Stefan Mühlfried

Blaulichtmilieu


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will unbedingt auf diesen Reiterhof. Du kannst ihr gerne sagen, dass das nicht geht. Soll ich sie holen?«

      »Und auf die Idee mit dem Reiterhof ist sie ganz alleine gekommen, richtig?«

      »Jaqueline geht da hin und sie möchte Melanie mitnehmen.«

      »Schackeline ist eine dumme Ziege, genau wie ihre Mutter.«

      »Jaqueline ist zufällig Melanies beste Freundin.«

      »Nein, Schackelines Mama ist deine beste Freundin. Gib ihr einen Tritt von mir, sie sitzt ja garantiert neben dir.«

      Kurze Stille. »Es ist besser, wenn du auf das Wochenende verzichtest. Für Melanie.«

      »Für dich, meinst du. Weil du mir mal wieder eins auswischen willst.«

      »Das ist doch lächerlich. Warum sollte ich dir eins auswischen wollen?«

      »Lass mich überlegen … Weil du mich zwingen wolltest, meinen Job aufzugeben?«

      »Wenn man eine Familie will, muss man eben Zugeständnisse machen.«

      »Komisch. Meine Kollegen kriegen das prima unter einen Hut.«

      »Also, was ist jetzt mit dem Wochenende?«

      »Ich hole sie am Freitag ab. Punkt.«

      »Tja, das wird leider nichts, wir fahren am Donnerstag.«

      »Petra, möchtest du, dass ich mit dem Jugendamt vor der Tür stehe? Frau Berger hat deine Nummer doch schon auf der Kurzwahltaste.«

      »Du willst wirklich die Mutter deines Kindes beim Jugendamt denunzieren? Was bist du nur für ein Vater!«

      »Gib mir die Adresse des Reiterhofs, ich hole …«

      Es klickte im Telefon, dann war die Leitung unterbrochen.

      Fassungslos sah Tim den Hörer an, dann feuerte er ihn auf das Sofa und fluchte, was das Zeug hielt.

      Anschließend nahm er die Jacke vom Haken. Er brauchte jetzt keine meditative Gemüsepfanne, er brauchte Ablenkung. Und ein paar Bier. Beides würde er im »Eden« finden. Plus einen fetten Burger.

      Kapitel 4

      22. Mai

      »Rechts ran, du Schnarchnase!«, brüllte Tim.

      »Nun mal sachte«, sagte Mark. »Wo soll er denn hin?«

      »Weg.« Tim hieb auf die Hupe, aber deren Laut ging im Lärm des Einsatzhorns unter. Quälend langsam sortierten sich die Autos vor ihnen, bis sich der Rettungswagen endlich wieder in Bewegung setzen konnte.

      »Nur Sonntagsfahrer unterwegs«, brummte Tim, lehnte sich vor und blickte links und rechts in die Kreuzung, bevor er über die rote Ampel fuhr.

      »Rechts ist frei«, sagte Mark. »Hast du schlecht geschlafen oder was?«

      »Nee. Weiß nicht. Nicht mein Tag.«

      »Wir sollten dich in die Leitstelle setzen, dann traut sich keiner mehr, die 112 anzurufen.«

      »Ist ja gut. Wir sind da.«

      Die Leitstelle hatte ihnen eine »Hilope« hinter dem Einkaufszentrum Hamburger Meile gemeldet – eine hilflose Person. Das konnte alles Mögliche heißen, aber in den meisten Fällen bedeutete es einen sturzbesoffenen Patienten.

      Und auch dieses Mal wurden ihre Erwartungen nicht enttäuscht.

      Als sie ausstiegen, wurden sie von einer besorgten jungen Frau auf ein paar Füße aufmerksam gemacht, die aus einer Hecke ragten. »Ich habe ihn gefragt, ob es ihm gut geht, aber er antwortet nicht richtig«, sagte sie. »Er macht einen ziemlich verwahrlosten Eindruck. Ich will ihm nicht Unrecht tun, aber ich glaube, er ist betrunken.«

      »Na, dann schauen wir ihn uns mal an.« Mark dankte der jungen Frau, die davoneilte, froh, die Verantwortung los zu sein.

      Den Patienten hätten sie auch ohne die Füße in der Hecke schnell gefunden: immer dem Geruch nach. Eine wilde Mischung aus verschüttetem Fusel, Eau de Ungewaschen und altem Urin.

      Sie traten an die kniehohe Hecke, über die ihr Kunde offenbar hintenüber gekippt war. Er war weich auf einem Bett aus immergrünen Bodendeckern gelandet und schien kein Problem damit zu haben.

      »Mohoin!«, sagte Mark. »Alles klar bei dir?«

      Der Angesprochene, dessen Aussehen seinem Geruch um nichts nachstand, lallte heiser. Tim und Mark zogen Latexhandschuhe an und stiegen über die Hecke in das Beet. Sie fassten den Mann unter den Armen und setzten ihn auf.

      »Wir haben heute aber reichlich früh angefangen, was? Ist ja noch nicht mal elf.«

      »Kannst du stehen?«, fragte Tim.

      Der Mann öffnete mühsam die Augen, blinzelte Tim an und fluchte auf Russisch. Oder Polnisch. Oder so. Tim hielt die Luft an, denn der Mundgeruch des Mannes war noch unerträglicher als seine sonstigen Ausdünstungen.

      »Sprichst du Deutsch?«, fragte Mark.

      »Hä?«

      »Deu-heutsch!«, sagte Tim. »Verstehst du mich?«

      »Fick dich in Arsch, Hurensohn!«, lallte der Mann.

      »Dir auch einen schönen guten Morgen. Aufstehen?«

      »Fick dich!«

      »Eins, zwei, drei!« Sie hoben den Mann auf die Beine.

      »Na bitte, geht doch«, sagte Mark zufrieden. Ein Besoffener, der noch auf zwei Beinen stehen konnte, war nichts für den Rettungswagen und damit auf jeden Fall erfreulich.

      Ihr Schützling wirkte weniger enthusiastisch. Er riss sich von Mark los und schlug mit der Faust nach Tims Gesicht, der ihn mit dem Unterarm abwehrte.

      »Hey, was soll der Scheiß?« Tim stieß den Kerl von sich.

      Der Mann taumelte rückwärts durch das Beet, brachte aber das Kunststück fertig, nicht umzufallen. »Fick dich, Hurensohn!«, brüllte er.

      Tim hatte die Nase voll. »Schluss jetzt, Mann, benimm dich!«

      Der Betrunkene lallte etwas, das wie »Hau auf Maul« klang, es konnte aber auch Russisch sein. Er holte wieder aus und machte einen Schritt auf Tim zu.

      Tim trat zur Seite und sah seelenruhig zu, wie der Kerl das Gleichgewicht verlor, über die Hecke fiel und lang hinschlug. Vom Alkohol aller Schutzreflexe beraubt, bremste nur sein Gesicht den Sturz.

      »Super«, sagte Mark. »Ganz toll, danke.« Er sprang über die Hecke, drehte den Mann auf die Seite und untersuchte ihn. Blut lief ihm aus der Nase, eine heftige Schürfwunde zierte seine Stirn.

      »Was denn? Hätte ich mir noch eins in die Fresse geben lassen sollen?« Tim öffnete den Notfallrucksack und entnahm ihm Packungen mit Zellstoff-Mullkompressen, die er aufriss und Mark reichte.

      »Lass uns das im Wagen diskutieren. Denn jetzt, und dafür noch einmal vielen Dank, haben wir den Knaben endgültig an der Backe.«

      Der Besoffene pöbelte und ruderte mit den Armen. Offenbar hatte er die Verletzung noch nicht bemerkt – kein Wunder bei seinem Pegel. Tim holte die Trage, und ohne viel Federlesens packten sie den Mann bei den schmutzstarrenden Klamotten und hoben ihn darauf. Eine erneute osteuropäische Schimpfkanonade war die Folge. Sie schnallten ihn fest und schoben ihn in den Wagen, aber er ruderte wild mit Armen und Beinen, versuchte, sich an allem festzuhalten, was ihm in die Finger kam, und lallte Obszönitäten in verschiedenen Sprachen.

      »Mann, jetzt halt doch einfach mal die Flossen still«, schnauzte Tim. »Glaubt du, uns macht das Spaß?«

      Endlich hatten sie die Trage drin. Sie kletterten hinterher und schlugen die Türen zu. Tim ging ans Kopfende und tastete dem Mann den Gesichtsschädel ab, um festzustellen, ob etwas gebrochen war. Auch das stieß auf wenig Gegenliebe.

      »Hast du mich gerade