Joachim Bitterlich

Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa


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ging es um „Bestechung“, angeblich einer Gruppe, der dies nicht zustehen sollte. Erst als dies korrigiert worden war, wurde er frei gelassen. Und für seinen Mitarbeiter bildeten meine Frau und unser gerade einjähriger jüngster Sohn bis zur Ausreise den bestmöglichen Schutz: er wich völlig verängstigt im Hotel bis zu seiner Ausreise den beiden nicht von der Seite.

      Hilfreich hatte sich damals ein Franzose, offiziell Mitglied der Botschaft, erwiesen. Er sprach mich an der französischen Schule auf dem Parkplatz beim Abholen unserer Kinder an und gab mir regelrecht Handlungsanweisungen, wie ich eingedenk von Erfahrungen der Franzosen schlimmeres verhindern und eine Lösung erreichen könnte. Eine davon war, meinen Botschafter auf schnellst möglichem Wege mit einer Botschaft von Hans Jürgen Wischnewski zu Außenminister Bouteflika zu schicken und ihn um Hilfestellung zu bitten, anders ausgedrückt, auf diese Weise der Führung des Staates klar zu machen: Wir sind an einer Lösung interessiert. Bouteflika gehörte ja als Mitglied des Politbüros der regierenden FLN zum inneren Führungskreis. Erst später erfuhr ich, dass dieser Franzose der Resident des französischen Geheimdienstes war – und es war er, der mir einen Kontakt zum militärischen Sicherheitsdienst, der „Sécurité militaire“, vermittelte, der sich in der Zukunft in schwierigen Lagen als besondere Hilfe erweisen sollte.

      Mein anderes faszinierendes, von vielen Kollegen – und auch von mir lange – unterschätztes Feld war die Kulturarbeit, in Algier im Kern mit einer kleinen deutschen Schule und einem Goethe-Institut, das in einem zensierten Umfeld auf engste Zusammenarbeit mit der Botschaft angewiesen war.

      Die hohe Anerkennung der deutschen Archäologen war die Grundlage für die erste große Ausstellung im Ausland, für die sich das Land engagierte: „Die Numider“ im Rheinischen Landesmuseum in Bonn im November 1979.

      Daneben war ich in dieser recht kleinen Botschaft Vertreter des Pressereferenten, dessen zweites Standbein die Beobachtung der Innenpolitik war. Und dieser „Nebenjob“ brachte mich zu einem besonderen Erlebnis. Im Januar 1981 hatte sich das Gerücht verdichtet, die in der US-Botschaft in Teheran festgehaltenen 52 Geiseln würden freigelassen, und zwar über Algier nach Deutschland, wo die Amerikaner sie in Empfang nehmen sollten. Folge war die Anwesenheit vieler amerikanischer und europäischer Journalisten, dies in einem Land, das in keiner Weise pressefreundlich war.

      Darunter Hanspeter Oschwald, der Algerien für die „dpa“ von Paris mitbetreute und sich zuvor mehrmals umgeschaut hatte. Er entpuppte sich übrigens als einer der besten deutschen Kenner des Vatikans und war für mich in späteren Jahren eine wichtige Quelle zum Verständnis der Gremien der katholischen Kirche.

      Nach Tagen vergeblichen Wartens und dem Annähern des algerischen Wochenendes waren wir übereinstimmend der Auffassung, während des Wochenendes werde wohl nichts passieren, er könne nach Paris zurück und ich könnte ihn ja dann, wenn doch notwendig, per „Lockruf“ alarmieren. Nun gut, wir hatten uns kräftig getäuscht – und am Abend des 20. Januar begann das algerische Fernsehen auffällig über die Bemühungen zur Freilassung der Geiseln zu berichten. Und irgendwann kam dann der der politischen Führung und Staatsgästen vorbehaltene Teil des internationalen Flughafens von Algier ins Bild.

      Lockruf nach Paris: Es scheint bald loszugehen, bitte viertelstündlich anrufen – und so kommentierte ich in der Nacht am Telefon die Ankunft der 52 Geiseln, deren „Übergabe“ an den stellvertretenden US-Außenminister Warren Christopher – und deren Weiterflug nach Deutschland, was das algerische Fernsehen sorgsam verschwieg oder nicht wissen durfte. Was ich nicht bemerkte, Hanspeter Oschwald schrieb meinen Telefon-Bericht direkt nieder und dieser wurde, selbstverständlich ohne Namensnennung, Grundlage der Eilmeldungen der dpa „aus Algier“. Dies zwei Stunden vor den anderen bekannten internationalen Nachrichtenagenturen, vor allem die Franzosen waren mehr als wütend: Sie hatten wie andere am Flughafen an den wenigen Telefonmöglichkeiten Schlange stehen müssen. Wir waren damals halt noch Teil der „Münzfernsprecher-Generation“, an Mobiltelefon und Internet dachte noch niemand!

      Und genauso erstaunlich war es, dass die Algerier und deren „technische Dienste“ diese gut zwei Stunden dauernde telefonische Berichterstattung zu keinem Zeitpunkt störten oder unterbrachen. Wir wussten, dass sie uns abhörten – und ihnen „Mitarbeiter“ aus der DDR als technische Berater hilfreich zur Seite standen. Zuweilen führte dies auch zu skurrilen Folgen, aber diesmal ging es um ein positives Ereignis für das Ansehen des Landes!

      Meine Frau hatte insofern ein für sie unvergessliches Erlebnis: Sie versuchte nach Deutschland zu telefonieren, was aufgrund der beschränkten Anzahl internationaler Leitungen damals kein leichtes Unterfangen war. Sie wählte immer wieder, kam einfach nicht durch – bis sie auf einmal eine Stimme mit erkennbar sächsischem Unterton hörte: „Warten Sie doch die internationale Tonalität ab“ – das internationale Freizeichen!

      Apropos deutsche Rolle bei der Freilassung der Geiseln, damals ahnten wir nicht die besondere Rolle der deutschen Politik in diesem Zusammenhang, sei es von Hans-Dietrich Genscher selbst oder sei es von Gerhard Ritzel, dem damaligen Botschafter in Teheran, der anders als sein Vorgänger die Zeichen der Zeit früh erkannt und Kontakte zu dem neuen Regime angebahnt hatte.

      Algier war auch der Ort meiner ersten Begegnung mit Hans-Dietrich Genscher. Anlass seines Besuches am 29. Dezember 1978 waren die Trauerfeierlichkeiten für den algerischen Präsidenten, Houari Boumédiène.

      Dem jüngsten der Mannschaft oblagen neben seinen Sachgebieten zwei Bereiche: einerseits Protokoll – und zwar vor allem die Vereinbarung von Gesprächsterminen für den Minister „am Rande der Trauerfeier“ – und andererseits als Leiter des Krisenstabes die Organisation aller Abläufe. Und wie so häufig bei „Großveranstaltungen“ dieser Art lief vieles nicht immer rund. Genscher suchte nicht nur verzweifelt „seinen“ Kranz im Palast des Volkes, sondern als er im Hotel ankam und nach den vereinbarten Gesprächsterminen fragte, war – so die Kollegen – ein mittlerer Zornesausbruch die Folge: Wir hatten Termine vereinbart, die der Minister anscheinend nicht oder nicht mehr wollte. Irgendetwas war wohl in der Bonner Maschinerie schiefgelaufen.

      Und wie mir einer aus der Bonner Delegation später erläuterte, hätten alle, auf die Frage des Ministers, „wer dafür verantwortlich sei“, auf mich verwiesen. Da ich ihm völlig unbekannt war, ordnete er mein sofortiges Erscheinen an. Leichter gesagt als getan in einem von Polizeikontrollen und höchster Nervosität beherrschtem Algier. Hatte sich die Führung doch erst nach langem Hin und Her, anders ausgedrückt: nach drei Monaten Lähmung und Agonie auf einen Nachfolger verständigen können und dann erst den todgeweihten Boumédiène in Frieden sterben lassen! Im Hotel angekommen, traf ich auf eine höchst aufgeregte deutsche Delegation – nur der damalige Sprecher (und spätere Staatssekretär) Genschers, Jürgen Sudhoff, behielt die Ruhe und erklärte mir Hintergrund wie auch die Risiken meines Erscheinens: Ich solle dem Minister ruhig und sachlich meine Weisungslage vortragen.

      Ich stand dann zum ersten Male „meinem“ Minister gegenüber, dem ich – sein Zorn schien sich inzwischen gelegt zu haben – meine Weisungen erläuterte. Seine Reaktion war – im Gegensatz zu meiner Erwartung – sachlich, er erteilte mir mehrere Weisungen zu Gesprächen, die er führen wollte oder aber nicht.

      Er wollte eben mit dem saudischen Amtskollegen sprechen, der nicht auf der uns aus Bonn übermittelten Liste war, nicht aber mit dem libyschen Revolutionsführer Mouammar Kadhafi und auch nicht mit dem gerade frisch ernannten französischen Außenminister Jean François-Poncet – „der (frühere) Botschafter könne warten“! Genscher fand in Paris erst später mit Roland Dumas den politischen Partner, den er sich gewünscht hatte.

      Als die Luftwaffen-Maschine am Abend abhob, waren die letzten Aufregungen des Kurzbesuches – Genscher hatte auf dem chaotischen Wege vom Friedhof zum Flughafen einen Teil seiner Delegation „verloren“ und wollte ohne diese abfliegen – rasch vergessen, wir waren einfach erleichtert! Genscher hatte Delegation und Botschaft während des ganzen Tages unter höchstem Druck „auf Trab“ gehalten,