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MUSIK-KONZEPTE 191: Martin Smolka


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Wiesbaden 2006

      Später führt die Instrumentation der Terz mit Vibrafon, Gong, Röhrenglocke und Steel Drum zu starken Interferenzen, sodass sich die Frage stellt, ob es sich noch um dieselben Töne handelt oder bereits um verschiedene? Schließlich werden die Anschläge einer Triangel durch Eintauchen in Wasser abgesenkt und auf längsseitig mit Glas bestrichener Klaviersaite glissandierende Effekte erzeugt. In T. 20 kommen mit der im Innenklavier gezupften Dezime Ac′ definitiv zwei neue Tonhöhen hinzu, die sich mit den bisherigen Terzen zum ambivalenten a-Moll-Septakkord oder C-Dur-Sixt-ajoutée verbinden. Der erste liegende Klang ega der Streicher entspricht dem harmonikal schwebenden Kernmotiv des Schlussabschnitts von Mahlers Lied von der Erde. Ein vierteltönig vertieftes g– der Geige T. 29 sowie die Töne h und d im Vibrafon T. 34 lassen weitere Akkorde aufblitzen. Behutsam erweitert Smolka das Geschehen zum üblichen musikalischen Tonraum. Doch im gleichen Moment verschiebt er die Kategorien von Kunst und Natur. Demonstrierte er bisher die spezifische Natur der Instrumentalklänge, instrumentiert er nun ab T. 50 ein künstliches Tableau klingender Natur, namentlich ein flirrendes ›Waldweben‹ mit leise tröpfelndem Regenmacher, sanften ppp-Tremoli eines Holzstabs zwischen zwei Klaviersaiten, murmelndem Bisbigliando der Klarinette und Nachtigallen-Gezwitscher, das der Schlagzeuger auf einem mit Wasser gefüllten Pfeifchen hervorbringt (Notenbeispiel 6). Dazu blasen die Naturhörner mit dem achten und elften Oberton rein intonierte Naturterzen eg wie fernen Jagdschall »lontano« und gehen zwischen den Flöten gemäß historischer Hoquetus-Technik lockende Vogelrufe hin und her. Die Querflöte intoniert dabei viertel- oder sechsteltönig tiefer als die Traversflöte. Das tiefere g2– verwandelt die bisherige Terz eg schrittweise zur Terz fisa, mit deren wahlweise weiter oder enger intonierten Rufen die Flöten den ersten Teil (T. 1–86) beenden.

      Wie gegenüber Smolkas artifiziellen ›Naturlauten‹ empfiehlt sich Vorsicht auch gegenüber der vordergründig proklamierten Simplizität. Die höchst differenzierte Behandlung der Moll-Terz ist alles andere denn einfach, obgleich die Konsonanz neo-tonalen Ausprägungen der ›New Simplicity‹ zu entsprechen scheint. Eher auf ›New Complexity‹ deuten dagegen die mikrologisch feinen Instrumentations- und Intonationswechsel sowie die Verklammerung der insgesamt sechs jeweils materiell und strukturell profilierten Sätze untereinander und mit anderen Werken Smolkas. Die stattliche Dauer von einer Dreiviertelstunde deutet ebenfalls mehr auf einen zyklischen Gesamtkomplex denn auf musikalische Schlichtheit. Satz II wiederholt – ähnlich dem Anfang von Remix, Redream, Reflight – als Pattern versetzte ff-Akkorde und Cluster, die dann abrupt durch diatonische Fünftonklänge ppp ersetzt werden. Satz III »aeolian harp« besteht aus natürlichen Flageoletts der Streicher, Saiteninstrumente sowie mit Bogen gestrichenen Vibrafonplatten und Crotales. Satz IV greift die Tutti-Cluster von Satz II im Wechsel mit chromatischen Sekunden auf, die sich zu einem Lamento über tonaler Quintfallsequenz verketten. Satz V besteht aus Tonbeugungen, angefangen bei geringen Intonationsschwankungen und Trillern bis zu mehroktavigen Glissandi, die von wuchtigen Tutti-Clustern wie in Satz II und IV unterbrochen werden. Der Schlusssatz VI greift dann die e-Moll-Terz und ›Naturlaute‹ des Kopfsatzes wieder auf. Satz IV und VI verbindet außerdem dieselbe rasch aufsteigende Melodie, hier in Flöte und Violinen »semplice« (S. 46 ff.), dort in den Tutti-Violinen »angelico« (S. 85 f.). Der über Quinte, Sexte und Dezime zur Undezime sich aufschwingende Sehnsuchtsgesang durchzieht mehr oder minder abgewandelt wie eine ›Idée fixe‹ auch andere Werke Smolkas, etwa Rain, a window (T. 471), Remix, Redream, Reflight (»appassionato« T. 131 ff., Notenbeispiel 4) sowie Wooden Clouds für Ensemble und Partch-Instrumente (2017/18).

      IV Nostalgie und Melancholie: Blue Bells or Bell Blues

      In Smolkas Musik zeigt sich Nostalgie bzw. Lítost vor allem in den vielen Abweichungen vom diatonisch-chromatischen System, die sich wie Bitterkeit, Schmerz, Herbst und dunkle Schatten auf tonale Harmonien und Melodien legen.