Der Klimawandel war das bestimmende politische Thema der damaligen Zeit.
Ende November 1995 sollte der Weltklimarat seine letzte Plenarsitzung in Madrid abhalten, um seinen zweiten Sachstandsbericht zu erstellen. Der Zweck dieses Berichts war es, den gegenwärtigen Konsens unter den Wissenschaftlern der Welt bezüglich des Klimawandels zusammenzufassen. Wie bereits erwähnt hatte sich ein Konsens bezüglich einer Akzeptanz der Realität und der Bedrohung durch den Klimawandel angedeutet. Nichtsdestotrotz kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Regierungsdelegierten und den Wissenschaftlern, die den Bericht verfassten. Diese Delegierten vertraten eine kleine Untergruppe von Ländern – unter ihnen die zwei großen erdölexportierenden Länder Saudi-Arabien und Kuwait – die in hohem Maße von der fortgesetzten Förderung und dem Verkauf fossiler Brennstoffe profitieren. Wie der Wissenschaftsjournalist William K. Stevens es ausdrückte, haben diese Nationen »mit den Lobbyisten der amerikanischen Industrie gemeinsame Sache gemacht, um zu versuchen, die Aussagen des Berichts abzuschwächen«.13
Die Frage war, ob man mit Gewissheit behaupten konnte, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel nunmehr nachweisbar sei. Der hauptverantwortliche Wissenschaftler für diesen Abschnitt im Bericht war Ben Santer, ein Klimaforscher am Lawrence Livermore National Laboratory des US-Energieministeriums in Kalifornien, der eine Reihe wichtiger Artikel zu diesem Thema veröffentlicht hatte. Santer war Träger des MacArthur Genius Awards, den er als Anerkennung für seine grundlegenden Beiträge für unser Verständnis des Klimawandels erhalten hatte. Er und seine Mitverfasser im IPCC kamen auf der Grundlage der vorhandenen Fachliteratur zum Klimawandel zu dem Schluss, dass »die Abwägung der Erkenntnisse auf einen nennenswerten menschlichen Einfluss auf das Klima schließen lässt«.14
Der saudische Delegierte beschwerte sich, dass das Wort »nennenswert« übertrieben sei. Zwei ganze Tage lang feilschten die Wissenschaftler mit dem saudischen Delegierten um dieses eine Wort in der »Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger«, also dem Teil des Berichts, der am ehesten von Politikern gelesen und über den am ehesten von Journalisten berichtet wird. Angeblich diskutierten sie fast dreißig verschiedene Alternativen, bevor der IPCC-Vorsitzende Bert Bolin ein für beide Seiten akzeptables Wort fand: »wahrnehmbar.« Der Begriff räumte ein, dass menschliche Aktivitäten zumindest eine gewisse Rolle bei der Beobachtung des Klimawandels spielten, auch wenn die Wissenschaftler grundlegender argumentiert hatten. Jedoch ließ es die Formulierung so aussehen, als müsse man schon die Augen zusammenkneifen, um den Einfluss zu sehen. Das Maß an Unsicherheit, dass man damit zugestanden hatte, gefiel den ölreichen Saudis zweifellos sehr gut.
Die Tatsache, dass auf der abschließenden Plenarsitzung einem einzigen Wort in der Kurzfassung des Berichts zwei ganze Tage gewidmet wurden, gibt Ihnen eine Vorstellung davon, wie politisch aufgeladen die Debatte über den Klimawandel Ende 1995 geworden war. Ben Santer war der Wissenschaftler, der am unmittelbarsten mit dem sich abzeichnenden wissenschaftlichen Konsens verbunden war. In der Tradition von Rachel Carson, Herbert Needleman und Gene Likens sollte er noch von Industriekonzernen und ihren mittlerweile bekannten »Kampfhunden« angegriffen werden, um zu versuchen, seine Glaubwürdigkeit zu untergraben. Nur wenige Monate nach der IPCC-Plenartagung, im Februar 1996, veröffentlichte S. Fred Singer in der Zeitschrift Science einen Brief, in dem er Santer angriff. Er bestritt die zentrale Erkenntnis des Weltklimarats, dass die Modellvorhersagen mit der beobachteten Erwärmung übereinstimmen, und behauptete, dass die Beobachtungen stattdessen eine Abkühlung zeigten. Das war natürlich falsch, sie zeigten nichts dergleichen, sondern vielmehr deutliche Anzeichen einer Erwärmung. Auch deshalb klammerten sich die Leugner der Klimaveränderung an einen kuriosen Datensatz: eine von einem Satelliten abgeleitete Prognose atmosphärischer Temperaturen, die von John Christy und Roy Spencer erstellt wurde, zwei umstrittenen Wissenschaftlern der University of Alabama in Huntsville. Diese Daten widersprachen allen anderen Nachweisen für eine Erwärmung. Die von Christy und Spencer behauptete Abkühlung sollte sich später als ein »Artefakt aus Serienfehlern« erweisen, allerdings erst nachdem die Verleugner des Klimawandels sie entsprechend auszunutzen wussten.15
Singer behauptete schließlich, dass die Berücksichtigung von Santers Arbeit in dem Bericht des IPCC gegen dessen Regeln verstoße, da die Arbeit damals noch nicht veröffentlicht gewesen sei. Tatsächlich war aber der größte Teil der Arbeit bereits publiziert worden. Auch verlangten die IPCC-Regeln in keiner Weise, dass eine zitierte Arbeit zum Zeitpunkt des Berichts veröffentlicht gewesen wäre, sondern lediglich, dass die Arbeit den Gutachtern auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden müsste.
In der Zwischenzeit hatte die bereits erwähnte Globale Klima-Koalition einen Bericht nach Washington geschickt, der dort von Insidern in Umlauf gebracht wurde. In diesem Bericht wurden diese falschen Behauptungen wiederholt und Santer der »politischen Manipulation« und »wissenschaftlichen Säuberung« beschuldigt. Der letztgenannte Vorwurf, der sich an die Sprache des Dritten Reiches anlehnte, war besonders verwerflich, da Santer Verwandte in Nazi-Deutschland verloren hatte. Die Behauptungen waren natürlich falsch. Auf Ersuchen der IPCC-Führung hatte Santer lediglich eine redundante Zusammenfassung entfernt, um sicherzustellen, dass die Struktur des Kapitels, bei dem er federführend war, mit der Struktur der anderen Kapitel übereinstimmte. Einige Monate später veröffentlichte Frederick Seitz im Wall Street Journal einen Gastkommentar, in dem er die gleichen falschen Anschuldigungen gegen Santer wiederholte.16
Somit waren die Leugner der Klimaveränderung im Verbreiten ihrer falschen Anschuldigungen über Santer immer einen Schritt schneller. Sie konnten ihre Behauptungen stets prominenter streuen, als Santer oder der Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft hoffen konnte, sie zu widerlegen. Santers Integrität wurde angezweifelt, und sein Arbeitsplatz und sogar sein Leben waren bedroht. Es ist ein Beispiel für das, was ich später die »Serengeti-Strategie« nannte, bei der von der Industrie finanzierte Angreifer auf einzelne Wissenschaftler losgehen, so wie Raubtiere in der afrikanischen Serengeti-Ebene ihre Beute jagen. Dabei versuchen sie gefährdete Individuen zu erlegen, indem sie diese vom Rest der Herde isolieren. Als meine Arbeit im nächsten IPCC-Bericht prominent erwähnt wurde, bemerkte Ben Santer: »Es gibt Leute, die glauben, dass sie den IPCC stürzen können, wenn sie Mike Mann stürzen.«17 Sie dachten, ich sei leichte Beute.
Die Seitz-Täuschung
Spulen wir noch ein paar Jahre vor, bis 1997. Das Kyoto-Protokoll, ein Zusatz zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Klimarahmenkonvention), war gerade verabschiedet worden. Es würde die Länder der Welt zu substanziellen Reduzierungen der CO2-Emissionen verpflichten, mit dem Ziel, »gefährliche anthropogene Störungen des Klimasystems zu vermeiden«.18 Der Druck auf politische Entscheidungsträger nahm zu. Die Mächte der Verleugnung und Verzögerung müssten zusätzliche Einheiten mobilisieren, wenn sie Aktivitäten zum Klimaschutz verhindern wollten.
Dabei sollten sie Gemeinsamkeiten mit einigen zunehmend sonderbaren Charakteren finden. Betrachten Sie beispielsweise Arthur B. Robinson, einen Chemiker mit zugegebenermaßen beeindruckenden Referenzen. Als ehemaliger Schützling des mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Chemikers Linus Pauling leitet Robinson ein Familienunternehmen in Cave Junction, Oregon, dass sich das »Oregon Institute of Science and Medicine« nennt. Robinson hat im Laufe der Jahre einige sehr merkwürdige wissenschaftliche Hypothesen aufgestellt, darunter die diskreditierte Behauptung, dass Vitamin C Krebs verursachen würde. Er hatte auch großes Interesse darin, den Urin von Menschen zu sammeln und zu analysieren. Und ja, das ist jetzt kein Wunder, Robinson ist auch ein Leugner des menschengemachten Klimawandels, eine Position, mit der er sich in jüngster Zeit sowohl bei der rechtsgerichteten klimaleugnenden Mercer-Familie als auch bei der Trump-Regierung eingeschmeichelt hat.19
Im Jahr 1998, ein Jahr nach Kyoto, schloss sich Robinson mit unserem alten Freund Frederick Seitz zusammen, um die Unterstützung für das Kyoto-Protokoll zu untergraben. Die beiden organisierten eine Unterschriftenkampagne gegen das internationale Abkommen. Bis heute wird die »Oregon-Petition« mit 31.000 namentlich unterzeichnenden »Wissenschaftlern« als Beweis für eine weit verbreitete wissenschaftliche Gegenmeinung zu den forschungsbasierten Modellen des vom Menschen verursachten Klimawandels angepriesen – trotz der Tatsache, dass nur wenige der angeblichen Unterzeichner tatsächlich Wissenschaftler waren. Auf der Liste steht unter anderem Geri Halliwell, in den 90er Jahren als Sängerin der britische Pop-Band