Seine Spezialität waren Pudelmützen in allen möglichen Farben, Hauptpudelquelle die Hunde im Köterknast. Und da kam Isabel wieder ins Spiel. Sie scherte die Vierbeiner für Hasil, bis sie nackt waren.
Meine hübsche Tirolerin hatte früher als Hundefrisörin sogar internationale Preise gewonnen. Eines Tages hatte sie, angeblich ohne Absicht, dem Rauhaardackel des Innsbrucker Bürgermeisters die Kehle aufgeschlitzt und die Lizenz für ihren Hundepflegesalon »Fino« verloren. Dann der Absturz, die Flucht nach Wien, das Frauenwohnheim und schließlich das Männerwohnheim. Jetzt schnitt und pflegte sie die Köter im Hundeknast und belieferte den Strizzi-Hasil illegal mit Hundehaaren. Am absoluten Tiefpunkt angelangt, hatte sie mich kennengelernt.
Luise zahlte und steckte die vier Blättchen ein. »Ich muss jetzt weiter.« Sie warf Georg noch einen sehnsuchtsvollen Blick zu.
»Denk an den Hasil«, rief Georg ihr hinterher.
Der Morgen raste dahin. Wir konnten noch zwei weitere Hundebesitzerinnen erpressen. Eine im Bermudadreieck, dem Saufviertel von Wien, und dann noch eine, deren Hund ein Riesen-Gackerl vor die älteste Kirche Wiens legte, die Ruprechtskirche. Aber das Geld reichte hinten und vorne nicht. Wir brauchten dringend einen Job. Das Arbeitsmarktservice zahlte uns Piefke 5 viel zu wenig, um über die Runden zu kommen. Gegen Mittag fuhren wir mit der U 4 zur Kettenbrückengasse.
Die Station Kettenbrückengasse hat einen ganz besonderen Charme. Wenn du mal in Wien bist, dann musst du diesem schönen Fleckchen unbedingt einen Besuch abstatten. Es ist die Station der Drogensüchtigen und Obdachlosen, die hier ihre sozialen Kontakte pflegen und sich um den Verstand spritzen.
Die Süchtler waren gerade beim zweiten Frühstück. Ein Doppler Rotwein machte die Runde, Georg und ich nahmen einen kräftigen Schluck.
Unser Kollege Kovac lebte schon seit einem Jahr in diesem Umfeld. Als Teilnehmer an Tschuschen 6 stand er noch tiefer als wir in der Ausländer-Hierarchie. Er war Software-Entwickler und wurde täglich von Behörde zu Behörde geschickt, um alle Netzwerke in Ordnung zu bringen. Kovac wohnte im Favoritener Männerwohnheim ganz in der Nähe vom Reumannplatz. Er war ein lustiger und sympathischer Kerl, die Haare grau gelockt, ein großer Schnauzer über der Oberlippe und immer für einen Scherz zu haben. Leider hatte ihm ein Dealer vor ein paar Monaten Heroin schmackhaft gemacht. In letzter Zeit schluckte er Methadon.
Eine lästige Angewohnheit waren seine Schläge auf meine Schultern, so, als müsste er mit dieser Geste das Gesagte kräftig unterstreichen. »Juri, mein alter Freund. Was lese ich im ›Penner‹? Du hast wieder einen umgebracht? Wenn du so weitermachst, dann werden sie dich noch aufhängen. Alter Stempelmörder!« Im nächsten Moment schlug er zu und meine Schulter vibrierte.
Georg grinste. »Der Piefke hat den Skilehrer mit einem Küchenmesser kaltgemacht. Wie ein echter Profi.«
Wir mussten lachen. Der Doppler war schon halb leer.
Kovac sah mich an. »Juri, hast du ein paar Euro für einen alten Freund? Ich werd sie dir am Montag zurückgeben.« Am Montag war unser Tag bei der Favoritener Polizei.
»Kovac, alter Freund. Du weißt ganz genau, dass wir keine Kohle haben. Wenn ich die hätte, dann wärst du der Erste, dem ich was leihen würde.« Ich klopfte ihm auf die Schulter und lachte.
»Juri, mein einziger Piefkefreund, ich muss dich vor dem Paradeiser warnen. Bei dem ist was faul. Der stinkt. Ich habe im ›Penner‹ gelesen, dass er die Ermittlungen leitet. Letztes Jahr hatten wir einen ähnlichen Mordfall in unserem Männerwohnheim. Du weißt doch noch, als ihr für eine Nacht bei uns geschlafen habt. Der Typ hat jeden Einzelnen durch den Fleischwolf gedreht. Am Ende waren wir fix und fertig. Er hat eine ganz besondere Technik, Geständnisse zu erpressen, ihr werdet das noch merken. Also lass dich nicht von ihm erwischen.« Schon schlug er wieder zu und lachte.
Der Doppler war leer.
»Kovac, wir müssen weiter. Du weißt, das Käseblatt verkauft sich nicht von selbst. Georg ist heute hoch motiviert.« Wir wollten schon weiter, da zupfte unser Tschuschen-6-Kollege an meinem Hemd. »Kovac, ich habe keine Kohle. Wirklich!«
»Ist schon gut. Aber ich habe hier noch was für euch.« Er gab mir eine DVD.
»Was soll ich damit? Sind da Pornos drauf?«
Kovac nickte. »Ganz besondere, Juri.«
Georg schaute sich die runde Scheibe misstrauisch an. »Was ist das?«
Da endlich rückte Kovac mit der Sprache raus. »Ich hab was ganz Schreckliches …« Mitten im Satz entwich ihm ein lauter Rülpser. »… entdeckt. Das sind Mitschnitte eines Überwachungsvideos …« Er senkte den Kopf.
»Rede endlich, Kovac!«, fuhr ihn Georg an. Der Kärntner hatte keine Geduld.
»Das hab ich gestern in der Sicherheitswache in Frohsinn mitgehen lassen. Darauf sieht man …« Kovac fing an zu zittern.
»Was ist los im Kleingartenverein Frohsinn?«, wollte ich von ihm wissen.
Unser Freund schaute uns ganz verstört an. »Oberinspektor Kleindienst in Frohsinn …« Wieder ein Rülpser.
Als ich diesen Namen hörte, klingelten bei mir die Alarmglocken, denn ich kannte den Oberinspektor nur zu gut.
»Da ist ein Kleingarten …«
Georg und ich wechselten skeptische Blicke. Meine Geduld hatte ebenfalls seine Grenzen. »Kovac, du stehst unter Drogen und redest wirres Zeug. Lass die Finger davon. Wenn Kleindienst erfährt, dass du in seinen Sachen herumwühlst, dann wird er nicht sehr glücklich sein.«
Georg nickte. »Das hört sich nach unnötigen Problemen an. Hör endlich mit dem Saufen und Kiffen auf.«
»Juri, wir müssen da was machen. Das geht so nicht.« Er stolperte. Wir konnten ihn gerade noch auffangen und setzten ihn auf eine Bank.
»Kovac wir müssen gehen. Pass auf dich auf. Wir sehen uns am Montag in Frohsinn.«
Er lachte bitter.
*
Gleich hinter der Station Kettenbrückengasse begann der Naschmarkt. Jeder Wienbesucher quetschte sich dort mindestens einmal quer durch. Lauter Marktstände mit Obst und Gemüse. Manchmal schienen mir die Früchte ein wenig zu groß, irgendwie mutiert. Die Touristen liebten die Standverkäufer, die ihnen alles Mögliche andrehten. Sie kreischten alle durcheinander. »Kebab, Kebab!« oder »Probieren Sie Äpfel, Paradeiser, Feigen …« oder was auch immer. Der Naschmarkt bestand aus zwei Reihen. Eine war für die Stände und die andere für Restaurants, ganz multikulti natürlich.
Georg hatte die nervige Angewohnheit, mit jedem Verkäufer quatschen zu müssen. Dadurch kannte er die meisten und wir brauchten immer ewig, um den Markt zu durchqueren. Allerdings wurden wir auf diese Weise auch unsere Zeitungen los. Man mag es nicht glauben, aber es gab sogar Kunden, die den »Penner« freiwillig kauften.
Kaum hatten wir uns von Kovac verabschiedet, rannten wir fast Paradeiser und Stippschitz in die Arme. Die beiden quetschten sich durch den schmalen Gang an den Touristen vorbei. Schnurstracks gingen sie auf die Methadon-Gruppe zu. Paradeiser streifte mit dem Ellenbogen meinen Arm. In der Meldemannstraße waren wir den Verhören entgangen, und auch jetzt verschwanden wir gekonnt zwischen Obst und Gemüse.
Auf halber Strecke lag der Gemüsestand unseres Lieblings Seldschuk. Er war vor 30 Jahren aus Ostanatolien nach Köln ausgewandert, wo er für Ford Autos zusammengeschraubt hatte. Als der Autoboom nachließ, versuchte er sein Glück in Wien und kaufte einen maroden Stand, der sich in einen Außenbereich für Obst und Gemüse und in ein dahinterliegendes Büro gliederte. Seine Melanzani und Paradeiser gehörten zu den größten, die man weit und breit finden konnte.
Seldschuk wurde auch »das Orakel vom Naschmarkt« genannt. Er galt als eine nie versiegende Nachrichtenquelle. Bis vor einem Jahr war er Teilnehmer des Atatürk-hab-8-Programms. Letztes Jahr bescheinigte man ihm und seiner gesamten Familie, nach fast zehn Jahren, gute Österreicher zu sein. Es hatte so lang gedauert, weil er neben dem türkischen auch den deutschen Pass besaß.
Sein