ganz und gar zutreffend.129 Das gegen Ende der Epist. 1,5Plinius der JüngereEpist. 1.5 eingefügte Brief-Zitat mit dem Spott auf Regulus stellt zudem eine Art Gegenpol dar zu den am Beginn des Briefes zitierten Schmähungen, die Regulus gegen Arulenus Rusticus130 ausgesprochen hatte (1,5,2: ‘Stoicorum simiam’…‘Vitelliana cicatrice stigmosum’).Plinius der JüngereEpist. 1.5
Auch in Epist. 3,9 über den Repetundenprozess der Provinz Baetica gegen den bereits verstorbenen Caecilius Classicus finden wir einen in die Narration eingelegten Brief.131 Plinius, der die Provinz vertrat und die Helfer und Genossen des Classicus zur Rechenschaft ziehen wollte, schildert in dem Brief seine Taktik: Zuerst einmal war es wichtig, die Schuld des Classicus nachzuweisen, um dann auch gegen seine Mittäter vorgehen zu können. Hier konnte sich Plinius neben anderen Schriftstücken auch auf einen Brief des Classicus stützen, den dieser an seine Geliebte in Rom geschickt hatte (Epist. 3,9,13):
Miserat etiam epistulas Romam ad amiculam quandam iactantes et gloriosas his quidem verbis: ‘io io, liber ad te venio; iam sestertium quadragiens redegi parte vendita Baeticorum.’
In den ansonsten eher ernsten Brief 3,9Plinius der JüngereEpist. 3.9 ist der Briefwechsel eines Liebespaares eingebettet, und mit der despektierlichen Bezeichnung der Adressatin als amicula quaedam gibt Plinius der Episode einen anrüchigen Anstrich.132 Zudem kritisiert er den prahlerischen Ton des Schreibens (epistulas…iactantes et gloriosas) und zitiert dann wörtlich daraus. Der Ausruf io io liber at te venio enthält ein Wortspiel, das Classicus sowohl als Bacchus (Liber), zu dem der Kultruf io passt, als auch schuldenfrei (aere alieno liberatus) charakterisiert.133 Classicus hat angeblich vier Millionen Sesterzen durch den Verkauf von halb Baetica eingenommen, was der höchste Betrag ist, den Plinius im Zusammenhang mit einem Repetundenprozess anführt.134 Briefe wurden in antiken Gerichtsreden nicht selten als Beweismittel herangezogen,135 und Plinius dürfte hier insbesondere Cicero imitieren, der sich in Buch 3 der (niemals gehaltenen) actio secunda gegen Verres ausführlich mit einem Brief von Verres’ Gefolgsmann Timarchides an den decumanus Apronius auseinandersetzt (Verr. 2,3,154‒7).136 Während Cicero den Brief Satz für Satz durchgeht, um Adressanten und Adressat zu diskreditieren,137 genügt bei PliniusPlinius der JüngereEpist. 3.9 ein kurzes Zitat zur Überführung des Caecilius Classicus. Wie Plinius in den Besitz des Briefes kam, bleibt allerdings offen.Plinius der JüngereEpist. 3.9
Auch in anderen Schilderungen iuristischer Probleme spielen Briefe eine nicht unerhebliche Rolle: So etwa in Epist. 6,22Plinius der JüngereEpist. 6.22 über den Prozess des Provinzstatthalters Lustricius Bruttianus gegen seinen Gefolgsmann Montanius Atticinus. Bruttianus hatte seinen Assistenten bei vielen Schandtaten (2: in multis flagitiis) ertappt und daraufhin dem Kaiser brieflich davon berichtet (2: Caesari scripsit).138 Genaueres erfahren wir hier nicht über den Inhalt besagten Briefes, doch für die weitere Handlung ist er insofern von Bedeutung, als Atticinus nun seinerseits Bruttianus anklagt, was in den Augen des Plinius als ein weiteres flagitium zu werten ist (2: Atticinius flagitiis addidit, ut quem deceperat, accusaret). Epist. 6,22 erzählt dann in weiterer Folge vom Verlauf des Prozesses und letztendlich dem Freispruch des Bruttianus. Kaiser Trajan ist auch Adressat weiterer „Briefe im Brief“, von denen etwa in Epist. 6,31Plinius der JüngereEpist. 6.31 über das consilium Traiani in Centum Cellae berichtet wird.139 Plinius schildert hier „nach dem Gesetz der wachsenden Glieder“140 drei Verhandlungen, von denen jede einen Tag einnahm. Am zweiten Tag wurde der Ehebruch einer gewissen Gallitta mit einem Zenturio untersucht (4‒6):141 Gallitta war mit einem angehenden Militärtribun verheiratet und befleckte, wie es heißt, durch die Affäre die Ehre ihres Mannes (4: mariti dignitatem…maculaverat). Der betrogene Gatte berichtete daraufhin in einem Brief seinem Konsularlegaten von der Sache, dieser wiederum schrieb an den Kaiser (4: maritus legato consulari, ille Caesari scripserat).142 Auch hier erfahren wir nur indirekt vom Inhalt der Briefe – Plinius fasst die Sachlage kurz zusammen (4) –, deren Sendung für die beteiligten Personen allerdings ernste Folgen hatte: Trajan entließ nicht nur den ehebrecherischen Zenturio aus dem Dienst und verbannte ihn (5: centurionem exauctoravit atque etiam relegavit), sondern forderte auch den gehörnten Ehemann, der seiner Frau gegenüber inzwischen wieder nachsichtiger geworden war, dazu auf, die Anklage zum Ende zu führen, was dieser nur widerwillig tat. Gallittas Strafe bestand nach der Lex Iulia im Verlust eines Teils ihres Vermögens sowie der relegatio.143 Ein Brief an den Kaiser führte auch zu der dritten Verhandlung in Centum CellaePlinius der JüngereEpist. 6.31, diesmal eine Erbschafts-Angelegenheit (7‒12), die schon vorher in Gerüchten und Gerede die Runde gemacht hatte (7: multis sermonibus et vario rumore iactata): das Testament des Iulius Tiro enthielt einen Nachtrag, der von den Erben als eine Fälschung des Ritters Sempronius Senecio und des Freigelassenen Eurythmus angesehen wurde. Während Trajans Aufenthalt in Dakien hatten die Erben den Kaiser in einem Brief um eine Untersuchung der Sache gebeten, doch bis dieser zurückkehrte und einen Verhandlungstermin festsetzte, wollten einige der Kläger bereits wieder abspringen, wohl weil sie eine Gegenklage wegen calumnia (falscher Anklage) fürchteten.144Plinius der JüngereEpist. 6.31
Eine wichtige Funktion für die Entwicklung der Handlung hat in Epist. 6,16,8Plinius der JüngereEpist. 6.16.8‒9 der Brief der Rectina, die den älteren Plinius um Rettung aus der Gefahrenzone während des Vesuv-Ausbruchs bittet und ihn so zur Änderung seiner Pläne bewegt (9: vertit ille consilium).145 Weniger für die Handlung als für die Selbstdarstellung des Plinius ist der Brief Nervas relevant, aus dem Plinius in Epist. 7,33,9Plinius der JüngereEpist. 7.33.9 zitiert: Nachdem sich Plinius im Prozess gegen Baebius Massa mutig an die Seite des Herennius Senecio gestellt hatte, wurde er von Nerva als exemplum simile antiquis bezeichnet, wie Plinius mit dem Zusatz sic enim scripsit belegt.146
Ein Überblick über die narrativen Briefe, in denen Plinius von der Briefkorrespondenz verschiedener Protagonisten erzählt, macht deutlich, dass solche „erzählten Briefe“ oft in den Kontext von Spott, illegitimer Liebe oder Betrug eingebettet sind; diese Briefwechsel geben der Erzählung sozusagen eine gewisse Würze oder bringen eine pikante Geschichte in Gang. Auch kann es sich um wahre „Krimis“ handeln, in denen Briefe (oder besser gesagt, fehlende Briefe) eine Rolle spielen: Epist. 6,25Plinius der JüngereEpist. 6.25 berichtet vom mysteriösen Verschwinden eines gewissen Robustus und Metilius Crispus;147 zweiterem hatte Plinius die Stelle eines Zenturio verschafft und 40000 Sesterze geschenkt, nach seiner Abreise jedoch nichts mehr von ihm gehört (3): nec postea aut epistulas eius aut aliquem de exitu nuntium accepi. Möglicherweise wurden Crispus und auch Robustus Opfer eines Überfalls oder sonstigen Verbrechens, da auch keine ihre Sklaven mehr auftauchten (4). Darüber hinaus sind Briefe, wie etwa in Epist. 6,16, wichtige Requisite, die den Verlauf einer Handlung beeinflussen. Schließlich dienen solche eingelegten Briefe nicht nur der Charakterisierung ihrer Verfasser (wie etwa des Caecilius Classicus in 3,9,13), sondern auch des Plinius selbst, der mit dem Brief Nervas in Epist. 7,33,9 ein iudicium alienum über seine Person zitiert. Die hier kurz skizzierte Art und Weise, wie Plinius den „Brief im Brief“ auf narrativer Ebene funktionalisiert, erinnert an ähnliche Techniken bei antiken Historiographen, Biographen oder auch in dramatischen Texten. Nach dem Überblick zu antiken Reflexionen über das narrative Potenzial von Briefen sei im Folgenden betrachtet, inwiefern die moderne Erzähltheorie dazu beitragen kann, die Narrativität der antiken Epistolographie zu analysieren.
2 Epistolographie und Narratologie
Moderne Erzähltheorien haben sich in der Klassischen Philologie mittlerweile gut etabliert, insbesondere die Methoden der narratologischen Analyse, wie sie etwa Gérard Genette entwickelte, erweisen sich auch für die Arbeit mit antiken Texten als fruchtbar.1 So existieren inzwischen zahlreiche Studien, in denen Epen, Dramen, historische und biographische Werke, Reden, Romane sowie gelegentlich auch kleinere poetische Genres unter Zuhilfenahme narratologischer Ansätze analysiert werden.2 Was die antike Epistolographie betrifft, hat man sich hier insbesondere auf Briefromane und fiktionale Briefe konzentriert,3 wohingegen Sammlungen von Privatbriefen wie diejenige des jüngeren Plinius noch wenig aus der Perspektive der modernen Erzählforschung untersucht worden sind, wenn man von Interpretationen einzelner Briefe einmal absieht.4 Dies liegt einerseits sicherlich daran, dass