Heinrich Mann

Im Schlaraffenland


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und dem Man­ne sei­nen An­teil an den Ter­rains für ein But­ter­brot ab­zu­neh­men. Das Ge­schäft war so klar, dass man es in al­ler Freund­schaft ab­ma­chen konn­te. Blosch kommt also mit den bes­ten Ab­sich­ten an­ge­reist, macht sich auf eine Gläu­bi­ger­ver­samm­lung ge­fasst und hat nichts ge­gen einen güt­li­chen Aus­gleich, vor­aus­ge­setzt, dass Türk­hei­mer die Ter­rains zu­fal­len. Statt des­sen er­fährt er, dass der Mann wirk­lich ein­fach Plei­te macht, aber ich sage Ih­nen, eine Plei­te, so ehr­lich, wie kein Mensch es für mög­lich hält. Es war rüh­rend, er hat­te so­gar die Schmuck­sa­chen sei­ner Toch­ter mit zur Mas­se ge­schla­gen.

      Ob Blosch nun aus der Un­ter­re­dung mit dem Man­ne ir­gend­ei­ne in­ne­re Er­schüt­te­rung da­von­ge­tra­gen hat­te? Wer weiß es? Ich ken­ne aber den un­heim­li­chen Elan der Ge­schäfts­leu­te län­ger als Sie, und ich ver­si­che­re Sie, die Gut­mü­tig­keit die­ser Leu­te ist mit ih­ren Raub­tier­in­stink­ten ge­ra­de so ver­quickt wie ihre all­ge­mein mensch­li­che Dumm­heit mit ih­rer ge­schäft­li­chen Schlau­heit. Ein­mal im Le­ben kann ein Blosch einen sen­ti­men­ta­len Streich be­ge­hen, und da ein Blosch im­mer Glück hat, so be­kommt ihm auch der recht gut.

      Ge­nug, als Blosch sein Op­fer nach der ihn durch­aus ver­blüf­fen­den Un­ter­re­dung ver­lässt, sieht er im Vor­zim­mer, wo kaum noch Mö­bel ste­hen, die Toch­ter am Fens­ter sit­zen. Gleich dar­auf tritt er wie­der bei dem Bank­rot­tie­rer ein, zupft sich den Schnurr­bart und sagt leicht ver­le­gen:

      ›Herr Mül­ler, es tut mir leid, wenn ich Ih­nen läs­tig fal­le, aber ich muss Ih­nen et­was sa­gen, dass Sie mich näm­lich glück­lich ma­chen könn­ten, wenn Sie mir die Hand Ih­rer Toch­ter ge­ben wol­len.‹

      Der rui­nier­te Mann, der plötz­lich für sei­ne Toch­ter einen Mil­lio­när vom Him­mel fal­len sieht, greift sich an die Stirn, dann kom­men ihm die Trä­nen, und dann fällt er vor sei­nem Ret­ter auf die Knie. Stel­len Sie sich die Sze­ne auf der Büh­ne vor! Ein Lecker­bis­sen, was?«

      »Er­staun­lich!« sag­te An­dre­as.

      »Und Sie müs­sen wis­sen, dass es Türk­hei­mers aus­ge­spro­che­ne Ab­sicht war, Blosch mit Asta zu ver­hei­ra­ten und ihn in die Fir­ma auf­zu­neh­men!«

      »Er­staun­lich!« wie­der­hol­te An­dre­as. »Und Blosch ist glück­lich mit sei­ner Frau?« frag­te er.

      »Noch bes­ser!« sag­te Klemp­ner, »er hat sie noch nie be­tro­gen. Eine Mus­ter­ehe, sage ich Ih­nen, wie sie nur in Krei­sen vor­kom­men kann, wo die Ehe ei­gent­lich als vor­sint­flut­li­che Ein­rich­tung gilt!«

      An­dre­as hät­te Klemp­ner gern noch lan­ge so fort­re­den las­sen. Er blick­te von der Schwel­le, wo sie stan­den, mit ei­nem un­be­stimm­ten Ban­gen in den Tanz­saal hin­ein. Es kam ihm vor, als ob hier eine Ge­fahr laue­re, die den gan­zen Er­folg sei­nes Abends in Fra­ge stel­len kön­ne.

      »Wenn man mich zwän­ge, ei­nes von die­sen vie­len tanz­lus­ti­gen jun­gen Mäd­chen auf­zu­for­dern«, so sag­te er sich, »was soll­te ich mit ihr an­fan­gen, was wür­de dann pas­sie­ren?«

      Die ma­ge­ren un­ter den jun­gen Mäd­chen wa­ren nur we­nig aus­ge­schnit­ten, die di­cke­ren be­trächt­lich wei­ter. Ihre Ge­sich­ter wa­ren meis­tens keck, ihr Lä­cheln nicht im­mer an­mu­tig, aber aus­nahms­los recht auf­ge­weckt. Sie schie­nen An­dre­as prä­ten­ti­ös wie Prin­zes­sin­nen und kri­tisch wie Gas­sen­jun­gen. Wie das klei­ne un­schein­ba­re We­sen dort dem ge­wich­ti­gen, reich aus­se­hen­den Herrn mit den X-Bei­nen doch so rück­sichts­los ins Ge­sicht lach­te!

      An­dre­as hat­te das si­che­re Ge­fühl, dass er bei den jun­gen Mäd­chen gar nichts zu su­chen habe. Er be­trach­te­te sie, wie sie in ei­ner re­gen­bo­gen­far­be­nen Rei­he bei­ein­an­der sa­ßen und sich ganz un­ver­hoh­len über die Män­ner lus­tig mach­ten, und er nann­te sie »Pu­ten«. Aber es wa­ren ihm un­heim­li­che We­sen. Wenn er hier je­mals sein Glück mach­te, so konn­te es nur mit Hil­fe je­ner rei­fen Frau­en ge­sche­hen, die durch eine rei­che­re Er­fah­rung gü­tig und nach­sich­tig ge­macht wa­ren und die ver­trau­ens­vol­le Hin­ge­bung ei­nes jun­gen Man­nes zu schät­zen wuss­ten. »Für ein jun­ges Mäd­chen bin ich zu naiv«, so über­leg­te An­dre­as aus­drück­lich.

      Er stell­te sich Adel­heids teil­neh­men­des Lä­cheln vor, wie sie ihn ge­fragt hat­te, er müs­se sich in Ber­lin wohl recht wie in der Frem­de füh­len.

      Türk­hei­mer, der hier und da einen jun­gen Mann, der sich un­vor­sich­tig vor­wag­te, ei­ner Tän­ze­rin zu­schlepp­te, er­füll­te ihn mit Be­sorg­nis. Glück­li­cher­wei­se ver­schwand er mit meh­re­ren an­de­ren Her­ren in ei­nem Ne­ben­zim­mer. An­dre­as dach­te schon dar­an, al­len mög­li­chen Un­glücks­fäl­len aus dem Wege zu ge­hen und still die Ge­sell­schaft zu ver­las­sen, aber da kam die Haus­frau, von ein paar äl­te­ren Da­men her­bei­ge­winkt, dicht an ihm vor­über. Ihr stol­zer, wie­gen­der Gang ge­fiel An­dre­as noch bes­ser als ihre müde Ruhe in dem Ses­sel, wo er sie zu­erst ge­se­hen hat­te. Ihre Büs­te und die voll­kom­men run­de Tail­le kam so bes­ser zur Gel­tung, dazu fand er die Hal­tung ih­res Kop­fes, mit dem schwe­ren Helm schwar­zer Haa­re über der en­gen Stirn, ge­ra­de­zu fas­zi­nie­rend, un­ge­ach­tet des zu kur­z­en Hal­ses. Er ver­beug­te sich ehr­furchts­voll.

      »Ah, da fin­det man Sie wie­der, Herr Zum­see!« sag­te sie; flüch­tig und wie zu­fäl­lig blieb sie vor ihm ste­hen.

      Klemp­ner, der noch im­mer sprach, hör­te plötz­lich mit­ten im Wort auf. Er re­de­te einen vor­über­ge­hen­den jun­gen Mann an und ent­fern­te sich mit ei­ner Dis­kre­ti­on, die er sich Mühe gab mer­ken zu las­sen.

      An­dre­as be­ach­te­te, dass Frau Türk­hei­mer sei­nen Na­men be­hal­ten habe.

      »Sie ha­ben noch nicht ge­tanzt?« frag­te sie ihn.

      »Noch nicht, gnä­di­ge Frau.«

      »Nein, die­se jun­gen Leu­te! Aber warum denn nicht?«

      An­dre­as fuhr fort, ihr in die Au­gen zu se­hen, aber er wur­de rot. Wie dumm, eine Lüge zu er­fin­den, die sie schon hun­dert­mal von an­de­ren ge­hört ha­ben muss­te. Wür­de es nicht einen viel güns­ti­ge­ren Ein­druck ma­chen, wenn er ein­fach zu­gab: »Ich bin schüch­tern«?

      »Gnä­di­ge Frau wer­den mich aus­la­chen«, be­gann er.

      »Nun?« Frau Türk­hei­mer lä­chel­te auf­for­dernd.

      »Ich habe näm­lich in Ber­lin noch nie ge­tanzt«, sag­te An­dre­as mit blin­der Ent­schlos­sen­heit, »und gnä­di­ge Frau müs­sen wis­sen, dass ich noch nicht zwei Wor­te mit ei­nem Ber­li­ner jun­gen Mäd­chen ge­wech­selt habe.«

      Er be­kam einen leich­ten Fä­cher­schlag auf den Arm.

      »Sie fürch­ten sich, ge­ste­hen Sie es nur!« sag­te Adel­heid.

      »Was ist da zu ge­ste­hen?« er­klär­te er seuf­zend. »Kön­nen gnä­di­ge Frau sich vor­stel­len, was ich ei­ner von die­sen jun­gen Da­men noch zu sa­gen hät­te, nach­dem ich das große Glück ge­habt habe, von Ih­nen, gnä­di­ge Frau, so gü­ti­ger Wor­te ge­wür­digt zu wer­den?«

      Sie lä­chel­te wie­der, ein we­nig nach­denk­lich. Sei­ne klei­ne Rede, die dies­mal im­pro­vi­siert war, schi­en sie aber­mals et­was un­ge­wöhn­lich