Heinrich Mann

Im Schlaraffenland


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hat­te die Fürs­tin Bou­bou­koff zwi­schen den Ge­rich­ten ihre Zi­ga­ret­te wie­der an­ge­zün­det.

      Duschnitz­ki und Süß ver­lo­ren sich in­mit­ten der Gäs­te, die über die Trep­pen­ga­le­rie in die Sa­lons zu­rück­kehr­ten. Klemp­ner führ­te An­dre­as seit­wärts in ein klei­nes Spie­gel­ka­bi­nett. Durch eine Glas­tür be­trat man von dort das ge­räu­mi­ge Ge­wächs­haus. Die fort­wäh­rend sprin­gen­de Be­leuch­tung setz­te An­dre­as in Er­stau­nen, er be­ob­ach­te­te die Da­men und Her­ren, die, mit trans­por­ta­blen Dräh­ten in der Hand, von ei­ner Pflan­zen­grup­pe zur an­de­ren gin­gen und hier und da das elek­tri­sche Licht auf­blit­zen lie­ßen. Auf schlan­ken So­ckeln, un­ter duft­lo­sen Blu­men halb ver­steckt, stan­den Bron­zen, Ter­ra­kot­ten und sil­ber­ne Sta­tu­et­ten, die alle ei­ner Fa­mi­lie an­ge­hör­ten, ei­ner Fa­mi­lie ha­ge­rer Fau­ne und mond­süch­ti­ger Syl­phen, be­gehr­li­cher Zie­gen­bö­cke und rät­sel­haft lä­cheln­der Kna­ben.

      »Das ist Clau­di­us Mer­tens’ Kunst!« rief Klemp­ner mit düs­te­rer Fei­er­lich­keit aus.

      An­dre­as nahm sich zu­sam­men, um die Be­fan­gen­heit zu ver­ber­gen, die ihm we­ni­ger Clau­di­us Mer­tens’ Schöp­fun­gen ein­flö­ßten als die Da­men, die sie mit so vor­ur­teils­lo­ser Ken­ner­schaft be­trach­te­ten.

      »Und was an­de­res macht der Künst­ler nicht?« frag­te er.

      Klemp­ner lä­chel­te schmerz­lich.

      »Ver­ur­tei­len Sie Clau­di­us nicht, er ist auch ei­ner, den die Welt er­zo­gen hat!« ver­setz­te er, sich an die Brust schla­gend.

      »Ich kann Ih­nen sa­gen, dass Clau­di­us in sei­nen jun­gen Jah­ren Mar­mor­blö­cke un­ter den Hän­den ge­habt hat, mit de­nen sich Mi­che­lan­ge­lo be­gnügt hät­te, als er nach aus­rei­chen­dem Ma­te­ri­al für das Grab­mal sei­nes Herrn such­te. Was fängt aber die mo­der­ne Ge­sell­schaft mit sol­chen Schwär­me­rn an? Als Clau­di­us noch der großen Kunst frön­te, leb­te er in ei­ner Stein­metz­ba­ra­cke von trock­nem Brot. Seit er aber ent­deckt hat, was die zah­len­den Kunst­freun­de ver­lan­gen, hat er wö­chent­lich zehn Ein­la­dun­gen, man reicht ihn sich her­um, beim Es­sen emp­fängt er Be­stel­lun­gen und ver­dient, wäh­rend er ver­daut.«

      Klemp­ner war in Em­pha­se ge­ra­ten.

      »Wir Künst­ler soll­ten al­len vor­an die Re­vo­lu­ti­on ein­läu­ten!« rief er so laut, dass zwei glatz­köp­fi­ge Ban­kiers, die ne­ben­an auf dem Di­wan gähn­ten, auf­blick­ten und die jun­gen Leu­te er­hei­tert an­blinz­ten.

      An­dre­as wa­ren die­se An­sich­ten nicht fremd, aber Klemp­ner, der es ge­wiss nicht böse mein­te, schrie zu laut für die fei­er­li­che Stil­le des Kunst­ka­bi­netts. Er kehr­te mit sei­nem Beglei­ter in den Saal zu­rück, der sich lang­sam wie­der füll­te. Die Ti­sche wa­ren ent­fernt, eine ganz neue und rei­ne Luft ließ alle auf­at­men. Türk­hei­mer, der eben ein­trat, nä­her­te sich ei­nem Kreis von Leu­ten, die mit er­ho­be­nen Na­sen schnup­per­ten.

      »Ge­birgs­luft, was?« sag­te er. »Noch ein biss­chen zu dünn, aber es wird schnell bes­ser wer­den.«

      Und er er­klär­te, dass er hier, wie schon frü­her in den Sa­lons, ei­ni­ge Schläu­che mit Oxy­gen habe lee­ren las­sen.

      »Ein ganz neu­es tech­ni­sches Ver­fah­ren, die Wis­sen­schaft macht doch ko­los­sa­le Fort­schrit­te. Für kaum tau­send Mark hat man den gan­zen Abend die reins­te kli­ma­ti­sche Hö­hen­kur im Hau­se.«

      »Für tau­send Mark Luft!« rief Liz­zi Laffé ent­zückt.

      »Tau­send Mark sind für mich Luft, wenn es sich um das Be­ha­gen mei­ner Gäs­te han­delt«, ver­setz­te Türk­hei­mer mit ei­ner ga­lan­ten Ver­beu­gung.

      Die Gäs­te kehr­ten jetzt zahl­rei­cher zu­rück, und als der Saal sich so weit an­ge­füllt hat­te, dass man sich nur in ge­schick­ten Wen­dun­gen fort­be­we­gen konn­te, ent­stand das Gerücht, man wol­le tan­zen. Ein klei­ner, rund­li­cher Herr, der jetzt plötz­lich be­merkt ward, schwän­zel­te lä­chelnd und sich die Hän­de rei­bend bis zu dem Kla­vier, das in ei­ner Ecke des wei­ten Rau­mes auf­ge­stellt war, und be­gann so­fort ener­gisch einen Wal­zer zu spie­len.

      Vier oder fünf Paa­re fin­gen an, sich un­ter dem Kron­leuch­ter zu dre­hen, wo sie da­durch, dass sie den Um­ste­hen­den auf die Füße tra­ten, all­mäh­lich einen mä­ßi­gen frei­en Raum ge­wan­nen. An­dre­as fand im All­ge­mei­nen, dass man auf der Kirch­weih in den Dör­fern bei Gum­plach bes­ser tan­ze. Doch fie­len ihm die an­mu­ti­gen Be­we­gun­gen der jun­gen Frau auf, die Kaf­lisch vom »Nacht­ku­ri­er« ihm als die Gat­tin des Herrn Blosch be­zeich­net hat­te. Er sah sie mit ih­rem Man­ne tan­zen und er­staun­te dar­über, wie sie es fer­tig­brin­ge, den Plump­sack im Takt zu er­hal­ten. Aber er hat­te was Gut­mü­ti­ges, er freu­te sich ge­wiss, ihr ge­fäl­lig zu sein. Sie sah wahr­haf­tig aus, als ob sie hier bloß ihn ge­kannt hät­te, so fremd und schüch­tern, mit ih­rem schlich­ten graublon­den Haar und ih­rem zwei Fin­ger breit aus­ge­schnit­te­nen Kleid­chen!

      An­dre­as er­in­ner­te sich, dass Kaf­lisch ihm ge­ra­ten habe, er sol­le sich von Klemp­ner et­was über Frau Blosch er­zäh­len las­sen. Klemp­ner fuhr noch im­mer fort, im An­schluss an Clau­di­us Mer­tens’ Wer­ke über Kunst und Ge­sell­schaft zu per­o­rie­ren. An­dre­as un­ter­brach ihn mit der Fra­ge:

      »Herr und Frau Blosch sind wohl jung ver­hei­ra­tet?«

      Klemp­ners Red­se­lig­keit warf sich eif­rig auf das neue Ka­pi­tel.

      »Weil sie zu­sam­men tan­zen? Oh, die kön­nen un­ter vier Au­gen acht­zig Jah­re alt wer­den und sind doch nie län­ger als vier Wo­chen ver­hei­ra­tet ge­we­sen. Die Ehe Blosch, soll ich Ih­nen sa­gen, was die ist? Nun wohl, sie ist ein Veil­chen un­ter Klat­schro­sen und ein Idyll im Schwur­ge­richts­saal. Wis­sen Sie, wer Blosch ist?«

      An­dre­as ver­nein­te.

      »Ih­nen ge­hen die Grund­be­grif­fe ab, neh­men Sie’s nicht übel. Blosch ist ei­ner der ver­ru­fens­ten Spe­ku­lan­ten an der gan­zen Bör­se, er ist Türk­hei­mers ver­damm­te See­le. Er nimmt die Prak­ti­ken auf sich, die das alte und vor­neh­me Haus Türk­hei­mer nicht ohne Skan­dal auf ei­ge­ne Rech­nung aus­füh­ren kann. Türk­hei­mer weiß sei­ne Dis­kre­ti­on so gut zu schät­zen, dass er dem Blosch durch­schnitt­lich fünf­zig­tau­send Mark im Jahr zu ver­die­nen gibt. Trau­en Sie jetzt ei­nem Man­ne wie Blosch so ’n Ding zu, das man ein from­mes