Heinrich Mann

Im Schlaraffenland


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er hin­zu, in­dem er den Arm des jun­gen Man­nes er­griff. »Der Frau Mohr muss ich Sie vor­stel­len, Sie hat nach Ih­nen ge­fragt.«

      Ehe An­dre­as sich zu sträu­ben ver­moch­te, be­fand er sich ei­ner hüb­schen Frau ge­gen­über, die zwi­schen Ball­müt­tern in ei­nem nied­ri­gen Sofa lehn­te. Sie trug eine dun­kel­vio­let­te Sei­de, die auch ei­ner äl­te­ren Dame an­ge­stan­den hät­te. Ihr vol­les brau­nes Haar war sehr schlicht ge­ord­net. Sie hielt kein Lor­gnon in der Hand, was An­dre­as be­ru­hig­te, und sie er­wi­der­te sei­ne Ver­beu­gung mit ei­nem rei­zend gü­ti­gen, fast müt­ter­li­chen Lä­cheln. Ihr We­sen hat­te et­was un­ge­mein Fried­li­ches, von Ei­tel­kei­ten und Lei­den­schaf­ten un­be­rühr­tes. Sie bot das Bild ei­ner an­stän­di­gen Frau, die ge­ra­de in ein ge­wis­ses Al­ter ein­tritt.

      »Ah, Herr Zum­see«, sag­te sie, »ich muss Ih­nen dan­ken, Sie ha­ben mir eine sehr freund­li­che Stun­de be­rei­tet. Ihr Bei­trag in der ›Neu­zeit‹ …«

      An­dre­as trau­te sei­nen Ohren nicht, Frau Mohr hat­te sein Ge­dicht im Bei­blatt des »Nacht­ku­ri­er« ge­le­sen. Oder hat­te nur Kaf­lisch, der so ab­scheu­lich grins­te, sie da­von un­ter­rich­tet? Man wuss­te hier ja nie, was man glau­ben durf­te. Er stam­mel­te ei­ni­ge Dan­kes­wor­te. Ne­ben ih­nen be­gan­nen meh­re­re Paa­re zu wal­zen. An­dre­as fühl­te sich ver­pflich­tet, Frau Mohr zu bit­ten.

      »Ich tan­ze ei­gent­lich nicht«, ver­setz­te sie, in­dem sie sich er­hob.

      An­dre­as glaub­te, ein recht gu­ter Tän­zer zu sein, aber er be­fand sich auf frem­dem Ter­rain. Das Par­kett war zu glatt und die Schlep­pe zu lang. Als er sei­ne Dame auf ih­ren Platz zu­rück­ge­lei­te­te, sah er sich be­schämt. Bei zwei Run­den un­ter dem Kron­leuch­ter war er drei­mal aus dem Takt ge­kom­men. Frau Mohr blieb den­noch ganz er­staun­lich lie­bens­wür­dig, An­dre­as konn­te sich nicht frü­her von ihr ver­ab­schie­den, als bis eine Dame sie in die Un­ter­hal­tung zog.

      Kaf­lisch, der ihn er­war­tet hat­te, er­griff so­gleich wie­der von ihm Be­sitz. Da An­dre­as plötz­lich eine Art von Berühmt­heit er­langt hat­te, be­nutz­te Kaf­lisch gern ihre alte Freund­schaft, um sich mit ihm zu zei­gen.

      »Was woll­te denn die Frau Mohr?« frag­te An­dre­as un­will­kür­lich. Das ein­schmei­cheln­de Be­neh­men der hüb­schen Frau be­un­ru­hig­te ihn tief. Er fühl­te sich um­wor­ben und glaub­te, mit sei­ner Gunst spar­sam sein zu müs­sen. Frau Türk­hei­mer muss­te der Über­zeu­gung blei­ben, dass sie die ein­zi­ge sei, der er zu hul­di­gen wünsch­te.

      Kaf­lisch grins­te.

      »Glau­ben Sie, dass das Ih­nen gilt? Nur nicht ängst­lich, mein Bes­ter. Die Mohr macht nur der schö­nen Haus­frau den Hof. Sie sind der neue Günst­ling, also muss Frau Mohr Ihre Freun­din sein.«

      »Wa­rum denn?« frag­te An­dre­as, nun doch ein we­nig ent­täuscht.

      »Sie ist ’ne nach­sich­ti­ge Frau, wis­sen­se. Sie nimmt Adel­heid ihre Schwä­chen nicht übel. Un­ter Frau­en, von de­nen jede ihre Schwä­chen hat, ist das manch­mal so. Man grün­det ein Kon­sor­ti­um be­hufs ge­gen­sei­ti­ger Ver­si­che­rung des gu­ten Ru­fes. Ver­stehn­se mich, sehr ge­ehr­ter Herr?«

      »Frau Mohr macht so ’nen an­stän­di­gen Ein­druck«, be­merk­te An­dre­as. Kaf­lisch er­klär­te:

      »Tut sie auch. Und sie hat auch ’ne förm­li­che Lei­den­schaft für An­stän­dig­keit, wenn sie nur nicht Geld brauch­te! Sehn Sie mal, un­ter al­len de­nen, die hier her­um­wim­meln, kann ihr kein ein­zi­ger was zu sei­nem ei­ge­nen Vor­teil nach­sa­gen. Was sie braucht, holt sie sich aus an­de­ren Krei­sen, no­ble Frem­de oder Her­ren vom Hof, wis­sen­se. Kommt sie dann hier­her, so ist sie in ’ner ganz an­de­ren Welt. Hier kramt sie so viel gute Sit­te aus, dass sie uns al­len noch was da­von ab­ge­ben könn­te.«

      »Ko­mi­sche Pas­si­on«, mein­te An­dre­as.

      »Gar nicht so übel«, ver­si­cher­te Kaf­lisch. »Sie hält sich an Adel­heid, weil die na­tür­lich zu reich ist, als dass man sie be­lä­cheln könn­te.«

      An­dre­as zwei­fel­te.

      »Das scheint mir eine ganz un­nö­ti­ge An­stren­gung zu sein«, be­merk­te er.

      »Jun­ger Mann!« rief Kaf­lisch fei­er­lich, »Sie ken­nen nicht die Wil­lens­stär­ke ge­wis­ser Frau­en! Die­se hier will nun mal für an­stän­dig gel­ten, und sie weiß es durch­zu­set­zen, dass je­der, der ihre Le­bens­wei­se ganz ge­nau kennt, sie so be­han­delt, als glaub­te er an ihre Tu­gend, ’s ist ei­gent­lich ’ne un­ge­heu­re Leis­tung von so ’ner Frau, wis­sen­se, und ganz ohne Pro­fit, bloß der Ehre we­gen. Sie mimt die Tu­gend, wie an­de­re das Las­ter mi­men.«

      »So was gibt es auch?« frag­te An­dre­as.

      »Und ob! Sie wer­den hier im Hau­se die Frau Pim­busch ken­nen­ler­nen.«

      »Die Frau des großen Brannt­wein­fa­bri­kan­ten?«

      »Dem Schnaps­feu­da­len sei­ne Frau. Da wer­den Sie se­hen, wie das Las­ter aus­sieht. Aber ver­bren­nen Sie sich nicht die Fin­ger, rate ich Ih­nen! Sie ist un­schul­dig, nicht mal von Pim­busch hat sie sich ihre Un­schuld rau­ben las­sen. Er soll üb­ri­gens gar nicht dazu im­stan­de sein.«

      »Eine Frau muss sich doch recht sehr lang­wei­len, wenn sie auf sol­che Din­ge ver­fällt«, mein­te An­dre­as. Kaf­lisch zuck­te die Ach­seln.

      »Was wol­len Sie? Wir ha­ben Ner­ven. Müde Ras­se! wie Gold­herz sagt. Alte Kul­tur! Gott, wie sind wir müde!«

      Kaf­lisch ver­such­te, die Schul­tern tief zu sen­ken. Er ließ die Mund­win­kel her­ab­hän­gen und be­gann mit mat­tem Blick vor sich hin­zu­träu­men. An­dre­as be­fürch­te­te, man möch­te die Nach­ah­mung des Frei­herrn von Hochs­tet­ten er­ken­nen. Er such­te Kaf­lisch fort­zu­zie­hen, doch die­ser blieb ste­hen. Sie be­fan­den sich bei der Tür, hin­ter der frü­her der Haus­herr mit ei­ni­gen Gäs­ten ver­schwun­den war. Kaf­lisch mach­te eine Arm­be­we­gung, als setz­te er eine eif­ri­ge Un­ter­hal­tung fort.

      »Wis­sen­se was?« sag­te er lei­se. »Ne­ben­an wird ge­jeut. Sehn­se sich das mal an!«

      Er schob An­dre­as has­tig vor sich her über die Schwel­le und be­eil­te sich, den Vor­hang hin­ter ih­nen zu­fal­len zu las­sen.

      Sie durch­schrit­ten ein Spie­gel­ka­bi­nett, ganz ähn­lich dem, das als Vor­zim­mer des Clau­di­us-Mu­se­ums diente. Dann be­tra­ten sie ein wei­tes Ge­mach, das zu zwei Drit­teln leer stand. Auf den Di­wans an den Wän­den nick­ten zwei oder drei alte Her­ren, eine große An­zahl Gäs­te um­dräng­te da­ge­gen das kreis­run­de Ge­län­der, das in ge­rin­gem Ab­stän­de den gleich­falls run­den Spiel­tisch um­gab. An­dre­as be­merk­te auf dem Ti­sche ein äu­ßerst sinn­rei­ches ho­ri­zon­ta­les Rad, des­sen sie­ben Spros­sen durch el­fen­bei­ner­ne Pferd­chen be­zeich­net wur­den. Es sa­ßen klei­ne Rei­te­rin­nen, aus Sil­ber, mit Perl­mut­ter ein­ge­legt, in meis­tens durch­aus in­ti­men Stel­lun­gen dar­auf. Nur Clau­di­us Mer­tens konn­te sie ge­schaf­fen ha­ben.

      »Ha­ben Sie schon mal ge­spielt?« frag­te Kaf­lisch.

      An­dre­as hat­te Lust zu lü­gen, fürch­te­te aber, dar­auf er­tappt zu wer­den.

      »Nein«, sag­te er.

      Kaf­lisch