Torsten Schönberg

Der Stempelmörder


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Hemden.

      »Ich dachte schon, ihr kommt nicht mehr. Der Mord im Männerwohnheim ist Thema Nummer eins auf dem Markt. Weiß die Polizei schon, wer dahintersteckt?«

      Georg krallte sich einen Apfel der Sorte Cox Orange und biss hinein. »Wir haben Paradeiser gerade bei Kovac gesehen. In seinem Rausch hat er dummes Zeug gefaselt. Ich mach mir Sorgen.«

      »Seit wann verkauft Kovac Gemüse?«, wollte Seldschuk wissen.

      Ich schüttelte den Kopf. »Chefinspektor Paradeiser. Er leitet die Untersuchungen. Anscheinend ein harter Hund.«

      »Juri, komm endlich zum Punkt«, warf Georg in die Runde.

      »Okay. Seldschuk. Wir brauchen einen Job, der uns Geld bringt.«

      Georg und ich warteten gespannt auf seinen Rat. Die Stirn des Orakels schlug Falten. Er saß da und strengte sich an wie ein Huhn beim Eierlegen. Seine Tipps waren meistens Gold wert.

      »Ihr braucht Kohle? Warum sagt ihr das nicht gleich?«

      Georg nickte. »Na ja, wir sind gerade ein wenig knapp bei Kasse und Piefke 5 macht auch nicht reich. Wir brauchen einen schnellen Job.«

      Seldschuk kratzte sich am Kopf. »Ich hätte da was. Aber es könnte sein, dass ihr euch die Hände dreckig macht.«

      »Kein Problem«, kam es aus zwei hungrigen Mündern.

      »Ich hätte da ein kleines Päckchen. Ihr seid doch morgen bei Pater Ambrosius in Dornbach?«

      Georg schaute mich fragend an. »Klar. Was ist in dem Päckchen?«

      Nicht zu fassen. »Hey, Georg, bist du schwer von Begriff? Das ist geheim. Sonst könnte er es ja auch per Einschreiben schicken.«

      Ich wollte mehr wissen. »Wem sollen wir es übergeben?«

      Seldschuk schob zwei Obstkisten zur Seite. Dahinter befand sich ein Tresor. Flink stellte er die Kombination ein und öffnete die schwere Tür. Es kam ein Päckchen zum Vorschein. Er reichte es Georg. »Um Punkt zwölf Uhr mittags geht einer von euch beiden in den Beichtstuhl der Dornbacher Pfarrkirche. Dort erwartet euch eine Frau mit dem Decknamen ›Jungfrau Maria‹. Ihr nehmt einen Koffer entgegen und wartet, bis sie die Kirche verlassen hat. Den Koffer bringt ihr am Abend um sieben zum Steg 33 am Donaukanal direkt gegenüber vom Schwedenplatz. Dort werdet ihr mir den Koffer übergeben. Und stellt keine Fragen.«

      »Ist ja einfach.« Georg klang euphorisch. »Kein Problem für uns. Was springt dabei raus?«

      »Wenn alles klappt, könnt ihr mit einigen Scheinchen rechnen. Je nachdem, wie ihr euch anstellt, gibt’s noch weitere Übergaben.«

      Seldschuks Cousin Akgün kam dazu. »Hier ist ein Paradeiser und noch ein Kerl. Die wollen dich sprechen.«

      Wir schauten uns fragend an. Georg steckte das Päckchen in seinen Rucksack. Seldschuk gab uns ein Zeichen. »Geht hinter die Tür. Ich werde sie abwimmeln.«

      Durch den Türschlitz konnten wir beobachten, wie Paradeiser versuchte, Seldschuk durch die Mangel zu nehmen. »Ich habe gehört, man nennt dich jetzt das ›Orakel vom Naschmarkt‹? Es gibt da ein kleines Problem im Männerwohnheim in der Meldemannstraße. Wir beide hatten schon einmal das Vergnügen. Erinnerst du dich? Damals bei deiner Einbürgerung? Ich war bei der Fremdenpolizei. Na, klingelt’s, Türke?«

      »Klar, Herr Inspektor.«

      »Chefinspektor, wenn ich bitten darf.«

      »Ihr habt mir das Leben ganz schön schwer gemacht. Das vergess ich nicht. Herr Chefinspektor.«

      Stippschitz legte nach. »Wir brauchen ein paar Informationen. Wer könnte hinter dem Mord stecken? Hast du Namen? Irgendetwas Brauchbares?«

      »Schauen Sie, Herr Chefinspektor –«

      »Herr Inspektor Stippschitz für dich.«

      »Herr Inspektor Stippschitz. Ich verkaufe hier Paradeiser, Melanzani und frisches Obst. Glauben Sie wirklich, ich kann Ihnen da weiterhelfen?«

      »Hör mal zu, du kleiner Scheißer«, schrie Paradeiser und zog Seldschuk am Ohr. »Wenn du mich verarschen willst, dann werden wir das Gespräch auf dem Kommissariat weiterführen. Außerdem hängt deine Lizenz am seidenen Faden. Hilf mir oder ich sorg dafür, dass du in einem Flieger nach Anatolien landest. Also, lass hören.«

      Seldschuk war die Ruhe selbst. Er ließ sich nicht so leicht einschüchtern. »Herr Chefinspektor Paradeiser, ich habe heute frische Melanzani im Angebot. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

      Plötzlich musste ich niesen. Blut schoss mir ins Hirn.

      »Wer ist denn in deiner Hütte?« Paradeiser fragte nicht um Erlaubnis. Er bahnte sich den Weg vorbei an Seldschuk und wollte hinter den Stand treten, da hielt ihn Stippschitz zurück. »Wir haben einen Termin in der Meldemannstraße. Der Heimleiter wartet.«

      Mein Herz pochte. Georg und Akgün waren kreideweiß.

      Paradeiser dachte kurz nach und drehte sich um. »Seldschuk, denk an deine Lizenz. Melde dich, sobald du was hörst. Wenn dein Name bei den Verhören im Wohnheim fällt, dann bist du dran.« Er gab ihm seine Visitenkarte und verschwand mit Stippschitz im Gewühl der Touristen.

      Seldschuk ließ uns aus unserem Versteck. »Ihr habt gehört, was der gesagt hat. Er war schuld, dass meine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nicht genehmigt wurde. Ein unangenehmer Mensch, echt pervers. Sein Hilfssheriff Stippschitz soll auch nicht besser sein. Beiden kann man nicht trauen. So, jetzt muss ich meine Paradeiser verkaufen. Und grüßt mir die Jungfrau Maria.« Dabei grinste er komisch.

      Wir verschwanden durch den Hinterausgang.

      *

      Unsere heutige »Penner«-Ausbeute war gering und damit auch eine Mahlzeit nicht einmal ansatzweise in Sicht. Zum lukrativsten Jagdgebiet gehörte der erste Bezirk, die Innere Stadt, vor allem die Gegend rund um die teuren Fünfsternehotels. Meist schickten die Bonzen eigene Angestellte oder Hotelbedienstete hinaus, um mit ihren Hunden auf einem schmalen Grünstreifen zwischen Hotel und der Wiener Ringstraße Gassi zu gehen. Unser Weg führte also vom Naschmarkt über den Karlsplatz zum Kärntner Ring. Gleich an der Ecke Kärntner Straße, Kärntner Ring standen das Hotel Bristol und das Grand Hotel. Wir setzten uns in eine Straßenbahnhaltestelle direkt vorm Bristol und warteten auf Kundschaft.

      Wien ist im August wie ausgestorben. Sommerferien. Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal im Urlaub gewesen war. Gleich nach dem Studium hatte ich in diversen Studentenjobs gearbeitet, die nichts brachten. Die Wirtschaftskrise traf mich ganz besonders, tiefer konnte ich nicht fallen. Das dachte ich zumindest damals.

      Dann entdeckte ich das Land, in dem angeblich alles besser war: Österreich. Der kleine Staat in den Alpen profitierte von den Touristenströmen. In meiner Naivität setzte ich »Alpen« mit »Geologie« gleich und machte mich auf den Weg nach Wien, um mein Berufsleben endlich in die richtigen Bahnen zu lenken.

      Aber auch im Paradies waren nicht alle gleich. Die Regierung schirmte die einheimische Bevölkerung von den Neuankömmlingen ab, und so steckte mich das Arbeitsmarktservice sofort ins Piefke-5-Programm. Damit standen wir unter ständiger Kontrolle.

      Diesen voyeuristischen Ansatz kannte ich bisher nur als eine Form der Sexualität. Da ich aber keine exhibitionistischen Neigungen hatte, empfand ich diese speziellen Rahmenbedingungen als höchst unsympathisch.

      Georg hatte es nach dem Tod seiner Frau ebenfalls nicht leicht gehabt, er war allerdings aus einem anderen Holz geschnitzt. Sein Motto: Durchwurschteln!

      Du wirst dich jetzt sicher fragen, welche Ziele der Kärntner verfolgte. Klar, er wollte endlich ein guter Österreicher werden, regelmäßig Geld verdienen, eine Zweizimmerwohnung beziehen und seinen kleinen Sohn zurückholen. Der wurde in der Zwischenzeit zwar bei seinen Eltern in Kärnten gut betreut, dennoch erwähnte er regelmäßig seine Sehnsucht nach einem ganz normalen Familienleben.

      Aber ich sagte immer: Georg und ich waren auf eine gewisse Art und Weise auch