Wilfried Krusekopf

Einfach segeln


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in den Vordergrund gestellt werden. Ein Großteil der Freizeitsegler sucht zuerst einmal einfach Stressabbau und Entschleunigung. Die Gedanken des Landes bleiben an Land. Er und sie nutzen das Boot in erster Linie für einen radikalen »Tapetenwechsel«, um gedanklich das oft stressige Alltags-Landleben hinter sich zu lassen. Das beginnt schon mit der Törnplanung. See- und Hafenhandbücher werden gelesen, Wetterberichte analysiert und Ausrüstungslisten gecheckt. An Bord wird anschließend der direkte, positiv erlebte Zusammenhang zwischen Törnvorbereitung, Tätigkeit als Skipper oder Crew und erfolgreich gesegeltem Törn erkennbar. Ganz im Gegensatz zum oft durch Entfremdung geprägten beruflichen Alltag vieler Menschen.

      Leider wird dieses positive Erlebnis hin und wieder durch technische Pannen oder menschliche Probleme in der Crew etwas getrübt. Doch diese Risiken lassen sich minimieren: Je mehr komplexe Technik an Bord verbaut ist, umso höher ist auch das Risiko des Nicht-Funktionierens. Die Forderung nach funktioneller Einfachheit in der Konzeption des Bootes genauso wie bei der Ausrüstung ist daher einleuchtend. Bezüglich des Konfliktrisikos in der Crew ist ebenso klar, dass dies mit der Crewgröße steigt. Also kurz gesagt: einfaches Boot und kleine Crew.

       Realität gestalten und erleben

      Unser Leben ist immer stärker von abstrakten, zum Teil rein virtuellen Vorgängen oder Tätigkeiten geprägt. In Zukunft noch stärker als heute schon. Künstliche Intelligenz wird uns in manchen Bereichen Analysen und Entscheidungen abnehmen oder sogar aufzwingen. Demnächst werden wir »autonom« Auto fahren. Das Entscheiden und die Verantwortung werden dem Computer übergeben.

      Nur wenige Menschen haben das Glück, selbst entscheiden zu können, was sie wie wann tun wollen. Und das Produkt ihrer beruflichen Arbeit wird nicht mehr direkt erlebt. Positive oder negative Konsequenzen des eigenen Handelns sind oft nicht mehr für den Handelnden erkennbar. Der Tischler, der einen Schrank baut, sieht sofort die Konsequenzen jeder seiner Handbewegungen. Hingegen erlebt der Bankangestellte, der am Computer Buchungsstatistiken auswertet, in der Regel weder kurz-, noch mittel- oder langfristig die Auswirkungen seines Handelns. Das ist beim Segeln in der Tat anders.

      Auf dem Segelboot ist das Verhältnis zwischen ausgeführter Tätigkeit und sich daraus ergebender Konsequenz, positiv wie negativ, in der Regel sehr direkt erlebbar: Die frühzeitig getroffene Entscheidung, beim Heraufziehen einer dunklen Wolkenwand am Horizont ein zweites Reff einzubinden, wird direkt belohnt mit angenehmerem Segeln im Starkwind. Was aber natürlich auch andersherum gilt: Der Skipper, der sich naiv optimistisch sagt »Es wird schon gutgehen!«, um so lange wie möglich das Geschwindigkeitspotenzial des Schiffes auszureizen, wird höchstwahrscheinlich von der Natur bestraft. Denn wenn erst einmal die ersten Regenböen mit 7 oder 8 Bft. ins Rigg einfallen und die bis dahin voll gefahrene Segelfläche unter Starkwindbedingungen reduziert werden muss, wird es in der Regel stressig. Nicht selten funktioniert dann die meist so hoch gelobte, mit allen Leinen ins Cockpit geführte Refftechnik plötzlich nicht mehr, weil irgendeine Leine in der fliegenden Gischt an einem Umlenkblock einen Kinken gebildet hat und somit ein Crewmitglied in der schweren See ohne Routine an Deck muss, um das Reff einbinden zu können. Hoffentlich hat er seinen Lifebelt eingepickt!

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      Reff 2 im Groß bei Starkwind auf hoher See.

      Segeln bedeutet, die Situation selbst zu analysieren, die Handlungsmöglichkeiten selbst einzuschätzen, die der Situation angemessene Handlung selbst zu entscheiden, diese selbst auszuführen oder durch die Crew ausführen zu lassen und dann schließlich auch für die richtige oder falsche Entscheidung sehr schnell und direkt von der Natur und dem Bootsverhalten belohnt oder bestraft zu werden.

      Wer segeln geht, will Realität erleben. Virtuelles haben wir an Land genug um uns herum …

       Die ästhetische Seite des Segelns

      Viele Fahrtensegler suchen in erster Linie Naturnähe. Ruhe und Entschleunigung vom Alltag in einer nur wenig vom Menschen geprägten Umgebung sind wesentliche Ziele. Ein einsamer Ankerplatz ist ihnen mehr wert als eine an Infrastruktur reiche Marina mit Duschen und Shoppingmeile. Und wenn der Wind abflaut, wird nicht gleich der Motor gestartet, sondern mit der größtmöglichen Segelfläche möglichst lange auch der letzte Hauch von Wind genutzt, um weiterzukommen. Auch wenn es nur noch mit 1–2 Knoten weitergeht. Allerdings nicht aus ökonomischen Gründen, sondern aus der ästhetischen Freude an der Bewegung des Segelbootes im Wind, sanft durch das Wasser zu gleiten oder auch kraftvoll hoch am Wind durch die hohe Windsee zu stampfen. Der Alptraum eines solchen Seglers sind Motorboote, die mit viel zu geringem Abstand bei Schwachwind vorbeidonnern.

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      Imposanter Regenbogen auf See kurz vor Sonnenuntergang.

      Der Segel-Ästhet verfolgt die Veränderungen der Wolkenformationen nicht nur, weil sie Aufschluss geben über die Wetterentwicklung, sondern auch – und vielleicht sogar in erster Linie – in einer Art kontemplativer Meditation, weil er sie einfach schön findet. Genauso erlebt und genießt er das bewegte Gleiten durch die See, die Wellenbilder und die Lichtreflexionen an der Wasseroberfläche. Lichterscheinungen sind ohnehin ein ganz wesentliches Erlebnismoment auf See. Der Halo-Ring um die Sonne herum als Hinweis auf höhere Luftfeuchtigkeit in der oberen Atmosphäre ist auch ohne meteorologisches Hintergrundwissen ein Augenschmaus. Und wer sieht schon an Land einen vollständigen Halbkreis als Regenbogen? Auf See ist das keine Seltenheit. Nach manch einem kräftigen Regenschauer in der Ferne kann ein Wassersportler sogar manchmal einen doppelten Regenbogen sehen. Und für Segler mit Sinn für die Schönheit der maritimen Umgebung ist kein Sonnenuntergang wie ein anderer. Es gibt sogar Segler, die sammeln Sonnenuntergangsfotos.

      Apropos Schönheit: Seltener unter den Charterseglern, aber umso verbreiteter unter den Eignern ist natürlich der Genuss beim Betrachten des eigenen Bootes. »Was ist das doch für ein schönes Boot!«, sagt sich insgeheim so manch ein Segler, wenn er mit dem Beiboot von Land zurückkommt und sein Boot aus einigen Metern Abstand bewundert. Da darf das ganz spezielle Holzpflegemittel für die Zierleisten auch gern mal etwas teurer sein … Und wo kann man sein eigenes Schiff am besten aus allen Perspektiven betrachten? Natürlich an einem ruhigen Ankerplatz.

      Nur mit der Ruhe gibt es dort leider ein zunehmendes Problem. Die Zahl der Ankerbuchten ist nun mal begrenzt. Hingegen scheint die Zahl der Boote auf dem Wasser in manch einem beliebten Revier fast grenzenlos zu steigen. Darüber hinaus sind speziell im Mittelmeer in der Hochsaison die Marinapreise derartig hoch, dass sich viele Segler oft für das Übernachten vor Anker entscheiden. Dummerweise berücksichtigen viele dabei aber nicht, dass ein für das Wohlbefinden wünschenswerter Abstand zum Nachbarn eingehalten werden sollte. Ganz zu schweigen von alkoholgeprägten Ankerpartys, die manch eine Ankerreede in eine Diskothek verwandeln.

       Segeln als gesellschaftliches Erlebnis

      Nicht jeder Segler sucht Einsamkeit. Für manch einen kann Einsamkeit auf dem Boot sogar beunruhigende, ja bedrohliche Züge annehmen. Eine Einhand-Atlantiküberquerung ist mit Sicherheit nicht der Traum eines jeden Fahrtenseglers. Viele fühlen sich als Teil einer eingespielten Besatzung wohler als allein mit dem Skipper oder gar völlig allein und suchen an Bord wie auch im Hafen eher Geselligkeit. Segelvereine und Regatta-Veranstaltungen können dafür die gesuchte Umgebung bieten. Etwas überraschend erscheint allerdings in diesem Zusammenhang, dass trotz steigender Zahl von Segelscheininhabern die Mitgliederzahlen in vielen Segelclubs sinken. Es gibt einerseits immer mehr Segler, doch treten prozentual immer weniger in einen Segelverein ein, wenngleich der seglerische Gedanken- und Erfahrungsaustausch sicherlich in einem Segelclub mit Gleichgesinnten besonders leicht wäre. Eine Folge des Informationsangebotes im Internet?

      Mit zunehmender Erfahrung und dem einen oder anderen Törn hinter den Horizont wächst in manch einem Fahrtensegler der Traum oder gar reale Wunsch nach einer Atlantiküberquerung. Doch erfordert eine solche mehrwöchige Ozeanreise langfristige, intensive Vorbereitung