sieben. In der Nacht zuvor habe ich zum ersten Mal den Mann meiner Träume geküsst. In seinem Auto vor dem Haus meiner Eltern. Bis nachts um zwei. Dann musste ich mich verabschieden. Meine Frühsendung begann nur drei Stunden später. Seit dieser Nacht ist der 10. August ein Jubel-Sonnen-Freutag, denn seitdem sind der Traumtyp und ich ein Paar.
Siebzehn Jahre später. Es ist wieder der 10. August, aber es stehen keine Blumen auf dem Frühstückstisch, und es gibt keine Karte, in der mir mein Mann seine Liebe versichert. Diesen 10. August feiern wir nicht. Denn wir stecken in einer tiefen Krise, wissen nicht, wie es in unserer Ehe weitergehen soll und ob es überhaupt weitergehen soll und kann. Unsere Tochter ist vier Jahre alt.
Eine schlechte Nachricht kommt selten allein
An diesem Tag habe ich ein Treffen mit einem meiner Chefs. Ich moderiere verschiedene Sendungen und habe für jede Sendung einen Chef. Was dieser Chef an diesem Tag von mir will? Ich weiß es nicht. Habe keine Ahnung. Vorsichtig hatte ich im Vorfeld des Termins bei einem der anderen Chefs nachgefragt, ob der sich vorstellen könne, was mich denn erwarte. Die Antwort war: »Ich würde immer das Beste erwarten.« Also gehe ich mittags völlig unvorbereitet – in der Erwartung einer positiven Nachricht – zu dem Treffen. Was mir mein Chef dann sagt, ist wie ein Schlag in die Magengrube. »Du weißt ja, dass wir eine neue Moderatorin ins Team nehmen, und dafür muss einer aus dem alten Team gehen. Und das wirst du sein. Wir können es für Ende des Jahres festlegen, aber lieber wäre es mir, wenn wir mit dem nächsten Dienstplan wechseln. Das wäre in drei Wochen.«
Nach sieben Jahren Moderation eine Kündigungsfrist von drei Wochen. Und damit der Verlust von fünfzig Prozent meines Einkommens. Wir Moderatoren sind nicht fest angestellt, wir werden pro Sendung bezahlt. Sprachlos sitze ich meinem Chef gegenüber, der Mund total ausgetrocknet, im Magen ein riesiger Klumpen. Also Ehe in einer Sackgasse und Job weg. Kein guter Tag. Ich kann nicht mal nach Hause und heulen, weil ich abends eine Livesendung zu moderieren habe.
Es kann immer noch schlimmer kommen
Ziemlich benommen gehe ich in mein Büro zurück. Denken kann ich immer noch nicht. Ich weiß nur, dass ich von den kommenden drei Wochen noch zwei im Dienstplan für die Moderation dieser Sendung eingeteilt bin und dann Schluss ist. Und dieser Gedanke kreist in meinem Kopf. Und kreist und kreist. Ich bin nicht in der Lage ihn abzustellen. An meinem Schreibtisch angekommen, sehe ich, dass sowohl auf meinem Festnetzapparat wie auch auf meinem Handy eine Nachricht hinterlassen wurde. Meine Schwester hat versucht, mich zu erreichen. Ihre Nachricht ist ähnlich kurz wie die meines Chefs, aber viel, viel schlimmer. Sie lautet: »Patricia, komm sofort nach Hause. Mami liegt im Sterben.«
Bei meiner Mutter war ein paar Monate zuvor Gallengangkrebs diagnostiziert worden. Wochenlang war sie von einem Arzt zum anderen gelaufen. Keiner konnte etwas feststellen. Am Ende hieß es, es seien die Nerven. Und auch meine Schwestern und ich wollten lange daran glauben. Legten ihr nahe, sich auszuruhen. Erst als sie nachts Blut spuckte und ohnmächtig im Badezimmer umfiel, entdeckte man im Krankenhaus die Ursache. Da war es aber schon viel zu spät. Der Krebs hatte bereits flächendeckend gestreut. Dennoch hatte ich bis zum letzten Tag die Hoffnung, dass sie wieder gesund wird. Sie war erst 67 Jahre alt.
Also Ehe in einer Sackgasse, Job weg und die Nachricht über den nahenden Verlust meiner Mutter. Alles an einem Tag.
Nichts ist so schlecht, als dass nicht auch etwas Gutes dabei wäre
Mein Vater, der schon einige Jahre vor meiner Mutter gestorben war, hatte viele kluge Sprüche auf Lager. Einer seiner Lieblingssätze war: »Nichts ist so schlecht, als dass nicht noch was Gutes dabei wäre.« Mein Kraftsatz »Nichts passiert ohne Grund« hat seine Wurzeln in dem Satz meines Vaters. Doch was soll an diesem 10. August gut gewesen sein? Was soll man Positives aus einem Tag wie diesem ziehen können? Welchen – guten – Grund gab es für diesen 10. August in meinem Leben?
Antworten auf diese Fragen bekommt man oft erst in der Nachbetrachtung. Und auch ich wusste erst Wochen später, was das Gute daran war und warum das alles passieren musste.
Drei Wochen durfte meine Mutter noch leben, erst im Krankenhaus, dann gepflegt von meiner Schwester in deren Wohnung. Einige Tage davon durfte ich sie noch füttern, sie auf die Toilette bringen – sie konnte aufgrund der Metastasen schon länger nicht mehr laufen – und ihr zuhören. Dann starb sie an einem Freitagmittag, und ich durfte neben ihr sitzen.
Kurz nachdem sie die Augen für immer geschlossen hatte, rief ich meinen Mann an, der mit unserer Tochter kam, um mich abzuholen. Und in den Wochen darauf dämmerte es mir, warum es das Schicksal an diesem 10. August doch recht gut mit mir gemeint hatte.
Danke für die Kündigung
Wäre mir an diesem Tag nicht diese Sendung gekündigt worden, hätte ich die letzten drei Wochen, die meine Mutter noch lebte, pflichtbewusst meine Arbeit getan und meine Sendungen moderiert. Ich wäre nur am Wochenende zu ihr gefahren. So aber hatte ich zehn Tage mit ihr im Krankenhaus. Sie erzählte mir viele Geschichten aus ihrer Kindheit. Diese Zeit kann mir keiner mehr nehmen.
Drei Monate nach dem Tod meiner Mutter wurde ich schwanger. Für meinen Mann und mich war es durch die Ereignisse völlig klar, dass wir zusammengehören. Ich war damals schon 38 Jahre und wurde sehr schnell schwanger. Ich bin bis heute fest davon überzeugt, dass meine Mutter uns unseren Sohn geschickt hat. Er kam vier Tage vor ihrem ersten Todestag auf die Welt. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie viele Tränen ich an diesen Tagen geweint habe. Vor Freude und vor Kummer.
Ein paar Wochen nach dem Gespräch mit meinem Chef bekam ich von ihm einen langen handgeschriebenen Brief, wie leid es ihm täte, dass er ausgerechnet an diesem Tage mit dieser Kündigung gekommen war. Diesen Brief habe ich aufgehoben. Er hat mich im Nachhinein sehr mit der Situation versöhnt. Doch eigentlich bin ich ihm bis heute – ganz im Stillen – sehr dankbar für diese Kündigung zur genau richtigen Zeit.
Vielleicht ist es Ihnen auch schon mal so ergangen, dass Sie dachten, das Schicksal meint es gerade besonders übel mit Ihnen. Es muss ja nicht immer gleich ein »10. August« sein. Da reichen viel geringere Anlässe. Ein Beinbruch am ersten Tag des Skiurlaubs oder eine Steuernachzahlung, die sich gewaschen hat. Manchen Frauen soll schon ein missglückter Haarschnitt ausreichen (habe ich tatsächlich schon mal bei einer Freundin erleben müssen!), um sich voll und ganz vom Schicksal bestraft zu fühlen. Wenn es Ihnen dann gelingt, sich mit dem Glauben, dass es für irgendetwas gut sei, auch wenn Sie im Moment noch keine Ahnung haben, wofür, verankern können, wird Ihnen der »Schicksalsschlag« schon gleich weniger heftig vorkommen.
Wer weiß, wofür es gut ist?
Folgende kleine Geschichte zeigt, wie viel Aufregung man sich im Leben erspart, wenn man nur fest an die Aussage »Nichts passiert ohne Grund« glaubt:
Ein alter Mann bearbeitete mit seinem einzigen Sohn einen kleinen Hof. Sie hatten nicht mehr als ein Stückchen Land und ein Pferd, das den Pflug zog. Eines Tages lief das Pferd davon. Da kamen die Menschen aus dem Dorf und bedauerten den armen Mann: »Armer Alter, jetzt müsst Ihr die ganze schwere Arbeit ohne Pferd machen. Oh weh, oh weh.« Doch der alte Mann sagte nur: »Wer weiß, wer weiß, wofür es gut ist.«
Wenige Tage später kehrte das Pferd auf den Hof zurück und führte eine Herde wunderschöner Wildpferde mit sich. Und wieder kamen die Dorfbewohner und jubelten diesmal: »Was für ein Glück ihr habt. Ihr seid wirklich zu beneiden.« Und wieder sagte der alte Mann nur: »Wer weiß, wer weiß, wofür es gut ist.«
Am nächsten Tag wollte der Sohn eines der Wildpferde zureiten, fiel dabei aus dem Sattel und brach sich ein Bein. Schnell kamen die Leute aus dem Dorf angerannt, um zu lamentieren. Denn nun musste der arme Mann die schwere Feldarbeit ohne Unterstützung seines kräftigen Sohnes schaffen. Doch wieder sagte der Alte nur: »Wer