A. F. Morland

Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane


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      3

      Marina Albrecht war unbeschreiblich glücklich. Ihr großer Traum war es, eines Tages Gabriels Ehefrau zu sein, und sie rechnete noch in diesem Jahr mit seinem Heiratsantrag. Die junge blonde Frau streckte sich und seufzte wohlig. Gabriel lag neben ihr.

      Sie befanden sich in seiner kleinen Wohnung. In seinem Schlafzimmer. In seinem Bett. Die wenigen Räume waren billig eingerichtet.

      Gabriel hatte nicht viel Geld. Alles, was er besaß, steckte in dem kleinen Gemüsegeschäft, das er vor drei Jahren zusammen mit seinem Bruder Jochen eröffnet hatte.

      Marina richtete sich auf und betrachtete Gabriels männlich markante Züge. Der dunkelhaarige junge Mann – er war vor zwei Wochen sechsundzwanzig geworden - lächelte.

      „Was ist?“, fragte er.

      „Ich liebe dein Lächeln“, flüsterte sie.

      Er lachte gedämpft. „Nur mein Lächeln?“

      „Ich liebe alles an dir.“

      „Das hört sich schon besser an.“ Er nahm ihr Gesicht zwischen seine kräftigen Hände und bedeckte es mit vielen kleinen Küssen. „Danke für die wundervolle Stunde, die du mir geschenkt hast.“

      „War es schön für dich?“, hauchte Marina.

      „Unbeschreiblich schön“, antwortete er, „doch nun muss ich wieder ins Geschäft zurück. Mein Bruder ist zwar ein überaus toleranter Mensch, aber ich möchte seine Gutmütigkeit nicht über Gebühr strapazieren.“

      „Darf ich noch schnell duschen?“, fragte Marina.“

      Er nickte. „Aber ganz schnell.“

      Sie sprang aus dem Bett und lief nackt und barfuß ins Bad. Zehn Minuten später verließ sie mit Gabriel dessen Wohnung. Das Gemüsegeschäft befand sich gleich um die Ecke.

      „Fährst du nach Hause?“, erkundigte sich Gabriel.

      Marina schüttelte den Kopf. „Ich habe noch einen Termin.“ Sie war Innenarchitektin und trotz ihrer Jugend schon sehr erfolgreich.

      „Was steht auf dem Programm?“, wollte Gabriel wissen.

      „Ich soll die Villa eines Fernsehgewaltigen neu ausstatten.“

      Gabriel hob den Zeigefinger. „Lass dich von dem Kerl nicht herumkriegen, hörst du?“

      Marina schmunzelte. „Keine Gefahr.“ Sie streichelte liebevoll seine Wange. „Er ist nicht einmal halb so schön, aber dafür doppelt so alt und doppelt so schwer wie du.“

      „Dann bin ich beruhigt“, sagte Gabriel Keller.

      „Sag deinem verständnisvollen Bruder, ich schulde ihm einen Kuss.“ Marina ging zu ihrem BMW, den sie gebraucht gekauft hatte, und schloss ihn auf.

      „Ich ruf dich an!“, rief Gabriel ihr nach.

      „Ich rechne damit!“, gab Marina Albrecht zurück und stieg ein.

      4

      Jochen Keller grinste breit, als sein jüngerer Bruder zur Tür hereinkam. „Na, hat es sich wenigstens gelohnt, dass ich hier für zwei geschuftet habe?“, erkundigte er sich.

      „Es hat sich gelohnt - und mehr erfährst du nicht“, gab Gabriel lächelnd zurück.

      „Der Kavalier genießt und schweigt, wie?“

      „So ist es“, bestätigte Gabriel.

      Sie sahen einander sehr ähnlich. Nur bei genauerem Hinsehen fiel einem auf, dass der vier Jahre ältere Jochen etwas reifer aussah.

      Gabriel zog seinen taubengrauen Arbeitsmantel an. Die linke Tasche war aufgerissen. Da konnte er nichts hineinstecken. Drei Kugelschreiber hatte er schon verloren, weil er den Riss manchmal vergaß und sich nicht die Zeit nahm, den Schaden mit ein paar Nadelstichen zu reparieren.

      Eifrig stürzte er sich in die Arbeit. Er holte eine Küste mit verlockend roten Tomaten aus dem Lager und sortierte unansehnlich gewordene Bio-Äpfel aus. Das Beste ist für unsere Kunden gerade noch gut genug!, lautete die Devise der Keller-Brüder. Und die Menschen honorierten diese Maxime, indem sie den Gemüseladen zu ihrem Stammgeschäft machten.

      Gabriel sah seinen Bruder an. „Kennst du das Lied Marmor, Stein und Eisen bricht?“

      „Wer kennt das nicht?“

      „Ich hab’s umgetextet.“

      „Wozu?“, fragte Jochen.

      „Um Marina eine Freude zu machen.“ Jochen schmunzelte. „Ach, deshalb klimperst du neuerdings wieder verstärkt auf deiner Gitarre.“

      „Ich werde das Lied auf Tonband aufnehmen und Marina schenken.“

      „Und wie geht der neue Text?“, fragte Jochen neugierig.

      „Du erwartest doch nicht etwa, dass ich jetzt zu singen anfange.“ Jochen lachte. „Genierst du dich etwa vor mir?“

      „Es könnte jemand ins Geschäft kommen.“

      Jochen zuckte mit den Schultern. „Dann hörst du einfach auf.“

      „Na schön.“ Gabriel räusperte sich. „Hör zu.“ Er räusperte sich noch einmal. Dann fing er an zu singen: „Hörst du, wie mein Herz heut’ schlägt? - Bumbum. Bumbum. - Liebe ist’s, die es bewegt. - Bumbum. Bumbum. - Ich bin so verrückt nach dir - hoffe, dass du bleibst bei mir. - Wenn die ganze Welt zerbricht - meine Liebe nicht ...“

      Er hätte beinahe die Kundin übersehen, die sich draußen der Ladentür näherte. Als sie die Tür öffnete, verstummte er jäh und warf seinem Bruder einen verlegenen Blick zu.

      Jochen bediente die Kundin. Sobald sie gegangen war, wandte er sich an seinen jüngeren Bruder. „Klingt nicht übel, dein Text“, befand er. „Darf ich dich was fragen, Gabriel?“

      „Klar.“ Gabriel stellte große, herrlich riechende Ananas neben das Verkaufspult.

      „Was für Pläne hast du mit Marina?“, erkundigte sich Jochen.

      „Pläne?“

      „Ja, was hast du mit ihr vor?“

      Gabriel machte eine vage Handbewegung. „Nichts habe ich mit ihr vor.“

      „Soll eure Beziehung ewig ein Techtelmechtel bleiben?“, fragte Jochen.

      Gabriel musterte das Gesicht des Bruders mit schmalen Augen. „Worauf willst du hinaus?“

      „Liebst du Marina?“