Tomos Forrest

Schwert und Schild - Sir Morgan, der Löwenritter Band 8: Gottes Fluch über Cornwall


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kein Kettenhemd. Der Mann schien sich offenbar ein wenig auszukennen, denn er fand sofort den Zugang, schnitt sich einen jungen Baum und tastete damit über den Untergrund entlang. Fast hätte ich ihn mit einem Pfeil aufhalten wollen, als er dann am Loch vom Pfad abkam und schließlich ertrank.“

      „Wir sollten die Wachen in dem Bereich verstärken. Bislang war es dort für Fremde unmöglich, auch nur einen Yard in das Sumpfwasser vorzudringen. Hier muss also jemand Verrat begangen haben, aber wenn der Bursche sein Vorhaben mit seinem Leben bezahlt hat, kann er zumindest auch nicht mehr reden. Sprecht mit Jory darüber, wenn er wieder zurück ist!“, sagte der Rote und wollte sich eben seinem Pferd zuwenden, als einer der Männer sich erkundigte:

      „Wohin ist denn Jory gegangen?“

      „Zum Schmied, es gibt wieder eine Lieferung.“

      „Aha. Er ist also nicht nach Colmin unterwegs?“

      Jetzt stutzte Baldwin und ging einen Schritt auf den Mann zu.

      „Warum sollte er nach Burg Colmin reiten?“

      Der Mann fühlte sich offenbar ertappt und sah verlegen zu Boden.

      „Ich warte auf eine Antwort!“

      „Ja, also – ich dachte es nur, weil er ... er hat mir von der Amy erzählt, die für ihn immer wichtige Mitteilungen hatte. Ihr wisst, die Schankmaid, die auch ...“

      „Danke, ich weiß, woher er die wichtigen Hinweise erhalten hat. Möchtest du mir noch etwas anderes mitteilen? Hat der Jory etwas mit der Schankmaid angefangen?“

      Der Mann sah kurz auf, senkte den Blick aber sofort wieder.

      „Nun, das – kann ich nicht sagen.“

      Der Rote musterte die Wache kurz, dann brummte er sich etwas in den Bart und schwang sich in den Sattel seines Tieres. Auch Morgan hatte seinen Rappen Blane bereits fertig, und gleich darauf fegten die beiden im Galopp über den Platz bis zum gegenüberliegenden Bereich des Sumpfes. Hier fielen die Pferde augenblicklich in den Schritt, und als ihre Hufe das Wasser berührten, übernahm der Rote die Führung, und ohne weitere Hilfe folgte ihm Blane. Morgan ließ ihn dabei gewähren, denn das kluge Tier wusste, wie es die Hufe setzen musste, um nicht in den sumpfigen Untergrund zu geraten.

      Bald darauf waren die beiden auf der Landstraße unterwegs, ritten nebeneinander und wirbelten eine mächtige Staubwolke auf. Nach wenigen Meilen hatten sie einen der alten, verfallenen Türme aus der Römerzeit erreicht, und hier bog der Rote, ohne sein Pferd zu zügeln, in einen schmalen Pfad ein, der direkt zu einem Dorf führte.

      Hunde bellten, und ein paar Hühner flatterten aufgescheucht davon, als die beiden Reiter über den Weg an den ersten Häusern vorbeistoben und erst an einer kleinen Kirche anhielten.

      Morgan hatte keine Ahnung, was sein Freund nun ausgerechnet hier wollte, aber er sollte nicht länger im Ungewissen bleiben. Der Rote sprang aus dem Sattel, und als ihm Morgan folgte, öffnete sich die Kirchentür, und ein ehrwürdiger alter Mönch trat heraus. Sein Kopf glänzte in der herbstlichen Sonne wie poliert, weil er nicht ein einziges Haupthaar mehr besaß. Dafür spross sein weißes Barthaar umso besser. Der Mönch trug seinen Bart bis auf die Gürtelschnur herunter, mit der er seine armselige Kutte zusammenhielt.

      „Laudetur Jesus Christus – gelobt sei Jesus Christus!“, begrüßte der Rote Jäger den Mönch, der ihm freundlich zunickte und antwortete:

      „Per omnia saecula saeculorum – von nun an bis in Ewigkeit!“

      „Amen!“, erwiderte der Rote.

      Morgan kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn auf diese Weise grüßte man sich durchaus im Land, aber die Antwort lautete dann für gewöhnlich „In aeternum. Amen“, wenn man sich der lateinischen und nicht der englischen Sprache bediente. Die veränderte Grußformel war üblich unter Priestern, und Morgan wunderte sich über seinen alten Waffengefährten, der einst beim Angriff auf die Stadt Akkon verwundet und später für tot erklärt wurde, auch wenn man seine Leiche auf dem Schlachtfeld nicht mehr fand (vgl. Schwert und Schild – Sir Morgan, der Löwenritter # Band 2: Das Massaker von Akkon).

      „Mein Freund Morgan, Ihr werdet schon von ihm gehört haben, Vater, und den Rest erzähle ich Euch in der Kirche. Es könnte sein, dass die Wände hier Ohren haben.“

      Freundlich lächelte der Mönch zu dem hünenhaften, breitschultrigen Mann mit den rotblonden Haaren hinauf. Für einen kurzen Moment hatte er gestutzt, als er in das von der Sonne noch immer gebräunte Gesicht des Ritters geschaut hatte, aber dann war er unsicher geworden.

      Das Geheimnis sollte rasch gelüftet werden, als der Rote dem Mönch Alun über die Herkunft seines Freundes berichtete.

      „Sir Morgan of Launceston – ich hatte Euch also richtig erkannt. Mein Gott, ist das eine lange Zeit, dass ich Euch gesund auf Eurer Burg erlebt habe! Ihr werdet Euch nicht mehr daran erinnern, denn ich war nur ein einfacher Mönch im Gefolge des Bischofs und zu Gast bei Eurem Vater zum Osterfest!“

      „Doch, Vater Alun, daran erinnere ich mich wohl. Ich habe Euch nach dem Sinn des Osterfestes gefragt und wollte wissen, warum man dazu ein Lamm isst, wo doch das Lamm das Zeichen für Christi ist.“

      Der Mönch schmunzelte.

      „Daran könnt Ihr Euch erinnern, Sir? Ich bin geschmeichelt!“

      Die Männer nahmen in der einfachen Holzkirche vor dem Altar auf dem Fußboden ihren Platz ein. Dabei bemerkte Morgan zum ersten Mal, wie armselig diese Kirche tatsächlich war, denn der Boden bestand nur aus festem, gestampften Lehm. Der Altar bestand aus einem großen Findling, und bei dessen Anblick vermutete der Ritter, dass die Kirche um diesen Stein gebaut wurde. Darüber hing von der Decke herunter an zwei kräftigen Ketten ein sehr großes Kreuz. Ganz im Gegensatz zu der ärmlichen Umgebung schien dieses Kreuz von höchster künstlerischer Qualität zu sein. Morgan konnte vom Leidensgesicht des Gekreuzigten keinen Blick abwenden, so lebensecht wirkte die geschnitzte Figur.

      „So etwas habe ich noch nie gesehen, Vater Alun!“, sagte er schließlich mit vor Ehrfurcht gedämpfter Stimme.

      „Das glaube ich wohl, Sir!“, antwortete der Mönch und drehte sich halb zu der fast lebensgroßen Christusfigur herum. „Das Kreuz ist schon sehr, sehr alt und stammt aus einer alten Meisterschule. Ich habe es als junger Mann in Italien entdeckt und alles dafür getan, es nach England zu bringen.“

      Bei diesen Worten war Morgan einen Schritt näher herangetreten, um die Figur genauer anzusehen.

      „Es wirkt, als würde der Heiland dort leibhaftig sein, und nicht, wie aus dem Holz gehauen. Aber was mich am meisten verwundert, Vater, ist die Tatsache, dass er bekleidet ist und nicht nur ein Lendentuch trägt, sondern eine richtige Tunica manicata.“

      „Es ist eine besondere Schule, wie ich schon sagte, Sir. Wir nennen sie die Volto-Santo-Schule, die direkt auf das Heilige Kreuz zurückgeht. Christus ist hier auf besondere Weise dargestellt, wie Ihr das sofort und ganz richtig verstanden habt. Und ich darf wohl anmerken, dass unser Herr hier nicht mehr leidend ist, sondern der Triumphator, der uns mit offenen Augen ansieht.“

      „Jetzt verstehe ich, warum du mit mir hierher geritten bist, Baldwin. Das Kreuz ist unglaublich schön!“

      Morgan kniete davor, sah dem Gekreuzigten direkt ins Gesicht und betete rasch insgeheim seinen innigsten Wunsch.

      Die beiden anderen schwiegen in diesem Augenblick, und erst, als sich Morgan mit strahlendem Gesicht zu ihnen herumdrehte, antwortete der Rote:

      „Du irrst, Morgan. Das Kreuz ist nicht der wahre Grund. Es gehört dazu, aber hier gibt es viel mehr zu bereden. Vater Alun?“

      „In hoc signo vinces – in diesem Zeichen werdet Ihr siegen!“, antwortete er. Dann erhob sich der alte Mönch etwas schwerfällig, ging zur schlichten Kirchentür und schob einen kräftigen Riegel davor. Gleich darauf eilte er zurück zum Altar, trat hinter das Holzkreuz, und Morgan vernahm das Geräusch, das beim Öffnen einer Holztür mit rostigen