die 40 Fuß. Doch wurde nach seinem ersten Eindruck sein Budget damit überzogen. Die Kinder, 15 und 16 Jahre alt, würden gern Freunde mit aufs Boot einladen und waren daher eindeutig für die große 45-Fuß-Yacht mit den zwei großen Achterkabinen.
Die Entscheidung wurde vorerst aufgeschoben. Die Familie einigte sich darauf, vor der Kaufentscheidung in jeder der drei in Frage kommenden Bootsgrößen zuvor einen Chartertörn zu segeln.
Mit der Segelwoche als Familie auf einer tatsächlich nagelneu in die Charterflotte übernommenen 34-Fuß-Yacht in Kroatien begann eine steile Lernkurve: Schon der erste Eindruck war zwiespältig. Zwar war das Schiff schick und sauber, aber in den Kabinen roch es intensiv nach Styrol, einem Lösungsmittel, das sehr langsam aus dem Polyester eines neu gebauten Rumpfes ausdampft. Dies sei normal, meinte der Vercharterer, schließlich sei die Yacht brandneu. Lüftung half ein wenig, aber als es dann zwei Tage regnete und damit die Belüftung schwierig wurde, war es drinnen kaum auszuhalten. Schließlich wurde das Wetter besser, der Wind frischte auf und endlich konnte ein längerer Schlag gesegelt werden, aber echter Segelspaß kam dennoch nicht auf: Die Doppelruderanlage war sehr schwergängig, die Genua konnte hoch am Wind nur von einem Muskelprotz dichtgeholt werden, weil die Winschen in Bezug zur großen Segelfläche viel zu klein waren, und als dann in einer Böe die Hälfte der im Salon verstauten Sachen durch die Gegend flog, weil bei der Krängung die Verschlüsse der luvseitigen Schapps aufsprangen, begannen die Zweifel, ob denn schick und neu immer auch gut ist. Immerhin brachten zwei ruhige Nächte vor Anker in einer wenig besuchten Bucht die erhoffte Entschleunigung, was man vom letzten Abend in der lauten, rappelvollen Marina nicht sagen konnte. Im darauffolgenden Herbst wurde der zweite Versuch gestartet. Thomas hatte ein sehr attraktives Nachsaison-Charterangebot an der Côte d’Azur gefunden: eine etwa drei Jahre alte, 49 Fuß große Jeanneau mit vier Doppelkabinen, vier Nasszellen, einer riesigen Pantry. Insgesamt also richtig komfortabel für seine vierköpfige Familie, wenngleich doch ein bisschen groß. Aber ein befreundetes Seglerpaar ließ sich ebenfalls für den zweiwöchig geplanten Törn an der Côte d’Azur begeistern, was ja auch unter Kostengesichtspunkten von Vorteil war. Vor dem Törn hatten sich alle zusammengesetzt, ihre Wünsche und Erwartungen an den Törn besprochen und überlegt, wie denn alle Erwartungen unter einen Hut gebracht werden könnten. Thomas hielt sich erst einmal zurück mit seinem Wunsch, bis nach Korsika und zurück zu segeln, denn er wollte nicht gleich einen Konflikt riskieren. Die anderen waren sich einig, dass sie ganz entspannt die Küste entlang zwischen Toulon und Cannes segeln und abends in der Regel in einer Marina übernachten wollten. Eventuell zwischendurch ein paar Ankernächte in den Iles d’Hyères vor Porquerolles oder Port-Cros. Thomas fand diese Planung in Ordnung, erwähnte allerdings dann doch beiläufig, dass bei zwei Wochen Charterzeit vielleicht – günstige Wetterlage vorausgesetzt – auch ein kleiner Sprung nach Korsika und zurück machbar wäre. Als besonderen Köder, adressiert in erster Linie an seine Tochter und seinen Sohn, erwähnte er, dass in diesem Seegebiet zeitweise Pottwale gesichtet worden seien. Ein echtes Naturerlebnis im Blauwasser. Doch auch ohne Worte war aus der Mimik der beiden Frauen zu entnehmen, dass dies für sie wohl keine Priorität haben würde.
Die ersten drei Törntage verliefen zur Zufriedenheit von Crew und Skipper. Gutes Wetter, entspanntes Sonnensegeln, keine technischen Probleme und gutes Essen abends im Hafenrestaurant. Und als die Crew nach zwei sternenklaren Ankernächten vor Port-Cros nach wie vor gut gelaunt war, prüfte Thomas insgeheim für sich die Großwetterlage unter dem Gesichtspunkt, ob der Wind denn günstig bleiben würde für den 120-Meilen-Schlag bis Calvi auf Korsika. Die Isobarenkarten von Wetterzentrale.de machten Mut: Eine stabile Hochdrucklage über dem westlichen Mittelmeer war ein starkes Argument. Und mit Mistral war – zumindest in den folgenden sechs Tagen – nicht zu rechnen. Also aktivierte Thomas all seine rhetorischen und diplomatischen Fähigkeiten, erklärte der Crew die Großwetterlage und schaffte es mit einer überzeugenden Beschreibung der attraktiven historischen Altstadt von Calvi und den Naturschönheiten des Golfes von Porto tatsächlich, dass sein Vorschlag ohne Diskussion angenommen wurde. Das Wecken zwei Stunden vor Sonnenaufgang passte nicht so ganz in das Erholungskonzept eines Teils der Mannschaft, aber so würde es möglich sein, nur etwa eine bis zwei Stunden nach Sonnenuntergang in Calvi anzukommen. Thomas war begeistert. Das Marina-Badesegeln hatte erst einmal ein Ende und wurde endlich durch richtiges Seesegeln ersetzt. Leider bekam seine Segelbegeisterung schon auf der Hälfte der Strecke bis Korsika einen deutlichen Dämpfer durch die Tatsache, dass Sohn und Tochter und auch die zwei Segelfreunde recht arg seekrank wurden. Aber der »Point of no return« lag im Kielwasser und so wurden die verbleibenden 50 Meilen eben leidend ertragen. Drei der vier Seekranken hätten sich gern im Cockpit oder auch im Salon, nahe am Drehzentrum des Schiffes, lang gemacht, doch im Cockpit war in Lee und geschützt nahe am Niedergang unter der Sprayhood nur für einen Platz. Im Salon unter Deck gab es ärgerlicherweise auf der Leeseite überhaupt keine Koje, denn da war die Pantry in Längsrichtung eingebaut. Und von der Sitzbank in Luv würde der Ruhesuchende in der nächsten höheren Welle herunterfallen. Dass es keine Leesegel auf dem Charterschiff gab, war nicht weiter verwunderlich. Der Gang zur Toilette ist bei bewegter See nicht immer ganz einfach, denn gerade auf großen Yachten gibt es zwar viel Platz im Salon, nur leider kaum Möglichkeiten, sich festzuhalten. So holten sich denn auch beim Gang zum Örtchen einige Crewmitglieder etliche blaue Flecken, denn die Ecken von Tisch, Sitzbank und Pantry waren zwar markant mit schicken Leisten rechtwinklig eingefasst, nur leider nicht genügend abgerundet.
Von der Côte d’Azur nach Korsika.
Immerhin ermöglichte die tatsächlich sich stabilisierende Schönwetterlage zwei phantastische Tage und Nächte in den malerischen Buchten der Nordwestküste Korsikas, aber der Gedanke an die Rückfahrt lag einem Teil der Mannschaft quer im Magen. Was sich leider auch auf die Bordatmosphäre auswirkte.
Der 100-Meilen-Blauwasserschlag zurück nach Saint-Raphael gestaltete sich dann aber zum Glück doch entspannter als befürchtet, denn der Wind war schwach, der Seegang hatte nachgelassen, und es waren zwar keine Wale zu sehen, wohl aber ein gutes Dutzend Delphine, die stundenlang die Yacht begleiteten und die Besatzung bei guter Laune hielten. So waren kurz vor Mitternacht mit belegten Festmachern doch alle wieder voll zufrieden und durchaus auch etwas stolz auf ihre erste Blauwasserfahrt. Der Abstecher nach Korsika hatte aber doch gezeigt, dass die unterschiedlichen Erwartungen an den Törn die Bordatmosphäre zeitweise sehr belasten konnten.
Klassische, perfekt restaurierte Yacht.
Ein Höhepunkt ganz anderer Art zeigt sich am nächsten Tag in der Bucht von Saint-Tropez: Drei majestätisch große, aber durch die langen Überhänge dennoch elegant schlanke Yachten mit gigantischem Rigg, ziehen dicht beieinander segelnd erhaben durch die Bucht: Endeavour, Ranger und Shamrock V, ehemalige America’s-Cupper von Camper & Nicholsons aus den 30er-Jahren, die jedem historisch interessierten Seesegler Tränen in die Augen treiben.
Als ob Rasmus unserer Chartercrew zum Abschluss doch noch einmal zeigen will, wer denn eigentlich das Sagen hat auf See, verkündet Météo France am vorletzten Abend über den UKW-Seewetterbericht eine Starkwindwarnung – klassische Mistral-Lage: Zwischen einem Tief über dem Golf von Genua und einem sich verstärkenden Hoch über den Balearen sind 7–8 Bft., evtl. Böen mit 9 Bft. aus Nord für übermorgen und die folgenden Tage angesagt. Das hätte die Stimmung zum Törnende garantiert verhagelt.
Aus der Geschichte wird deutlich, wie verschieden die Motivationen sein können, in der Freizeit zur See zu fahren. Wenngleich es natürlich zahlreiche weitere Gründe gibt, vom Landlebewesen zum temporären Wasserbewohner zu wechseln.
Die Segler teilen sich selbst gern in zwei Kategorien ein: die Fahrtensegler und die Regattasegler. Während die Letzteren die sportlich-konkurrenzorientierte Auseinandersetzung auf geschwindigkeitsoptimierten Booten suchen, bevorzugen es die Fahrtensegler – und um die geht es in diesem Buch in erster Linie – in entspannter Haltung zur See zu fahren.
Kontrast zum stressigen Alltag
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