Wilfried Krusekopf

Einfach segeln


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Auf- und Abwärtsbewegung des Bugs ist an Schlafen nicht mehr zu denken. Die besten Schlafplätze sind – wenn denn vorhanden – im Salon, da sie nah am horizontalen und vertikalen Drehpunkt des Schiffes liegen. Auch die Achterkajüten sind in bewegter See meist kein guter Schlafplatz. Die Frage ist nur, ob denn bei der Raumaufteilung unter Deck überhaupt vorgesehen wurde, im Salon schlafen zu können? Die Mehrzahl der heute neu gebauten 40-42-Fuß-Yachten hat nahe am Drehzentrum, also im Salon, keine Liegemöglichkeiten für eine Person von mehr als 1,6 m Größe. Es gibt zwar Drehsessel, Sitzbänke, halbrunde Sofas, nur keine schlafgeeigneten Seekojen. Und von Leesegeln gar nicht zu sprechen. Dahinter steht die nicht ganz unrichtige Überlegung, dass ohnehin die allermeisten Crews nachts im Hafen oder vor Anker schlafen. Nur gilt das eben nicht für den reiseorientierten Fahrtensegler.

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      Sessel im Salon statt Sitzbank, die auch als Seekoje nutzbar wäre.

      Dass auf vielen neuen Yachten der Kartentisch – falls überhaupt noch vorhanden – zu einem minimalisierten Vielzweckbrettchen verkommen ist, wird inzwischen schon von vielen Seglern als fast normal hingenommen. Schließlich gibt es ja den Kartenplotter oben in der Plicht am Steuerstand. Und das Radarbild, die AIS-Positionen eventueller Kollisionsgegner und sogar die Grib-Files für das Wetter kommen ja auch alle aus dem Bildschirm des Plotters. Ist das sinnvoll? Die Hafenhandbücher kann man ja auch schließlich am Salontisch lesen. Auf vielen Yachten ist das Minimalbrettchen zwar noch ausreichend groß, um einen Laptop abzustellen, doch um ihn sitzend auch benutzen zu können, muss der Skipper auf vielen Schiffen seinen Oberkörper wegen der ergonomisch wenig durchdachten Anbauposition so verdrehen, dass er vorsichtshalber die Telefonnummer eines guten Orthopäden aus dem nächsten Hafen gespeichert haben sollte.

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      Große Fenster im Rumpf, nahe der Wasserlinie.

      Auch über die immer größer werdenden Fensterflächen, die je nach Mode mal schmal, mal breit, mal rund, mal eckig, bei fast allen modernen Yachten oft bedrohlich nahe der Wasserlinie in die Bordwand eingesetzt werden, lässt sich diskutieren. Die Fenster sind heutzutage allesamt von außen eingeklebt. Unter mitteleuropäisch nicht extremer UV-Belastung hält der Kleber auch sehr lange. Wird eine solche Yacht aber viele Jahre lang in tropischen Gewässern gesegelt, ist die Haltekraft des Klebers bald dahin, und es kann in bewegter See (Atlantikwelle) zu einem schweren Wassereinbruch kommen. Hinzu kommt, dass sich bei zahlreichen großen Fenstern der Innenbereich der Yacht in sonnenreichen Segelrevieren extrem aufheizt, was oft nicht einmal mit geöffneten Luken ausgeglichen werden kann. Ebenfalls abzulehnen sind Decksluken, die mit Rücksicht auf den sonnenbadenden Teil der Crew so perfekt bündig ins Deck eingesetzt wurden, dass sie nach einem Regenschauer nicht mehr geöffnet werden sollten, weil sich sonst das um den Rand angestaute Wasser auf den Salontisch ergießt. Decksluken sollten aus diesem Grund etwas nach oben hochstehend ins Deck eingebaut werden.

      Daneben sind Skipper und Crew in bewegter See für jeden festen Griff und jeden Handlauf dankbar, der verhindern kann, dass man rutscht oder stürzt. Das gilt sowohl an Deck als auch unter Deck. Ebenso auf der Toilette. Wenn man sich unter diesem Gesichtspunkt die neueren Yachtkonstruktionen ansieht, stellt man leider oft fest, dass viele Werften tatsächlich ihre Schiffe nur für ruhiges Wetter gebaut haben. Das gilt auch für die Einbauten unter Deck wie Pantry, Salontisch, speziell an den Ecken der Einbauten unter Deck: Wenn nicht nur bei ruhiger See gesegelt wird, so ist es – selbst bei vorhandenen Handläufen – fast unvermeidlich, hin und wieder irgendwo mit dem Körper anzuecken. Wenn man sich aber die betont eckig-modische Bauweise des Innenausbaus der meisten neuen Yachten anschaut, dürfen wohl Zweifel angemeldet werden hinsichtlich der Seetauglichkeit in bewegter See.

       Fragwürdige Entwicklungen in der Ausrüstung

      Eine direkte Konsequenz immer längerer Rümpfe ist natürlich die notwendige Vergrößerung der Segelflächen. Eine 50-mimage-Genua einer 44-Fuß-Yacht lässt sich gerade noch mit einer manuell betriebenen Mehrgangwinsch dichtholen, wenngleich auch nicht von jedem Crewmitglied. Ab einer 50-Fuß-Yacht wird dafür ein sehr gut trainierter Mann benötigt. Folgerichtig reagiert die Ausrüstungsindustrie mit Elektrowinschen, die das Dichtholen und neuerdings sogar das Fieren auf Knopfdruck erledigen. Problematisch ist bei Elektrowinschen, dass im Gegensatz zu einer manuellen Winsch bei der Bedienung kein Gefühl mehr für die Dosierung der Kraft vorhanden ist. Manche Winschen sind so stark, dass sie Beschläge ausreißen oder gar ein Segel zerreißen können. Wie paradox diese Entwicklung sein kann, konnte ich vor einiger Zeit auf einer voll elektrifizierten 56-Fuß-Yacht sehen, auf die ich von ihrem betont sportlichen Eigner zur Besichtigung eingeladen wurde: In die großvolumige Achterkajüte hatte er ein komplettes Fitnessstudio einbauen lassen. Aber nicht etwa, um die Schoten mit besserer Muskelkraft dichtholen zu können, denn alle Winschen waren elektrisch angetrieben.

      Thema Navigation: Mit der Einführung des GPS als Navigationshilfe auf See wurde in den 90er-Jahren eine wahre Revolution am Kartentisch ausgelöst. Auf Knopfdruck die Schiffsposition ermitteln zu können, bei jedem Wetter und an jedem Ort, das war die Erfüllung eines langgehegten Traums eines jedes Navigators. Ohne Frage wurde durch dieses geniale Navigationswerkzeug die Schiffssicherheit erheblich gesteigert, und in der Tat gingen nach flächendeckender Einführung des GPS die Zahl der Havarien, Seenotfälle und Totalverluste jahrelang deutlich zurück. In der Kombination mit AIS wurde diese positive Entwicklung weiter gesteigert.

      Wie ist es dann aber zu verstehen, dass beispielsweise die Zahl der Havarien durch Grundberührung (Auflaufen auf Felsen und Sandbänke) nach einer Statistik der schwedischen Behörde für Schiffssicherheit aus dem Jahr 2017 in den letzten Jahren wieder deutlich gestiegen ist? Eine Untersuchung der Havarie-Ursachen hat ergeben, dass es sich überwiegend um »programmierte« Unfälle gehandelt hat. Programmiert, weil die Skipper allzu unbedacht ihren Kartenplotter mit dem Autopiloten gekoppelt hatten und dann per Wegpunktnavigation unkritisch und ohne Konzentration auf navigatorisch wichtige Details ihr Schiff »automatisch« auf einen Zielpunkt zufahren ließen, ohne in der Planung zu bemerken, dass auf dem Weg zum Zielpunkt eine Untiefe lauerte. Das Problem entsteht dadurch, dass auf dem Display eines Kartenplotters der mit Vektorkarten programmiert ist nicht in jedem Zoombereich alle Details der Karte mit eingeblendet werden können. Bei kleinem Maßstab werden Detailinformationen ausgeblendet, die erst dann auf dem Bildschirm sichtbar werden, wenn auf einen entsprechend größeren Maßstab gezoomt wird. »Das weiß doch heute jeder Skipper«, wird der Leser einwerfen. Nun, wenn die richtige Bedienung des Kartenplotters tatsächlich so selbstverständlich wäre, dann wäre die Vestas im Volvo-Ocean-Race 2014–15 mit professioneller Besatzung nicht mitten im Indischen Ozean auf ein Korallenriff gekracht. In der Tat hatte der Profi-Navigator den Fehler gemacht, über viele Tage und Nächte hinweg einfach nur dem Kurs nach Plotter zu folgen, ohne zwischendurch immer mal wieder in einen größeren Maßstab hinein zu zoomen, um zu prüfen, ob denn nicht vielleicht ein Korallenriff auf der Kurslinie liegt. Mit einer Papierkarte wäre das nicht passiert.

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      Kleine, aber gefährliche Untiefe in offener See, auf dem Plotter leider nur gezoomt sichtbar.

      Aufschlussreich sind auch die Statistiken der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger aus den letzten Jahren: Von 2012 bis 2018 ist die Zahl der Skipper, die aus einer Situation der Orientierungslosigkeit (Schiffsposition unbekannt) auf See gerettet werden mussten, um 50 % gestiegen (s. Yacht 25 / 26, 2018).

      Zugegeben, diese Probleme entstehen nicht durch den Kartenplotter als solchem, sondern durch falsche Bedienung. Nur wird der naive, blauäugige Umgang mit dem Plotter durch die ignorierte Papierkarte begünstigt. Er verführt dazu, die eigenen Sinne immer weniger zu benutzen und auf eine gründliche Navigationsausbildung zu verzichten. Die menschlichen naturbezogenen Wahrnehmungsfähigkeiten verkommen zunehmend (Alternativen s. Kapitel 4).