Iva Prochazkova

Die Residentur


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des Arojan-Falls gefragt: das Material, das Vačkář mit seinem Team zusammengetragen hatte, gründlich sichten und sortieren, wenn nötig es um neue Beweise und Aussagen ergänzen, dafür sorgen, dass jemand Konkretes beschuldigt wird, und gleichzeitig mit Samthandschuhen vorgehen wie immer, wenn Angelegenheiten von nationalen oder ethnischen Minderheiten im Spiel waren. Das war keine leichte Aufgabe, aber Marta Alte wäre auch nicht alleine.

      „Was ist mit der Verstärkung, die sie dir vom organisierten Verbrechen versprochen haben?“

      „Irgendein Jukl.“

      „Jukl?“ Vačkář runzelte beim Nachdenken die Stirn. „Kommt mir bekannt vor.“

      Es klopfte und die Sekretärin schaute zur Tür herein.

      „Die Frau Hauptkommissarin“, verkündete sie.

      „Soll reinkommen.“

      Kaum war sie da, wurde sich Zdeněk intensiver als sonst ihrer Farblosigkeit bewusst. Hässlich war sie definitiv nicht, aber ein Charisma hatte sie wie eine graue Maus. Eine alternde graue Maus. Im Winter, als er ihr zum Fünfundvierzigsten gratuliert und bei dieser Gelegenheit einen Kaffee mit ihr getrunken hatte, war ihm aufgefallen, dass in ihrem Haar hier und da eine weiße Strähne durchblitzte. Seit jener Zeit waren es sichtbar mehr geworden. Sie versteckte sie nicht. Im Dezernat munkelte man von einer gerade zerbrochenen Beziehung zu einem a) Maler, b) Musiker, c) Schriftsteller, d) Filmemacher. Obwohl der Flurfunk mit mehreren Versionen der Geschichte aufwarten konnte, stimmten diese aber in einem Punkt ausnahmsweise überein: Angeblich sei Marta Alte seit der Trennung recht verschlossen. Die hat die Flinte ins Korn geschmissen, befand Zdeněk, sonst würde sie ihrer äußeren Erscheinung definitiv mehr Aufmerksamkeit widmen.

      „Ich bin ein bisschen eher gekommen, schlimm?“, fragte sie und drückte ihm die Hand, die er ihr hingestreckt hatte. Er war unfähig, sich zu merken, ob nun zuerst die Frau dem Mann die Hand gab oder der Vorgesetzte seiner Untergebenen, also richtete er sich nach seiner momentanen Stimmung.

      „Du kommst genau richtig. Setz dich.“

      Sie reichte auch Vačkář die Hand und nahm Platz. Ihr Blick landete fast umgehend auf der Akte.

      „Arojan“, sagte Zdeněk. „Letzten September. Mitten in der Nacht zwischen Müllcontainern erschossen. Du bist im Bilde?“

      „Natürlich weiß ich, was in dem Zusammenhang alles los war. Das ganze Tamtam und die Demos und der Journalistenstreik, aber im Detail hab ich das nicht verfolgt.“

      „Das hier sind die Ergebnisse von Mireks sechsmonatiger Arbeit.“ Zdeněk klopfte mit den Fingern auf die Akte. „Wie du weißt, geht er sich jetzt für einige Zeit zu den Ärzten erholen.“

      Sie schenkte Vačkář einen Blick voller Mitgefühl.

      „Ich drück die Daumen“, sagte sie. „Dass das alles gutgeht.“

      „Es muss“, antwortete der lakonisch. „Mir bleibt nix anderes übrig. Ich hab vom Chef die Anweisung gekriegt, wieder gesund zu sein, bevor die Urlaubszeit losgeht.“

      „Ich überlege gerade, wem ich den Arojan-Fall übergeben soll.“ Zdeněk drehte sich zu Marta um.

      „Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“

      Er schob die Akte in ihre Richtung. Sie ließ weder Überraschtsein noch irgendeine andere Reaktion erkennen, schaute nur nachdenklich auf das Konvolut. Sie sagte gar nichts und Zdeněk kam der beunruhigende Gedanke, dass sie ihm aus irgendeinem Grund, den zu respektieren er gezwungen wäre, den ganzen Packen über den Tisch zurückschieben könnte und er eine andere, noch weniger befriedigende Lösung finden müsste. Aber das waren verfrühte Befürchtungen. Sie legte die Hand auf die Akte (mit einer Geste, die sehr besitzergreifend wirkte) und blickte auf.

      „Und wer arbeitet mit mir da dran?“

      Es klopfte erneut, die Sekretärin kam wieder ins Büro.

      „Kommissar Jukl“, verkündete sie.

      Zdeněk sah auf die Uhr. Heute hatten alle den Hang, zu früh zu kommen.

      „Bitten Sie ihn um ein paar Minuten Geduld“, sagte er und wartete, bis die Tür sich hinter der Sekretärin wieder geschlossen hatte. „Das Präsidium hat uns aufgefordert, dass wir mehr mit den anderen Abteilungen kooperieren sollen“, erläuterte er anschließend. „Jukl ist vom organisierten Verbrechen.“

      Marta brauchte einen Moment, ehe sie seine Mitteilung für sich sortiert hatte.

      „Willst du damit sagen, dass der mein Partner wird?“

      „Der Mord an Arojan ist keine …“ Zdeněk verkniff sich den Ausdruck Hausschlachtung, den sie als Herabwürdigung ihrer bisherigen Arbeit hätte auffassen können, und wählte lieber eine andere Formulierung. „Du weißt ja, das ist ein heikler Fall – auch wenn die größte Aufregungswelle schon abgeklungen ist. Die Streiks und Demos haben Gott sei Dank an Anziehungskraft eingebüßt. Angesichts dessen, dass in der Zwischenzeit in der EU mindestens fünf andere Journalisten ermordet worden sind, ist Arojan nur noch eine vertrocknete Pizza. Die Medien sind scharf auf saftigere Brocken. Außerdem ist er Kasmenier gewesen.“

      „Er hat seit seiner Kindheit hier gelebt. Und hatte die tschechische Staatsbürgerschaft“, warf Vačkář ein.

      „Das ist den meisten von unseren Mitbürgern herzlich egal. Protest äußern, das ist denen wichtig, aber sich jetzt übertrieben wegen so einem Zuwanderer zu engagieren? Dazu haben alle genug eigene Probleme.“ Zdeněk fiel auf, dass er in einer Ecke gelandet war, wo er nicht hinwollte, und legte den Rückwärtsgang ein. „Wir brauchen einen konkreten Beschuldigten. Nicht wegen der Öffentlichkeit, nicht wegen den Medien, sondern weil das unser Job ist. Beim Präsidium fangen sie langsam an zu nerven.“

      „Steckt hinter dem Mord was Politisches?“, fragte Marta. Sie hatte die Frage an niemanden direkt gerichtet. Vačkář übernahm das Antworten.

      „Arojan war Investigativjournalist. Außer dass er bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf Russland eingedroschen hat, ist er mit den Bonzen hierzulande auch nicht gerade pfleglich umgegangen. Guck dir mal dem sein Portal an, dann begreifst du, dass die Riege an potenziellen Mördern ziemlich groß ist. Und das macht den ganzen Fall verflixt kompliziert. Ich muss zugeben, dass wir nicht weiterkommen. Wir haben einen Kreis von Verdächtigen, aber keine direkten Beweise.“

      „Und Kommissar Jukl hat mit politisch angehauchten Fällen Erfahrungen?“, fragte sie.

      „Ansonsten hätten sie ihn uns nicht geschickt.“ Zdeněk stand auf. Er hatte Marta ins kalte Wasser geschmissen, nun sollte sie auch schwimmen. Als er die Tür öffnete, erhob sich aus dem Sessel ihm gegenüber ein etwa fünfunddreißigjähriger Mann. Zdeněk erkannte ihn sofort wieder. Vor einer Weile war Jukls Foto in wohl allen tschechischen Medien aufgetaucht, im Zusammenhang mit verdächtigen öffentlichen Aufträgen, bei denen der Hejtman der Region Ústí nad Labem seine Finger im Spiel hatte. Um jenem Rieger auf die Schliche zu kommen, waren die Ermittler aus der Staatlichen Zentralstelle organisierte Kriminalität unter anderem über seine Ehefrau gegangen. Auf die hatten sie Jukl angesetzt, und der hatte sich dieser Aufgabe mit einem Eifer angenommen, der weit über seine Dienstpflichten hinausging. Während die seriösere Presse vorsichtig von „ausgefallenen Praktiken der SZOK“ geschrieben hatte, war in den Boulevardblättern Jukl mit James Bond verglichen worden und man hatte nicht mit Details gegeizt – über seine Affäre mit Riegers Ehefrau, über Riegers nächtliche Eifersuchtsszene vor dem Hotel Romantika, über die Flucht der halbnackten Frau Riegrová durch den Hinterausgang, über die anschließende Prügelei zwischen den beiden Männern und über Jukls ausgeschlagene Zähne. Welche es gewesen waren, hatten die Medien nicht erwähnt. Wahrscheinlich die oben in der Mitte, schätzte Zdeněk, als Jukl bei der Begrüßung lächelte und perfekte Schneidezähne vorzeigte.

      „Jukl.“

      „Karoch.“

      „Entschuldigung, ich bin zu früh“, sagte Jukl so ähnlich wie zuvor Marta.

      „Besser