Heinrich Mann

Im Schlaraffenland


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bit­te um fünf!« rief der Ha­ge­re, ohne An­dre­as auch nur zu dan­ken, ei­nem Di­cken mit wei­ßen Haa­ren auf dem blas­sen fet­ten Ge­sich­te zu, der hin­ter dem Ge­län­der stand, das Geld des Ha­ge­ren in Empfang nahm und ihm meh­re­re Pa­pier­strei­fen über­reich­te.

      Die Men­ge der Spie­ler be­gann zu mur­ren. Es sei kei­ne Kunst zu ge­win­nen, wenn man einen Neu­ling für sich habe. Das Spiel sei un­gül­tig, sie ver­lang­ten ihre Ein­sät­ze zu­rück. Aber der blas­se, di­cke Herr pro­tes­tier­te leb­haft. »Fer­tig!« rief er und schick­te sich an, das Rad zu dre­hen. Man woll­te ihn dar­an hin­dern, Türk­hei­mer, der un­ter die Auf­ge­reg­ten trat, such­te sie lie­bens­wür­dig zu be­schwich­ti­gen.

      »Ord­nung vor al­lem, mei­ne Her­ren!«

      »Vo­y­ons, mes­sieurs!« ver­setz­te auch der Che­fre­dak­teur Dok­tor Be­die­ner, der sich an den Herrn hin­ter dem Ge­län­der wand­te.

      »Ei­nen Au­gen­blick, bit­te, Herr Stie­bitz!«

      »Wol­len Sie nicht set­zen?« frag­te er An­dre­as.

      »Na­tür­lich! Set­zen Sie doch!« sag­te Türk­hei­mer, der dem jun­gen Man­ne wohl­wol­lend zu­nick­te.

      »Set­zen Sie doch, Herr, Herr – re…«

      »Zum­see«, er­gänz­te An­dre­as.

      »Fünf!« ver­lang­te er so­dann mit lau­ter Stim­me, wie er es von dem Ha­ge­ren ge­hört hat­te.

      »Wie viel?« frag­te Herr Stie­bitz.

      An­dre­as sah auf dem grü­nen Be­zug des Ge­län­ders gan­ze Gold­hau­fen vor den Spie­lern auf­ge­baut, es ward ihm ein we­nig un­heim­lich zu­mu­te. Er fürch­te­te schon, ge­zö­gert zu ha­ben und griff schnell, aber so ru­hig wie es ihm mög­lich war, in die Ta­sche. Er öff­ne­te das Por­te­mon­naie, ohne es her­vor­zu­zie­hen, weil er dies für ele­gan­ter hielt, und warf nach­läs­sig die bei­den Zwan­zig­mark­stücke, die dar­in ge­we­sen wa­ren, auf das grü­ne Tuch.

      Stie­bitz gab ihm zwei Num­mern, dann schnurr­te das Rad in­mit­ten der all­ge­mei­nen Stil­le. An­dre­as ließ sich von dem krei­sen­den Ring hyp­no­ti­sie­ren, in dem an­fangs al­les zu­sam­men­ge­flos­sen war. All­mäh­lich wa­ren die ein­zel­nen Pferd­chen wie­der zu un­ter­schei­den. Es deuch­te ihm eine Ewig­keit, bis das Rad stand. Die Spie­ler neig­ten sich über das Ge­län­der und rie­fen durch­ein­an­der.

      »Fünf ge­winnt!« sag­te Stie­bitz ru­hig.

      Er be­gann die Ge­win­ne aus­zu­zah­len und leg­te vor An­dre­as zwei­hun­dert­un­dacht­zig Mark hin.

      An­dre­as sah das Geld flüch­tig an und ließ es lie­gen. Er fürch­te­te, vor Freu­de rot zu wer­den, und blick­te mög­lichst gleich­mü­tig nach dem fünf­ten Pferd­chen hin, das am Ziel ste­hen­ge­blie­ben war. Die sil­ber­ne Dame, die dar­auf saß und die durch ihre Hal­tung den An­stand mehr ver­letz­te als sie wuss­te, schi­en ihm auf­for­dernd zu­zu­lä­cheln. Er hör­te einen Spie­ler, der ge­won­nen hat­te, aus­ru­fen:

      »Na, warum geht’s denn nu?«

      »Pst! Nichts ver­der­ben!« mahn­te der ha­ge­re Herr, dem An­dre­as Dank zu schul­den mein­te, weil er die Fünf zu­erst ge­nannt hat­te.

      Man hör­te nur das Geld klap­pern, in dem Herr Stie­bitz her­um­rühr­te. Die­ser wand­te sich an den zu­nächst­ste­hen­den Spie­ler.

      »Ich pas­se!« rief man ihm ent­ge­gen, scharf und kurz nach­ein­an­der, wie ein Schnell­ge­wehr­feu­er.

      Als Stie­bitz bei An­dre­as an­ge­langt war, fühl­te die­ser alle Bli­cke auf sich ge­rich­tet.

      »Die Leu­te sind aber­gläu­bisch«, sag­te An­dre­as sich, wäh­rend er ru­hig Stie­bitz an­blick­te.

      »Das Rad kann ste­hen­blei­ben, wo es will. Wel­chen Zweck hat es, eine Num­mer be­son­ders aus­zu­wäh­len. Mit Fünf habe ich Glück ge­habt.«

      »Fünf!« sag­te er und schob Stie­bitz die zwei­hun­dert­acht­zig Mark zu, die vor ihm la­gen.

      Eine kur­ze, zö­gern­de Be­we­gung ging durch die Ver­samm­lung, dann rief al­les durch­ein­an­der:

      »Fünf!«

      Als Stie­bitz alle Ein­sät­ze ein­ge­sam­melt hat­te, ver­lang­te Türk­hei­mer ru­hig lä­chelnd:

      »Sie­ben!«

      »Fünf!« sag­te gleich dar­auf noch ein her­zu­tre­ten­der Herr mit schö­nem schwar­zen Voll­bart. An­dre­as er­kann­te den Zio­nis­ten Lieb­ling.

      Wie­der der krei­sen­de Ring, aus dem lang­sam die Pferd­chen auf­tauch­ten. Als das Rad stand, neig­ten sich aber­mals alle gie­rig über das Ge­län­der.

      »Fünf ge­winnt!«

      Dies­mal war es un­be­strit­ten, alle au­ßer Türk­hei­mer ge­wan­nen. Stie­bitz zahl­te aus. Er leg­te vor An­dre­as einen Tau­send­mark­schein, einen Fünf­hun­dert­mark­schein, vier Hun­dert­mark­schei­ne und drei Zwan­zig­mark­stücke hin. An­dre­as kam es vor, als ob das blas­se Fett in Stie­bitz’ Ge­sicht mit den wei­ßen Haa­ren dar­auf sicht­lich zit­ter­te.

      Türk­hei­mer trat auf den jun­gen Mann zu und reich­te ihm eine Hand, wäh­rend er sich mit der an­de­ren wohl­ge­fäl­lig über die ge­färb­ten röt­li­chen Ko­te­let­ten strich.

      »Ist mir ein wah­res Ver­gnü­gen, mein Geld an Sie zu ver­lie­ren«, sag­te er. »Ich hal­te schon den gan­zen Abend die Sie­ben, mal muss sie doch her­aus­kom­men.«

      An­dre­as konn­te ihm nur kurz dan­ken. Er blick­te ver­stoh­len und mit heim­li­cher Be­sorg­nis von Stie­bitz auf sein ge­won­ne­nes Geld, das er zähl­te: neun­zehn­hun­dert­und­sech­zig Mark, und dann wie­der auf Stie­bitz, der dies­mal gleich an ihn her­an­trat.

      Was soll­te er ihm sa­gen? Zum drit­ten Mal ge­winnt man nicht, dach­te er, wäh­rend der Be­sitz von so viel Geld und die Angst, es zu ver­lie­ren, ihm Herz­klop­fen ver­ur­sach­te. Er hielt den Atem an und er­hob die Hand zu ei­ner mög­lichst küh­len, lang­sa­men Be­we­gung, um Stie­bitz aber­mals die gan­ze Sum­me zu­zu­schie­ben. Aber in der Se­kun­de, wäh­rend sei­ne Hand sich dem Ge­län­der nä­her­te, ar­bei­te­te sein Ge­hirn mit un­er­hör­ter Schnel­lig­keit.

      Muss­te es denn sein? Of­fen­bar war es we­nig vor­nehm, den Ge­winn so­gleich in die Ta­sche zu schie­ben und da­von­zu­ge­hen. Es konn­te ihn hier un­mög­lich ma­chen oder doch sein An­se­hen ver­nich­ten. Alle wür­den dar­auf auf­merk­sam wer­den. Es muss­te also wohl sein.

      Aber das Gan­ze? Un­sinn! Plötz­lich kam eine große Nüch­tern­heit über ihn, sei­ne Fa­mi­li­ennüch­tern­heit ge­wann recht­zei­tig die Ober­hand, die Nüch­tern­heit sei­nes Va­ters, des Wein­bau­ern, der je­den Gro­schen drei­mal um­ge­wen­det hat­te, be­vor er ihn aus­gab, und der froh ge­we­sen war, wenn die Re­ben, die er ge­pflegt hat­te wie Säug­lin­ge, alle sie­ben Jah­re ein­mal gut tru­gen. Zwei­tau­send Mark gu­tes er­wor­be­nes Geld auf eine Num­mer set­zen, das heißt zum Fens­ter hin­aus­wer­fen! So dumm moch­ten die Ber­li­ner sein. Da hör­te jede ge­sell­schaft­li­che Rück­sicht auf. Ehe An­dre­as sei­ne ru­hi­ge Be­we­gung vollen­det und die Bank­no­ten be­rührt hat­te, war er ent­schlos­sen, nur den Fünf­hun­dert­mark­schein