Torsten Schönberg

Der Stempelmörder


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Und gute Österreicher helfen sich gegenseitig, wenn sie in der Klemme stecken. Eine Hand wäscht die andere.«

      Georg mischte sich ein. »Wir hätten da einen Job für dich. Morgen Mittag sollst du für uns im Beichtstuhl der Dornbacher Pfarrkirche ein kleines Päckchen an die Jungfrau Maria übergeben. Den Koffer, den du von ihr bekommst, gibst du an uns weiter. Das ist alles. Klingt doch ganz einfach, oder?«

      Hasils Zeigefinger bewegte sich in Richtung Stirn. »Ihr seid’s doch vollkommen durchgedreht. Die Jungfrau Maria! Geht’s euch gut?«

      Ich erinnerte ihn noch einmal an die Ersatzhaare in seinen Pudelmützen. »Wenn deine Kunden, vor allem die neureichen Russen, von dem Betrug Wind kriegen, bist du erledigt. Wir kennen da so ein paar Moskauer in Wien, die das sicher interessiert. Lass es nicht drauf ankommen. Morgen Mittag wird dir die Jungfrau Maria im Beichtstuhl erscheinen.«

      In dem Moment kam Erwin mit unserem Schweinsbraten. »Soll ick’s hier servieren?«

      Georg zeigte zum anderen Tisch und flüsterte Hasil noch ein paar Worte ins Ohr. Der zuckte merklich zusammen und nickte. Wir zogen uns zurück und widmeten uns dem Braten.

      »Was hast du zu ihm gesagt?«, wollte ich von Georg wissen.

      »Ich hab ihm damit gedroht, jeden Tag einen toten Pudel in sein Geschäft zu werfen und die Tierschützer auf ihn zu hetzen.«

      »Du widerst mich an. Lass die armen Viecher in Ruhe. Erwin, noch zwei Bier!«

      Hasil war ein armes Schwein. Seine Lebensgrundlage waren Pudelmützen. Unsere war Piefke 5. Nach dem Essen tranken wir mit Erwin noch ein Bier. Ich fand sein Ziel, ein guter Österreicher zu werden, nicht unbedingt erstrebenswert, ich verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Wir freuten uns schon auf ein Wiedersehen am Donnerstag im Arbeitslosenstrandbad, Erwin arbeitete dort als Barkeeper. Wir würden an diesem Tag als Bademeister für die Aufsicht zuständig sein.

      Gegen sieben rafften wir uns endlich auf. Das Männerwohnheim wartete, um acht wurden die Türen geschlossen. Wer sich bis dahin nicht für die Nacht angemeldet hatte, der musste draußen schlafen. Um zehn wurde das Licht abgedreht, dann war Nachtruhe.

      Wir öffneten kurz vor acht die Tür. Es herrschte Totenstille, die kalten Flure wirkten um diese Zeit irgendwie unheimlich. Im Erdgeschoss lag die Verwaltung des Heims. Direkt neben dem Stiegenaufgang befand sich die Anmeldung. Ich klopfte und wir traten ein.

      Franz saß hinter einem massiven Schreibtisch aus Eichenholz. Er tippte gerade etwas in seinen Computer.

      »Sollen wir später noch mal wiederkommen?«, fragte ich.

      »Nein, nein, setzt euch. Ihr seid hoffentlich die Letzten, die sich für heute Nacht anmelden. Noch einen kleinen Moment, dann könnt ihr einchecken.«

      In den Regalen standen Hunderte von Aktenordnern alphabetisch geordnet. Für Franz war dieser Tag als Leiter sicherlich der Höhepunkt seiner noch kurzen Männerwohnheim-Karriere, allerdings stand er überhaupt nicht auf Öffentlichkeit. Er wollte Paradeiser offenbar helfen, den Mord möglichst schnell aufzuklären. Die Einrichtung der Soko war seine Idee gewesen, mit Herbert hatte er einen willigen Ermittler gefunden. Franz war ein guter Sozialarbeiter. Früher hatte er sich um ausgerissene Kinder und Jugendliche gekümmert, viel Straßenarbeit geleistet und diverse Jugendeinrichtungen betreut. Jetzt kümmerte er sich um die großen Kinder, wie er uns einmal bei einem gemeinsamen Bier nannte. So stellte ich mir die gute Seele eines Heims vor.

      »So, meine beiden Freunde. Dann blast mal rein.«

      Das war auch so eine Neuerung, die er eingeführt hatte. Wenn das Gerät mehr als 1,0 Promille zeigte, musste der Bläser das Heim wieder verlassen.

      Wir hatten für diesen Fall eine spezielle Atemtechnik entwickelt: Beim Hyperventilieren, also schnellem Ein- und Ausatmen, zeigte das Gerät einen viel geringeren Wert an. Wir bliesen.

      Ich erreichte 0,4 Promille und Georg 0,9, wir lagen also gerade noch darunter.

      Dann mussten wir jeweils drei Fragen beantworten. Dieser Scherz hing mit Piefke 5 zusammen, quasi eine Vorbereitung auf den Einbürgerungstest.

      »So, Juri, deine Fragen: Wie viele Liter sind ein Doppler?«

      Das war einfach. »2.«

      »Richtig. Das war ja nicht schwer. Jetzt die zweite Frage: Wo wurde der Mörder unserer Sisi geboren?«

      Das war nicht ganz so leicht, aber ich wusste die Antwort. »In Paris.«

      Die dritte Frage war meist die schwerste. »Was liegt bei einem guten Österreicher im Nachtkastl?«

      Ich hatte keine Ahnung. Georg erwähnte vor ein paar Tagen, dass er in seiner alten Wohnung immer eine Gaspistole und Kondome in der obersten Schublade aufbewahrte. »Eine Pistole und Kondome.«

      Georg grinste.

      Franz verzog die Augenbrauen. »Na ja, da müssen wir noch ein wenig üben. Im Nachtkastl eines guten Österreichers liegt die Bibel. Aber ihr seid ja hier zum Lernen.«

      Georg hatte nicht so viel Glück und lag dreimal knapp daneben. »Damit habt ihr den heutigen Test nicht bestanden und müsst morgen nachsitzen. Noch vor eurem Dienst kommt ihr in den ersten Stock zur Guten-Österreicher-Schulung. So, jetzt noch eine Unterschrift, und dann ab ins Zimmer gegenüber. Dort sitzt Herr Inspektor Stippschitz. Er hat ein paar Fragen zum Mord letzte Nacht.«

      Auf dem Gang sahen wir uns an und gingen lautlos die Stiegen hinauf in den vierten Stock.

      Herbert stand vor seinem Zimmer. Sein Helm glänzte im schummrigen Licht der 25-Watt-Birne. »Wart ihr schon bei Stippschitz?«

      Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ihm die Macht ein wenig zu Kopf gestiegen war. Anders konnte ich sein Gehabe nicht deuten.

      »Herbert, was ist los?«, fragte Georg. »Gibt es Neuigkeiten? Habt ihr den Mörder schon gefasst?«

      »Lass das Gequatsche. Was habt ihr mit Luise gemacht? Sie hat mich heute Nachmittag völlig aufgelöst angerufen. Das muss ein Ende haben.«

      Georg schob Herbert in sein Zimmer und ich schloss hinter uns die Tür. »Hör mal gut zu, mein Freundchen. Du hast jetzt eine sehr wichtige Aufgabe. Wir werden dich voll und ganz unterstützen. Aber denk auch immer daran, dass Luise einen Pudel hat, den unser Freund Hasil gern verwerten möchte.« Georg drückte Herbert mitsamt seinem Helm gegen die Wand. »Du bist dafür verantwortlich, dass niemand unser Zimmer durchsucht. Weder Paradeiser noch Stippschitz oder Franz. Ist das klar? Ist das klar?« Den letzten Satz flüsterte Georg.

      Ich spielte den guten Cop. »Herbert, denk an unsere gemeinsame Zeit im Waldviertel. Haben wir dich jemals im Stich gelassen? Glaubst du wirklich, wir könnten deiner Luise oder ihrem Pudel etwas antun? Wir brauchen nur etwas Privatsphäre. Georg hat eine regelrechte Allergie gegen die Obrigkeit und wir können uns die Medikamente nicht leisten.«

      Herbert schaute Georg an. »Stimmt das mit der Allergie, Georg?«

      »Klar stimmt das. Ich bekomme riesige Pusteln, die dann platzen und eitern.« Georg streichelte Herberts Helm.

      Der Soko-Leiter atmete tief durch. »Na, warum habt ihr beide das nicht gleich gesagt. Wir sind doch Freunde, die sich gegenseitig helfen. Paradeiser und Stippschitz haben viel damit zu tun, jeden im Haus zu verhören. Ihr habt sicher keine Lust, mit ihnen zu reden. Aber eine schlechte Nachricht hab ich leider noch. Sie werden auch euer Zimmer durchsuchen. Die Mordwaffe haben sie bis jetzt noch nicht gefunden. Vielleicht kann ich da was machen.«

      »Gut so. Das ist unser Herbert, wie wir ihn kennen«, freute sich Georg.

      Der Arme schaute wieder freundlicher drein. Wir klopften ihm zum Abschied auf die Schulter und verließen sein Zimmer.

      Der Gang wirkte endlos. Wie in einem Gefängnis. Rechts und links die Zellen. An der Decke eine nackte Birne. Das vorletzte Zimmer links gehörte uns. Wir durften es nicht verschließen. Das war strengstens verboten – Regel Nummer sieben der Hausordnung.

      Der Sack, den wir am Morgen auf den