Joachim Bitterlich

Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa


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der politischen Bühne, mehr denn je gefordert, gerade auch im Lichte der COVID-Krise in seinem Sinne zu festigen und seine Überlebensfähigkeit auf Dauer zu sichern.

      Ein solcher Rück- und zugleich Ausblick ist auch Anlass des Dankes an die, die mich während dieser Jahre gefördert und ertragen haben. Zuallererst an meine Frau und unsere Kinder, die ich oft genug vernachlässigt habe, sie haben mir immer die Rückendeckung für die Wahrnehmung meiner Aufgaben gegeben. Ihnen ist dieses Buch daher auch gewidmet.

      Danken möchte ich zudem stellvertretend für alle meine Vorgesetzten Bundeskanzler a.D. Dr. Helmut Kohl und auch Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, die mich gefördert, die meine Fehler ertragen, sie abgedeckt haben, mit denen ich phantastische Stunden erleben durfte.

      Dankbar bin ich gleichermaßen den Kollegen und Mitarbeitern, die im Kanzleramt wie in den von mir geleiteten Vertretungen in Brüssel und Madrid Höchstleistung erbracht haben und ohne die ich meine Aufgaben nie hätte erfüllen können.

      Dankbarkeit aber auch dafür, was ich in all denen Jahren miterleben, dass ich in Schlüsseljahren deutscher und europäischer Geschichte dabei sein und zu den Weichenstellungen mitunter beitragen durfte. Dankbarkeit gleichermaßen an die Adresse vieler gewonnener Freunde, mit denen ich damals wie heute verbunden bin, stellvertretend für viele andere sei Hubert Védrine genannt.

      Vom Auswärtigen Dienst in die Politik

      1. Untypischer Anfang im Auswärtigen Dienst, 1976–78

      Das „Abenteuer“ europäische und internationale Politik hatte unspektakulär begonnen. Ich war 1976 stolz darauf, den Auswahlwettbewerb des Auswärtigen Dienstes – dem einzigen dieser Art in Deutschland – bestanden zu haben und in den „höheren Auswärtigen Dienst“ einzutreten.

      Wieso überhaupt Auswärtiges Amt? Die Vorstellung, meine Heimat, das Saarland zu verlassen, war schon während des zweijährigen Militärdienstes entstanden, der mich quer durch Deutschland geführt hatte. Die Vorzeichen waren freilich eher deutsch-französisch, ja europäisch – geboren im Saarland, damals noch unter französischer Besatzung, Gymnasium, dann Studium Recht, Wirtschaft und Politik in Saarbrücken.

      Ich erinnere mich an Grenzen und deren Probleme, an die Zeit gescheiterter Bemühungen, aus dem Saarland ein europäisches „Washington DC“ zu machen, an die Volksabstimmung im Herbst 1955 und ihre positiven wie kritischen Folgen. Die Saarländer lehnten mit Zwei-Drittel Mehrheit das von Frankreich und der saarländischen Landesregierung initiierte „Europäische Statut für das Saarland“ ab. Damit war der Weg für die Rückgliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik frei. Meine Eltern trauten sich unter jenen Umständen nicht, mich in Saarbrücken beim französischen Maréchal Ney-Gymnasium anzumelden, dessen französisches Abitur im Saarland dann auch prompt fürs erste nicht (mehr) anerkannt wurde.

      Die Grenzkontrollen Richtung Deutschland verschwanden, diejenigen in Richtung Frankreich blieben, auch und gerade gegenüber dem Nachbarn Lothringen. In jenen Jahren mussten wir schmerzhaft erfahren, was es bedeutet, eine Wohnung im „Zollgrenzbezirk“ zu haben. Wir konnten nicht so einfach jenseits der Grenze einkaufen und erfreuten uns „aleatorischer“ Kontrollen auf dem regelmäßigen Weg nach Lothringen. Meine Frau stammte eben aus dieser Region, ausgerechnet aus einer Gemeinde, die 1871 geteilt worden war und daher bis heute unterschiedlichen Verwaltungsregeln und -grenzen unterliegt, ein Teil im Departement „Moselle“, ein Teil in „Meurthe-et-Moselle“. Grenze war die Eisenbahnbrücke, der Ort zugleich Grenzstation für alle Züge zwischen Paris und Straßburg. Ein Grenzbahnhof, der im Übrigen durch einen der großen Filme von Claude Lelouch „Les uns et les autres“ bekannt wurde.

      Meine Schwiegermutter ging in die deutschsprachige Grundschule. Auf der Straße Französisch zu sprechen war ein Tabu, sie brauchte einen Passierschein, um ihre Verwandten auf der anderen Seite der Brücke zu besuchen. Nach dem Ende der deutschen Besatzung war die deutsche Sprache Tabu, man hielt aber bis heute die besonderen Besitzstände auf der Seite „Moselle“ aufrecht – Beispiel war der Status der Kirche. Die Priester werden unverändert vom Staat bezahlt!

      Während der juristischen Referendarausbildung sollte die Unterbrechung über 13 Monate zum Studium an der ENA, der Ecole Nationale d'Administration in Paris, folgen, ein „Ausflug“ in eine andere Welt, das „Eintauchen“ in eine völlig andere Art von Führung und Administration. Mein Ausbilder aus dem Innenministerium hatte mich auf den deutschen Auswahlwettbewerb aufmerksam gemacht und im Einvernehmen mit meiner Frau hatte ich das Risiko gewagt.

      Die Rückkehr in die Ausbildung in Saarbrücken drei Monate vor dem Zweiten Staatsexamen fiel nicht gerade leicht. In Gedanken schien ich noch in Paris oder schon beim Auswahlwettbewerb für den Auswärtigen Dienst zu sein.

      Die jungen Attachés hofften vergeblich auf eine Begegnung mit „ihrem“ Bundesminister. Mir sollte dies zweieinhalb Jahre später dank einer Beerdigung vergönnt sein. Unsere Vereidigung nahm der Staatssekretär vor. Wir erfuhren erst später, dass Peter Hermes, den ich in der praktischen Ausbildung kennen und schätzen lernte, aus der inneren Sicht des AA nicht der erste, sondern „der zweite“ Staatssekretär war.

      Die ersten einführenden Monate in der Ausbildungsstätte des Auswärtigen Amtes auf der Bonner Höhe in Ippendorf, der „Diplomatenschule“, vergingen viel zu langsam, ich wollte endlich die Praxis kennen lernen! Daran änderten auch weder das Bemühen um die Vermittlung des diplomatischen Rüstzeugs noch die ersten Einblicke irgendetwas. Einer der wenigen Politiker, die mich in den abendlichen Diskussionen in ihren Bann gezogen und beeindruckt hatten, war Egon Bahr. Er, der Vordenker und Wegbereiter der Brandt'schen Ostpolitik, war es, der schon früh den Grundsatz „Wandel durch Annäherung“ geprägt und die Brücken nach Osten aufgebaut hatte. Seinen Kernsatz, wonach Schlüssel zur Lösung der deutschen Frage ein europäisches Sicherheitssystem sein müsse, „das Sicherheit für Deutschland mit Sicherheit vor Deutschland verband, auf der Grundlage einer stabilen Abschreckung durch die beiden Supermächte“, konnte ich aus damaliger Sicht im Grundsatz nur querschreiben. Was bei Bahr freilich vor allem fehlte, war die Einbettung in die europäische Integration als die „andere Seite der Medaille“ – und das unterschied ihn, der in gewisser Weise eines der Vorbilder wurde, von Helmut Kohl, meinem späteren Lehrmeister. Einer der wenigen, der die politische Bedeutung des Bahr'schen Kurses erkannt hatte, war in jenen Jahren ein anderer Lehrmeister moderner Außenpolitik: Henry Kissinger.

      An meiner Ungeduld änderte auch die Enttäuschung über das erste „Personalgespräch“ im Dienst nichts. Mein erster Vorgesetzter an der Diplomatenschule verkündete mir offen, dass ich angesichts der Tatsache, dass meine Frau Französin ist und ich durch die ENA, die französische Kaderschmiede, gegangen war, nie nach Paris versetzt werden würde. Mir fehle es an der notwendigen Objektivität, am erforderlichen Abstand von den Franzosen. Ich musste schon schlucken, ich hatte ihn nie nach einer Versetzung gefragt! Ich durfte vertretungsweise den Französisch-Unterricht für junge Diplomaten leiten, aber Paris sollte Tabu bleiben. Doch ich konnte nicht ahnen, dass es manchmal anders kommt, als Planer und Personalmanager es vorhersehen.

      Die folgenden Jahre waren dennoch faszinierende Lehrjahre. Zum Teil sind die Themen der damaligen Zeit auch heute noch aktuell; anders ausgedrückt: Sie harren auch heute noch einer nachhaltigen Lösung.

      Im Frühjahr 1977 begann endlich die Praxis mit der Ausbildung in der Abteilung für Außenwirtschaft des Auswärtigen Amtes, im damaligen Referat 413 für Fragen der „Nuklearexport-Politik“. Dies in einer Zeit, die geprägt war durch die Bemühungen der US-Administration um Präsident Carter um eine Verschärfung der Nuklearexportkontrollen, eines der politisch sensiblen Themenkomplexe der Außenpolitik.