für das Ende gewählt worden sein.101
Derartige Querverweise auf Briefe bilden nicht nur kleinere Narrationen innerhalb desselben Buches, sondern auch über die Buchgrenzen hinaus. So berichtet Plinius in Epist. 3,20Plinius der JüngereEpist. 3.20 seinem Adressaten Maesius Maximus102 über die kürzliche Einführung geheimer Abstimmung bei Wahlen im Senat (2: nunc in senatu) und verleiht seiner Sorge Ausdruck, dass einige Senatoren dadurch zu unverschämtem Verhalten verleitet werden könnten (8: est enim periculum, ne tacitis suffragiis impudentia inrepat. nam quoto cuique eadem honestatis cura secreto quae palam?). Der Brief 4,25Plinius der JüngereEpist. 4.25 an denselben Adressaten setzt dann voraus, dass es bei einer der folgenden Wahlen tatsächlich zu schamlosen Späßen im Rahmen der Anonymität einer geheimen Abstimmung gekommen ist (1): Scripseram tibi verendum esse, ne ex tacitis suffragiis vitium aliquod exsisteret. factum est. Plinius nimmt explizit auf das vorangehende Schreiben Bezug, ohne jedoch den Zeitraum, der zwischen den beiden Briefen liegt, näher zu bestimmen.103 Der in Epist. 4,25 geschilderte Skandal ereignete sich Plinius zufolge proximis comitiis (1), und somit behandelt der Brief wie schon Epist. 3,20 ein aktuelles Ereignis aus der Tagespolitik.104
Auch im Rahmen der Erzählung vom Prozess des Varenus105 konstruiert Plinius eine narrative Entwicklung über mehrere Bücher, indem er etwa in Epist. 6,5Plinius der JüngereEpist. 6.5 auf Epist. 5,20Plinius der JüngereEpist. 5.20 zurückverweist – beide Briefe sind an Cornelius Ursus gerichtet106 – und sich dabei selbst wörtlich zitiert (6,5,1: Scripseram tenuisse Varenum, ut sibi evocare testes liceret; vgl. 5,20,2: Varenus petit, ut sibi…evocare testes liceret).107 Die Bücher 7 und 8 wiederumPlinius der JüngereEpist. 7.29/8.6 sind unter anderem durch einen Briefwechsel mit einem gewissen Montanus108 verkettet, in dem Plinius seine Entrüstung über die Inschrift auf dem Grabmal für Pallas, libertus und a rationibus unter Kaiser Claudius,109 kundtut; im ersten Brief berichtet Plinius von seiner kürzlichen Entdeckung des Grabsteins während einer Reise auf der Via Tiburtina (7,29,2: proxime adnotavi), im zweiten Schreiben nimmt er erneut darauf Bezug (8,6,1: Cognovisse iam ex epistula mea debes adnotasse me nuper monumentum Pallantis), wobei der zeitliche Abstand zwischen den beiden Briefen offenbar nicht allzu groß ist, da die Auffindung des Grabes im späteren Schreiben immer noch als jüngeres Ereignis (nuper) markiert ist.110 Die Inschrift auf PallasPlinius der JüngereEpist. 7.29/8.6, die in beiden Briefen zitiert wird, erwähnt den Senatsbeschluss, demzufolge Pallas neben einer Summe von fünfzehn Millionen Sesterzen die ornamenta praetoria zuerkannt wurden.111 Aus der Sicht des Plinius ist es nicht nur besonders empörend, dass der Senat einem Freigelassenen bzw. „Schurken“ (7,29,3: ille furcifer) eine derartige Ehre zugestand, sondern dass dieser unter dem Anschein der Mäßigung das Geld ablehnte und sich mit der Ehre allein zufrieden gab. Noch mehr als über Pallas ärgert sich Plinius über das kriecherische Verhalten des Senats, das er in Epist. 8,6 mit nahezu satirischer Schärfe brandmarkt. Dass er mit seinem Brief an die Grenze zu Satire oder Diatribe gelangt ist, scheint Plinius durchaus bewußt zu sein: Möglicherweise, so bemerkt er zum Schluss (8,6,17), habe er mit seiner Entrüstung (indignatio) an manchen Stellen das Maß eines Briefes überschrietten (ultra epistulae modum).112Plinius der JüngereEpist. 7.29/8.6
Wohl in bewusstem Gegensatz zu den Pallas-Briefen wurde das Brief-Paar 6,10 und 9,19 verfasstPlinius der JüngereEpist. 6.10/9.19, in dem es ebenfalls um eine Grabinschrift geht: Diesmal handelt es sich um das positive Exemplum des im Jahre 97 n. Chr. verstorbenen und von Plinius bewunderten Verginius Rufus.113 Die Narration über den „Anti-Helden“ Pallas in Buch 7‒8 wird somit von der Erzählung über das Grabmal eines role-models des Plinius in Buch 6 und 9 umrahmt.114 Anders als im Falle des Pallas ist Plinius hier nicht über den Inhalt der Grabinschrift entrüstet, sondern über deren Fehlen, das aus der Vernachlässigung des Grabmals zehn Jahre nach dem Tod des Verginius herrührt (6,10,3: post decimum mortis annum). Die von Verginius zu Lebzeiten noch selbst in Auftrag gegebene Inschrift, die seinen Sieg über Vindex und seinen Verzicht auf die Herrschaft thematisieren sollte,115 wurde nach zehn Jahren noch immer nicht auf dem Grabstein angebracht (6,10,3: sine titulo). Plinius zitiert die Inschrift sowohl in Epist. 6,10 an einen gewissen Albinus116 als auch im Brief 9,19, der an Ruso gerichtet ist.117 Hier haben wir es nun also mit zwei verschiedenen Adressaten zu tun, denen Plinius über dasselbe Thema schreibt. Überdies beginnt die spätere Epist. 9,19 mit folgenden Worten: (1): Significas legisse te in quadam epistula mea iussisse Verginium Rufum inscribi sepulcro suo…; es folgt dann abermals das Zitat der Inschrift, an der Ruso offenbar Anstoß genommen (1: reprehendis, quod iusserit) und ihr das Beispiel des Iulius Frontinus118 entgegengehalten hatte, der ganz auf ein monumentum verzichtete. Plinius versucht nun, seinem Adressaten gegenüber das Epitaph des Verginius zu rechtfertigen. Wie konnte nun Ruso Einblick in Plinius’ früheren BriefPlinius der JüngereEpist. 6.10/9.19 an Albinus erhalten? Es wäre natürlich möglich, dass ihm das Schreiben von diesem zur Lektüre überlassen wurde; denkbar ist jedoch auch, dass es sich hier um einen literarischen Kunstgriff handelt und Plinius – wohl nicht zufällig im letzten Buch – einen reader response einbaut, der Ruso nicht nur als Adressaten eines einzelnen Briefes, sondern zugleich als Leser der publizierten Sammlung auftreten lässt.119Plinius der JüngereEpist. 6.10/9.19
Wie aus dem Gesagten deutlich geworden sein dürfte, bietet das Medium Brief vielfältige Möglichkeiten, narrative Linien zu konstruieren. Neben den bereits beschriebenen Techniken seien noch solche Fälle betrachtet, in denen Briefe in eine Erzählung eingebettet und für den Handlungsverlauf von Bedeutung sind. Dem Phänomen der embedded letters begegnen wir sehr oft in narrativen Gattungen wie Historiographie, Biographie, Epos, Drama und Roman.120 Hier dienen eingelegte Briefe etwa dazu, Ereignisse zu illustrieren, ihre Authentizität zu unterstreichen,121 Personen näher zu charakterisieren, Handlungsschauplätze miteinander zu verbinden und dergleichen mehr. Auch der Prozess des Abfassens, Sendens, Lesens oder gar Abfangens eines Briefes kann dabei unterschiedlich stark gewichtet werden. Je nach Intention der Darstellung liegt der Schwerpunkt einmal mehr auf dem Inhalt eines Briefes, der uns in indirekter oder direkter Rede präsentiert wird, oder aber auf den mit der Korrespondenz verbundenen materiellen Aspekten. Insbesondere bei Wiedergabe des Briefinhalts handelt es sich um eine „Erzählung in der Erzählung“, die von einem internen Verfasser für einen internen Rezipienten geschrieben ist. In dieser Hinsicht ähneln Briefe den mündliche Figurenreden, die häufig in Erzähltexte eingelegt sind und zur Fokalisierung und Dramatisierung dienen.122 Während die mündliche Rede eine räumliche Nähe von Sprecher und Zuhörer voraussetzt, ist für die Briefkorrespondenz die Distanz der Dialogpartner sowie eine zeitliche Verzögerung zwischen dem Äußern und Rezipieren der Worte konstitutiv, was sich im Rahmen einer Narration auf vielfältige Weise ausschöpfen lässt.
Auch bei Plinius finden sich in einigen narrativen Episteln Beispiele, wo Briefe anderer Verfasser in die Erzählung eingelegt und für die Handlung von Bedeutung sind. In der später noch eingehender zu analysierendenPlinius der JüngereEpist. 1.5 Epist. 1,5123 etwa berichtet Plinius vom Verhalten des berüchtigten Anklägers M. Aquilius Regulus sowohl während der Regierungszeit Domitians als auch nach dem Tode des Kaisers.124 In einem Prozess, der unter der Herrschaft Domitians stattfand, habe Regulus seinen Kontrahenten Plinius arg in Bedrängnis zu bringen versucht, indem er ihn wiederholt nach seiner Meinung über den vom Kaiser verbannten Mettius Modestus fragte (1,5,5‒7).125 Nachdem Domitian ermordet worden ist – die Gegenwart des Briefes lässt sich auf Anfang 97 n. Chr. datieren126 –, ist Regulus in Angst vor Plinius’ Zorn und versucht bei einem persönlichen Treffen,127 seine damalige Verhörtechnik zu rechtfertigen (13): Interrogavi, non ut tibi nocerem, sed ut Modesto. Regulus führt für seine Absicht, dem bereits Verbannten zu schaden, einen „vortrefflichen Grund“ an (14):
subiunxit egregiam causam: ‘scripsit’, inquit, ‘in epistula quadam, quae apud Domitianum recitata est: »Regulus, omnium bipedum nequissimus«’; quod quidem Modestus verissime scripserat.
Der betreffende Brief wurde vermutlich während der Gerichtsverhandlung über Modestus’ Verbannung vor Domitian als Richter verlesen.128 Im Rahmen der Charakterisierung des Regulus in Epist. 1,5 lässt Plinius diesen sowohl in direkter Rede sprechen als auch eine Passage aus dem Brief des Modestus zitieren. Damit wird dem Leser ein schriftlicher