierung werde Paris auch im Falle einer Belagerung nicht verlassen. Ein Teil des Kabinetts, unter ihnen auch Justizminister Adolphe Crémieux, verließ am 12. September die Hauptstadt und bildete in Tours einen zweiten Regierungssitz.[28]

      Der Kriegsjournalist Fontane wollte nun so schnell wie möglich nach Frankreich aufbrechen. Am 11. September informierte er seinen Verleger Decker, in den nächsten Tagen seine Reise auf den Kriegsschauplatz antreten zu wollen, und bat ihn um regelmäßige Vorschusszahlungen.[29] Vier Tage später verschob er den Reiseplan, um den Fall von Metz abzuwarten.[30] Auch sein Sohn George fieberte, dichter an das Frontgeschehen heranzukommen. Seine Division rechne mit der Beteiligung an den Kämpfen vor Paris, schrieb er am 16. September seinen Eltern, »wobei man sich doch vielleicht noch ein Eisernes Kreuz verdienen« könne.[31]

      Ende September muss Fontane entschieden haben, den Fall von Metz nicht mehr abwarten zu wollen.[32] In wenigen Stunden brech ich auf, teilte er am 25. September Mathilde von Rohr mit, um Metz, Sedan und Paris zu studieren. Er wünsche sich, seinen Jungen heil und gesund wiederzusehn und dem Einzuge unserer Truppen die Elyseischen Felder hinauf beiwohnen zu können. Spätestens am 6. Oktober, so seine Hoffnung, müsse er vor Paris eintreffen.[33]

      Es kam anders, wird er rückblickend im Tagebuch notieren.[34] Am 6. Oktober, dem zweiten Tag seiner Gefangenschaft, erhielt Fontane die Mitteilung, dass am nächsten Morgen über sein Schicksal entschieden werde.[35]

      Chancen und Gefahren

      Mit »Zittern und Zagen«, erinnerte sich Familienfreundin Henriette von Merckel, habe Emilie »ihren geliebten Gatten nach Frankreich reisen« sehen.[36] Als Fontane sich am 27. September von seiner Frau verabschiedete, war beiden bewusst, dass die Fahrt ein Risiko war. Dass Fontane mit Legitimationspapieren des preußischen Kriegsministeriums im Gepäck und einer Rot-Kreuz-Armbinde ausgestattet war, konnte Emilie nur ein schwacher Trost sein. »Du weißt«, wird sie ihn später erinnern, »dass es mein Wunsch war, Deine Abreise um einige Monate zu verschieben«.[37] Ihr Mann setzte sich bewusst darüber hinweg. Später wird er in seinem Buch Kriegsgefangen reflektieren, dass er bei aller Friedfertigkeit seines Berufs mit dem Bewusstsein in Frankreich eingerückt sei, dass eben Krieg sei und er die Chancen und Gefahren des Krieges bis zu einem gewissen Grade zu teilen haben werde.[38]

image

      Kriegsschauplatz 1870: Fontanes Notizbuch D6 für die Recherche zum Deutsch-Französischen Krieg

      Zwar galt Ende September der endgültige Sieg der Deutschen als sicher, aber es gab noch keinen Waffenstillstand. Und die Kämpfe dauerten ungeachtet der französischen Niederlage von Sedan noch immer an. Das Risiko erhöhte sich, weil Fontane allein nach Frankreich aufbrach. Bei seinen früheren Reisen zu Kriegsschauplätzen war er 1864 in Dänemark von Ernst Waldemar Heffter, dem stellvertretenden Chefredakteur der Kreuzzeitung, und 1866 in Böhmen von seinem Jugendfreund Hermann Scherz begleitet worden.

      Um Emilie zu beruhigen, schrieb Fontane regelmäßig Briefe, in denen