Torsten Schönberg

Der Stempelmörder


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»Er hatte keine Schuld. Ganz im Gegenteil. Die Technik hat versagt. Karl hat die Untersuchung der Polizei nach dem Absturz unterstützt und mir geholfen, wo er nur konnte.« Dann drehte er sich wieder zu mir. »Ich kann ihm nichts vorwerfen.« Georg steckte den Müll in einen schwarzen Sack und warf ihn vor die Tür.

      »Wo verteilen wir heute den ›Penner‹?«

      Es war nämlich nicht ganz einfach, die Zeitungen unter die Leute zu bringen. Die Konkurrenz schlief nicht. Da gab es die Obdachlosenzeitung »Augustin« und schließlich noch die Kolporteure, die an jeder Kreuzung billige österreichische Schmuddelblätter verkauften. Wir hatten da unsere eigene Masche.

      »Wir gehen zuerst zum Schwedenplatz, dann schau’n wir weiter.« Georg hatte dank seiner Kärntner Nase einen besonderen Riecher für diesen Job. Ziel war immer eine flüssige oder feste Mahlzeit am Ende des Tages.

      Reinhold kam ins Zimmer. »Ihr müsst gleich raus. Sie sind schon bei mir und stellen alles auf den Kopf.«

      »Haben sie schon was gefunden?«, wollte Georg wissen. »Nein, alles sauber. Wenn ihr mich fragt, dann werden sie auch nichts finden. Wer ist schon so blöd und versteckt die Mordwaffe in seinem Zimmer? Die Polizei hat doch gar kein Interesse, den Fall aufzuklären. Der Greißler war nur ein kleines Licht. Derzeit wohnen hier 225 Männer. Das sind eine Menge Zeugenvernehmungen.«

      Ich musste ständig auf die Schublade schauen. Georg trat mir sachte auf die Zehen.

      »Sag, musst du immer in der Unterhose herumrennen?«, wollte Georg von Reinhold wissen.

      »Besser in einer Wiener Unterhose stecken, als eine Kärntner Mutter haben.« Das war zu viel. Georg sprang Reinhold an die Gurgel.

      Die Prügelei sprach sich schnell herum. Um die beiden Streithähne bildete sich ein Kreis. Dann kam Herbert. Er setzte seinen Helm als Rammbock ein, Reinholds Schädel musste zuerst dran glauben. Georg sprang elegant zur Seite und wich dem Helm aus, stieß Herbert zurück und rannte in Richtung Stiegenhaus. Ich konnte ihm nur mit Mühe folgen. Wir hörten Inspektor Stippschitz kreischen: »Ich nehme euch alle fest! Stehen bleiben – sofort!« Wir rannten mit dem »Penner« im Rucksack die Stiegen hinunter. Das Haupttor stand offen.

      Ich war völlig außer Puste. »Wahnsinn. Das war knapp. Der Hubsi-Reinhold ist verrückt. Sucht ständig Streit und schnüffelt in fremden Sachen rum. Neulich hab ich ihn erwischt, wie er deinen Schrank inspizierte. Wir sollten mit ihm ein Sechsaugengespräch führen.«

      »Nee, nee, nee. Du lässt die Hände von ihm.« Georg blieb stehen, fasste sich an den Kopf und drehte sich zu mir. Erregt streckte er mir seine Faust entgegen. »Du fasst ihn nicht an. Versprochen?«

      Ich hatte damit kein Problem. »Klar. Warum regst du dich so auf?«

      Wir mussten nun endlich die ersten Blätter unter die Leute bringen. Um Reinhold konnten wir uns später kümmern. Es schlug bereits neun und wir standen mit einer Handvoll Zeitungen am Donaukanal gegenüber dem Schwedenplatz. Georg putzte sich mit meiner blutigen Unterhose die Nase und warf sie anschließend in den Kanal.

      Es war ein lauwarmer Augustmorgen. Hier unten am Kanal hatten Isabel und ich das erste Mal Körperkontakt gehabt, heimlich in der Nacht zwischen den stinkenden Mistkübeln der Gastronomie. Es war Lust auf den ersten Blick gewesen. Spannung pur. Wir hatten uns umarmt und geküsst, uns gestreichelt und im Stehen befriedigt. Gleichzeitig die Angst vor dem Entdecktwerden. Auf Sex im Freien stand die Höchststrafe. Aber der Kick war es wert.

      Fragst du dich, wie wir unsere Zeitungen loswurden? Wir entwickelten da unsere eigene Masche. Wer hier keine kreativen Ideen hatte, wurde schnell vom Markt gedrängt.

      Unser Ansatz war verdammt genial. Seit einiger Zeit gab es in Wien die Initiative »Sackerl fürs Gackerl«. Sie forderte Hundebesitzer auf, die Hundescheiße in speziell dafür vorgesehene Tüten und die in speziell dafür vorgesehene Behälter zu werfen. Wer das ignorierte, musste saftige Strafen zahlen oder seinen Hund in den Hundeknast bringen.

      Um diesem Unglück zu entgehen, waren Frauchen und Herrchen bereit, viel zu zahlen, und füllten unsere ständig leere Geldbörse.

      Die Idee war uns eines Tages am Schwedenplatz gekommen. Ich hatte ein Hündchen beim Geschäft beobachtet. Das Frauchen ignorierte den Haufen und ich schoss ein Beweisfoto: Frauchen, Hündchen und Gackerl.

      Dann musste Georg den Sack zumachen. Er hatte mit dem Frauchen gesprochen und ihr einen Handel angeboten. Entweder sie kaufte zwei »Penner« und wir löschten das Foto, oder wir schickten das Bild direkt an die Polizei.

      Der Donaukanal am Schwedenplatz war ein idealer Ort für unser Vorhaben. Es gab hier sehr wenige Grünflächen, aber dennoch viele Hundebesitzer, die entlang des Donaukanals ihre Köter ausführten. So auch heute.

      Georg ging mir schon den ganzen Morgen mit dem Mord im Männerwohnheim auf die Nerven. »Mensch, wenn der Paradeiser dich befragt, dann werden sie dich aus Piefke 5 werfen. Vielleicht noch schlimmer: Ausweisen werden sie dich. Zurück nach Piefkonien. Weißt eh, dass der Reinhold ein Spitzel der Polizei ist. Er hat letztes Jahr den Tschuschen verpfiffen, weil der eine Österreicherin aufs Zimmer geschleppt hat. Er flog erst aus Tschuschen 6 und dann wieder zurück auf den Balkan. Und lass die Finger von der Hundefrisörin. Andererseits hätt’ ich dann endlich ein Zimmer für mich allein.« Er lachte.

      Ich sah das ein wenig anders. »Piefke 5 hat doch nur ein Ziel: uns unter Kontrolle zu halten, uns zu bespitzeln und uns tagtäglich zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Dass du auch ein Piefke 5 bist, ist doch komisch, oder etwa nicht?« Ich schaute Georg an und schüttelte den Kopf. »Du bist doch sicher auch so ein Informant, der sofort alle Neuigkeiten über mich weitergibt. Ihr Kärntner seid doch bekannt dafür. Immer käuflich und korrupt.«

      Georg grinste. »Klar. Wenn die wüssten, was du alles auf dem Kerbholz hast, dann würden sie dich am Stephansdom aufhängen.«

      »Erzähl doch keinen Schwachsinn. Lass uns lieber den ›Penner‹ loswerden. Ich hasse die Druckerschwärze an meinen Händen. Da kommt Luise. Die schnappen wir uns.«

      Luise war Herberts Freundin und sie lief immer mit einer gehäkelten Klorolle auf dem Kopf herum. Es war ein Bild für die Götter, wenn die beiden Hand in Hand ihren Pudel ausführten. Herbert mit Helm, Luise mit Klorolle und der Köter mit einem pinkfarbenen Kleidchen. Luise arbeitete als Isabels Sprechstundenhilfe im Innsbrucker Hundesalon. Kennengelernt hatte sie Herbert an der Würstelbude am Schwedenplatz bei einer fettigen Käsekrainer mit süßem Senf.

      Herbert gestand uns einmal, dass sein Helm sie tierisch anmachte. Ich glaubte eher, dass sie ein Auge auf Georg geworfen hatte. Da der Kärntner aber keine Tiroler mochte, machte sie sich gewiss an Herbert ran, um in Georgs Nähe bleiben zu können. Luise wohnte in einer dunklen Kellerwohnung auf der anderen Seite des Donaukanals in der Leopoldstadt.

      Ich ging direkt auf sie zu und quatschte sie an, während Georg ein Foto von ihr und dem mitten in seinem Geschäft befindlichen Pudel machte. »Hey, Luise! Hast du schon gehört? Der Herbert ist jetzt Chef einer Soko im Männerwohnheim. Ein Irrer hat einen Frischling erstochen.«

      »Juri, nicht schon wieder. Lasst mich doch in Ruhe. Herbert hat sich beschwert, weil er ständig für das Gackerl meines Hundes zahlen muss.«

      »Dann pack das Gackerl doch ins Sackerl«, sagte Georg in seinem breitesten Kärntner Dialekt.

      Luises Augen strahlten. Vermutlich wäre sie am liebsten mit ihm durchgebrannt. Währenddessen streichelte ich den Pudel.

      Da zückte die Klorolle die Kohle und ich gab ihr zwei Ausgaben.

      »Heute vier!«, sagte Georg.

      »Warum vier? Kannst du mir sagen, was ich mit denen machen soll?«

      Georg platzte der Kragen. »Lesen! Und richte Herbert aus, dass er sich nicht so anstellen soll, sonst darf er den kleinen Kerl im Knast besuchen. Du kannst ihm auch noch ausrichten, dass unser Zimmer für die Soko tabu ist. Sollte auch nur eine Schnüffelnase es betreten, dann werden wir das dem Hasil stecken. Und was der mit Pudeln macht, kannst du dir denken.«

      Luises