erzählte der Nachbar, „habe eine Menge Tiere geschossen.“
„Geschossen?“ Sie sah ihn befremdet an.
Er lächelte. „Mit dem Fotoapparat.“
„Ach so.“ Marina atmete erleichtert auf.
„Wenn die Dias fertig sind, lade ich deine Mutter und dich zu einem kleinen Vortragsabend ein“, sagte Ingolf Stumph. „Ich hoffe, ihr macht mir die Freude und nehmt meine Einladung an.“
„Wir kommen sehr gern“, versicherte Marina.
Als sie das Haus betrat, in dem sie mit ihrer Mutter wohnte, fragte diese: „Ist unser lieber Nachbar wieder zu Hause?“
„Soeben eingetroffen“, gab Marina zur Antwort.
Renate Albrecht sah das Rüsseltier in der Hand ihrer Tochter. „Was hast du denn da?“
„Einen Glücksbringer.“ Marina hob ihn hoch.
„Einen Elefanten?“
Die junge Frau nickte. „Aus Kenia.“
„Hat Ingolf ihn dir mitgebracht?“ Renate Albrechts Stimme klang hocherfreut.
„Ja.“
„Ach, wie nett.“ Renate streckte die Hand aus. „Darf ich mal sehen?“ Ihre Tochter überließ ihr das Geschenk. Sie betrachtete es von allen Seiten. „Ein Kunstwerk.“ Sie gab den Elefanten zurück.
Marinas Blick fiel auf die Teetassen, die auf dem Tisch standen. „Hattest du Besuch?“
„Ja, Irene Trömer war hier. Sie ist vor wenigen Minuten gegangen.“
„Schade, dass ich sie verpasst habe.“
„Wo warst du denn so lange?“, fragte Renate Albrecht.
„Ich hatte zu arbeiten.“ Marina erzählte von ihrem neuen interessanten Auftrag.
Ihre Mutter maß sie argwöhnisch. „Du hast dich nicht mit diesem Gemüsefritzen getroffen?“
„Bitte nenn ihn nicht so, Mama“, sagte
Marina unwillig. „Du weißt, dass ich das nicht mag.“
„Er ist ein Habenichts. Du vergeudest deine Zeit mit ihm.“ Renate Albrechts Stimme klang kühl.
„Ich liebe ihn“, erklärte Marina. Sie wusste, dass ihre Mutter von dieser Beziehung nicht begeistert war, aber sie würde deswegen ganz gewiss nicht von Gabriel Keller lassen.
„Du magst ihn“, versuchte Renate Albrecht richtigzustellen.
Doch Marina schüttelte heftig den Kopf und sagte mit einem leidenschaftlichen Funkeln in den blauen Augen: „Nein, Mama, ich liebe ihn.“
Renate Albrecht sah ihre Tochter verständnislos an, seufzte schwer und fragte: „Womit hat dieser Mann dir nur so sehr den Kopf verdreht, mein Kind?“
Marina bat ihre Mutter, sie zu entschuldigen, und zog sich in ihr Zimmer zurück. Auf der Kommode nahe dem Fenster standen eine Menge Elefanten - aus Glas, aus Keramik, aus Ton, aus Porzellan, aus Plastik, aus Wachs, aus Zinn, aus Eisen, aus Messing, aus Leder ...
Es waren so ziemlich alle Materialien vertreten. Nur aus Holz gab es noch keinen. Marina stellte das schwarze Souvenir in die erste Reihe und achtete darauf, dass sein Rüssel - wie der aller anderen Elefanten - dorthin wies, woher das Licht in den Raum fiel.
Auch das war wichtig, sollte ein solcher Glücksbringer seinem Namen auch tatsächlich gerecht werden - so lautete jedenfalls die Regel der Abergläubischen.
Marinas Blick wanderte zum Fenster. Sie konnte Ingolf nicht verstehen. Sie wusste, dass viele Frauen hinter ihm und seinem Geld her waren. Wozu bemühte er sich so sehr um sie? Ihm war doch bekannt, dass sie in festen Händen war. Sie hatte es ihm nicht verheimlicht, denn das wäre diesem liebenswerten Mann gegenüber nicht fair gewesen.
Tut mir leid, Ingolf, dachte Marina. Gabriel Keller ist dir zuvorgekommen, und nun bin ich nicht mehr frei. Wenn ich frei wäre ... Sie führte diesen Gedanken nicht zu Ende, weil es müßig war, dieses „Was-wäre-wenn-Spiel“ zu spielen.
Tags darauf kam ein Brief von Margot. Renate Albrecht las ihn und strahlte glückselig.
„Was schreibt sie?“, wollte Marina nur mäßig interessiert wissen.
„Sie wird Jean Paul Gautier, diesen berühmten, erfolgreichen Filmproduzenten, heiraten“, jubelte die Mutter. Sie schlug die Hände enthusiastisch über ihrem Kopf zusammen. „Oh, ich freue mich ja so sehr für sie! Deine Schwester hat es geschafft, Marina. Margot macht es richtig. Sie hat sich nicht unter ihrem Wert verschleudert. Es haben sich viele Männer um ihre Gunst bemüht und der Meistbietende bekommt sie nun.“
Sie hat sich nicht unter ihrem Wert verschleudert .... Der Meistbietende bekommt sie nun ... Das waren zwei Stachel, die sich schmerzhaft in Marinas Fleisch bohrten, doch ihrer Mutter fiel das nicht auf.
6
„Tach, Frau Albrecht“, grüßte Gudrun Giesecke, als Renate Albrecht in der Praxis des Grünwalder Arztes erschien.
„Guten Tag, Schwester Gudrun“, gab die Einundfünfzigjährige zurück. Sie trug ein hübsches Chanel-Kostüm aus dunkelblauem Leinen.
„Sie sehen blendend aus“, stellte die korpulente Sprechstundenhilfe fest.
„Finden Sie?“
„Von mir kriegt keener ’n falsches Kompliment zu hören.“
„Ja, Sie sind ehrlich.“
Gudrun lächelte. „Manchen Leuten bin ick zu ehrlich, aber dat stört mich nich.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Damit müssen die irjendwie selber klarkommen.“
Fünfzehn Minuten später saß Renate Albrecht ihrem Hausarzt gegenüber. Einundfünfzig war sie. Sie hatte noch vier Jahre, dann war sie so alt wie ihre Mutter, als sie starb, und bis dahin wollte sie alles in ihrem Sinn geregelt haben.
Das wusste Dr. Kayser, und von dieser fixen Idee war sie nicht abzubringen. In vier Jahren würde sie sterben - wie ihre Mutter. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel wurde der Tod sie ereilen - wie ihre Mutter.
Dr. Kayser untersuchte sie. Er maß Blutdruck und Puls, horchte sie ab. Nichts ließ darauf schließen, dass eine heimtückische tödliche Krankheit in ihr lauerte. Sven Kayser hätte beinahe gesagt: Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, liebe Frau Albrecht, aber Sie sind kerngesund. Selbstverständlich verkniff er sich diese sarkastische Bemerkung.
„Alles in Ordnung, nicht wahr?“, sagte Renate Albrecht, ohne sich darüber zu freuen.
„Ich wollte, alle meine Patienten wären so gesund wie Sie“, erwiderte der Grünwalder Arzt.
Renate Albrecht nickte ernst. „Das war bei meiner Mutter genauso, aber wenige Tage nach ihrem fünfundfünfzigsten Geburtstag ...“
„Es wird sich nicht wiederholen“, warf der Arzt ein.
Renate Albrecht lächelte schmal. „Ich schätze Sie sehr, Herr Doktor, das ist Ihnen bekannt. Sie sind für mich der beste