Patricia Küll

Ab heute singe ich unter der Dusche


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aus. Soldaten kamen in das kleine Dorf und nahmen alle jungen Männer mit, die an der Front dienen mussten. Viele von ihnen starben und kehrten nie zurück. Nur den Sohn des Alten konnte man mit seinem gebrochenen Bein für den Krieg nicht gebrauchen. »Wer weiß, wer weiß schon, wofür es gut ist?«

      Beneidenswert, die Einstellung des Alten. Doch wie kommt man an den Punkt, dass man mit großer innerer Überzeugung gewisse Dinge annehmen kann mit dem »Wissen«, dass daraus auch etwas Gutes wachsen wird?

      Menschen, die öfter »wer weiß, wer weiß, wofür es gut ist« denken, sind oft insgesamt positive »Denker«. Deren Gedankenautobahnen im Hirn sind nicht nur breite graue Streifen. Deren Hirnwindungen sind bepflanzt mit grünen Mittelstreifen und blühenden Randstreifen. Die Gründe, warum das bei den einen so ist und bei anderen nicht, sind ganz unterschiedlich. Da spielen vor allem unsere Vorbilder eine wichtige Rolle. Aber die gute Nachricht ist: Jeder kann positives Denken lernen. Das dauert eine Weile, bis die alte Autobahn gegen eine neue ersetzt ist, aber der Aufwand lohnt sich.

       Umparken im Kopf mit Affirmationen

      Nehmen Sie auch immer den gleichen Weg zur Arbeit oder in den Supermarkt? Vermutlich schon. Denn der Weg ist Ihnen vertraut. Sie müssen nicht darüber nachdenken, wie Sie dort hinkommen. Sie finden den Weg praktisch von alleine. So ergeht es Ihren Gedanken auch. Das, was Sie jahre- oder sogar jahrzehntelang gedacht haben, hat sich als sehr breiter Weg in Ihr Gehirn gegraben. Es ist leicht, immer dasselbe zu denken. Wer groß geworden ist mit Selbstvorwürfen, wird sich bei jeder Gelegenheit selbst anklagen. Darüber denkt man gar nicht mehr nach. Man geht diesen Weg gedanklich sozusagen von alleine. Um nun neue Wege zu gehen, müssen Sie üben. Zunächst einmal müssen Sie einen neuen Weg finden. Manchmal müssen Sie dabei auch Umwege nehmen (seien Sie geduldig mit sich, wenn Sie nicht gleich den richtigen Weg finden. Umwege sind oft besser als ihr Ruf, denn »Umwege erhöhen die Ortskenntnis«). Und wenn Sie den richtigen Weg für sich gefunden haben, ist das erst mal nur ein Trampelpfad. Sie müssen diesen neuen Weg oft, sehr oft gehen/denken, um aus dem Trampelpfad einen Weg, eine Straße, eine Autobahn zu machen.

      Der Nachteil ist also, dass es Zeit kostet, diesen Weg zu gehen. Der Vorteil: Der Weg hat kaum Steigungen, er lässt sich also leicht gehen.

      Das Vehikel, das Sie auf dieser Straße voranbringt, nennt sich Affirmation. Das sind positive, selbstbejahende Sätze, die man sehr häufig wiederholt. Dies ist eine sehr einfache Methode, um sein Denken und damit sein Verhalten und Handeln zu ändern. So wie negative Glaubenssätze aus der Kindheit beeinflussen, so können auch die neuen, positiven Affirmationen ins Unterbewusstsein eindringen und dort wirken.

      Negative Affirmationen, die oft Begleiter seit Kindheitstagen sind, können lauten:

      • Ich bin so blöd.

      • Ich kann nichts richtig.

      • Ich bin nicht liebenswert.

      • Ich bin hässlich.

      • Typisch, dass mir das wieder passiert.

      • Ich habe einfach kein Glück.

      • Mich mag keiner.

      Kommt Ihnen der eine oder andere Satz bekannt vor? Vermutlich wurden Sie von klein auf damit konfrontiert. Vielleicht haben sich aber auch erst im Laufe des Erwachsenenlebens Gedanken eingeschlichen, die Sie negativ beeinflussen.

      So wie bei meiner Bekannten Marina. Sie selbst war immer ein kleiner Sonnenschein, optimistisch und strahlend. Ihr Mann das genaue Gegenteil. Vermutlich haben sie sich deshalb gefunden. Doch das sonnige Gemüt von Marina färbte nicht auf ihren Mann ab. Im Gegenteil. Die fast schon misanthropische Art ihres Partners verdunkelte im Laufe von vielen Jahren das Strahlen von Marina. Da solche Prozesse schleichend vonstattengehen, fiel meiner Bekannten lange gar nichts auf. Bis die Tage, an denen sie morgens gar nicht mehr aufstehen wollte, weil sie nicht wusste, worauf sie sich freuen sollte, immer häufiger wurden. In den Gesprächen mit mir betonte sie immer wieder, dass es ihr und ihrer Familie eigentlich richtig gut ginge und sie gar nicht verstehen könne, warum sie ihr Leben nicht genießen könne. Letztendlich machten wir verschiedene Faktoren aus, die im Laufe von vielen Jahren zu ihrer negativen Grundstimmung geführt hatten. Allen voran war es der Glaube, dass es ihr eigentlich nicht so gut gehen durfte, weil viele ihrer Familienmitglieder – vor allem ihre (bereits verstorbenen) Eltern – ein entbehrungsreiches Leben geführt haben. Die Frage war, ob sich hier etwas mit Affirmationen verändern ließe.

      Marina suchte für sich folgende Affirmationen, die ihr wieder mehr Leichtigkeit in den Alltag bringen sollten:

      • Ich darf alles, was gut ist in meinem Leben, annehmen und mich darüber freuen.

      • Ich darf unbeschwert mein Leben genießen.

      • Ich darf immer mehr so werden, wie ich bin.

      Diese Sätze sagt sie sich am Tag, so oft es geht. Gleich morgens nach dem Aufwachen, während des Tages, wenn sie an der Ampel wartet oder an der Supermarktkasse und – ganz wichtig – abends im Bett, bevor sie einschläft. Sie kennen sicherlich die Wirkung, wenn man abends Vokabeln gelernt hat. Die waren am nächsten Morgen garantiert präsenter als die, die man am Nachmittag gepaukt hat. Diese Wirkung können Sie auch für Ihre Affirmationen nutzen. Schlafen Sie mit positiven Gedanken ein. Die Chance, dass Sie mit positiven Gedanken aufwachen, ist hoch.

      Lustigerweise konnte sich Marina ihre zweite Affirmation schlecht merken, obwohl sie sich den Satz selber ausgedacht hat. Jede Affirmation sollten Sie mehrmals laut aussprechen und dabei in sich hineinhorchen, wie sie »ankommt«. »Kneten« Sie so lange an den Sätzen, bis sie sich richtig anfühlen. Marinas Hirn schaltete bei dem Wort »unbeschwert« immer ab. Stattdessen schickte es Begriffe wie »leichtsinnig«, »leichtlebig« oder »leichten Herzens«, doch das war nicht die Bejahung, die Marina für sich wollte. Immer wieder musste sie vorher nach dem richtigen Begriff suchen. Es war so, als hätte das Unterbewusstsein dieses Wort und damit auch diese Art zu leben für alle Zeiten verdrängen wollen. Und nun war es an Marina, es mühsam wieder auszugraben.

       Worte wirken

      Vielleicht denken Sie jetzt, dass ein paar Worte unmöglich eine solche Wirkung haben können. Auch dazu gibt es eine sehr nette Geschichte aus dem islamischen Kulturkreis:

       Ein spiritueller Mann heilte ein krankes Kind, indem er einige Worte immer wieder vor diesem wiederholte. Nach dieser »Behandlung« gab er das Kind den Eltern und sagte: »Jetzt wird es gesund werden.« Ein Zuschauer konnte das nicht glauben und fragte: »Wie kann das sein, dass Menschen durch ein paar wiederholte Worte geheilt werden können?«

       Da drehte sich der spirituelle Mann, der für seine Sanftheit bekannt war, zornig um und entgegnete bitterböse: »Du verstehst nichts davon. Du bist ein Narr!« Der Zuschauer wurde nun auch zornig, die Röte stieg in sein Gesicht und seine Miene verzog sich zu einer hässlichen Grimasse. Da sagte der spirituelle Mann: »Wenn ein Wort die Kraft hat, dich wütend zu machen, warum sollte dann ein Wort nicht auch die Kraft haben zu heilen?«

      Wenn also Worte und Gedanken die Kraft haben, Sie zu deprimieren, warum sollten dann Worte und Gedanken nicht auch die Kraft haben, Sie aufzuheitern?

       ÜBUNG: Neue Wege im Kopf gehen

      Wie wäre es, wenn Sie es ausprobieren – jetzt gleich hier?

      Schreiben Sie auf, was Sie in Zukunft denken wollen. Achten Sie darauf, dass Sie schreiben, was Sie wollen, und nicht, was Sie nicht wollen. Also nicht »ich will mir nicht mehr selber Vorwürfe machen«, sondern »ich darf mich selber loben«. Wichtig ist, dass Sie Ihre Affirmation positiv ausdrücken. Auch sollten Sie bei der Formulierung »ich bin«-Sätze vermeiden. Denn das suggeriert, dass es um Ihre Person in Gänze geht. Doch es ist immer nur ein Teilaspekt Ihrer Persönlichkeit, den Sie nun anders bestärken wollen. Bei »ich bin«-Formulierungen ist die Gefahr groß, dass der innere Widerstand