schien der schwarzhaarige Hüne auf die Größe einer Wüstenrennmaus geschrumpft, wie er da mit seinen Fingerkuppen nervös auf dem Griffstück seines Krummschwertes herumtippelte.
»Ich weiß nicht, wie viel die Älteste dir über das kommende Wasserritual erzählt hat …«, begann Jharrn seine Ansprache, als wollte er mit den Zeltleinen sprechen.
Dann folgte eine ganze Weile wieder Stille … und so blieb es nun doch an mir, meine Sprache wiederzufinden.
»Im Grunde hat sie mir nur gesagt, dass ich ab heute wieder bei den Wasserdiebstählen mitwirken darf. Also …«
Ich löste die Eingangsplane aus der Halterung und ließ sie über die offene Zeltfront sinken, um dem Gespräch eine offenere Note verleihen zu können. Zwar war mir bei dem Gedanken nicht wohl, allein mit Jharrn – zudem nur halb bekleidet – in einem Zelt tiefgründige Gespräche zu führen, doch blieben mir aufgrund seiner Machtposition ohnehin kaum Wahlmöglichkeiten oder Entscheidungen über die Gesprächssituation offen. Der düstere Tonfall jagte einen zusätzlichen Schauer über meinen Rücken. Ein ungutes Gefühl, schon bald einem größeren Unheil gegenübertreten zu müssen.
»Weshalb bist du hier? Ich meine … Ist etwas vorgefallen? Etwas, das unsere Wasserrituale betrifft?«
Jharrns Kopf wandte sich kaum merklich zur Seite und offenbarte einen Teil der unversehrten Gesichtshälfte, als spielte er mit dem Gedanken, einen Blick in meine Züge zu wagen.
»Als Vorfall würde ich es nicht direkt betiteln, doch handelt es sich um unleugbare Tatsachen«, konstatierte er leise. »Höchstwahrscheinlich wird man dich nach dem Wasserdiebstahl darüber aufklären und dir die Einzelheiten berichten – was ich in Anbetracht der emotionalen Anspannung durchaus nachvollziehen kann. Der heutige Diebstahl wird uns mit den vergangenen Erlebnissen konfrontieren und mit großer Wahrscheinlichkeit die ureigenen Ängste in uns erwecken, denen es sich zunächst mit Mut im Herzen zu stellen gilt. Dennoch hatte ich gehofft, du wärst bereits im Bilde.«
»Im Bilde worüber?«
Grundgütige Epona! Welch ein verschwiegener Bastard!
Der schwach flackernde Funke der Panik in meiner Brust verwandelte sich blitzartig in einen ausgewachsenen Flächenbrand, den ich nicht einmal unter Mühen aus meinen Gedanken zu tilgen vermochte, der sich immer weiter auszubreiten und mich innerlich zu zerfressen drohte. Die Stammesälteste hatte am Vorabend nicht ein Sterbenswort über etwaige Katastrophen angedeutet, sondern über den Mut der Wasserdiebe gesprochen, über die Stärke einer Löwin und die Hingabe zur Berufung, die sie seit jeher in meinem Herzen zu sehen glaubte. Die Frau war weder der Unruhe verfallen, noch waren sonst düstere Zukunftsprognosen in die Luft gepinselt worden. Und nun?
Jharrns Worte ließen mich mehr und mehr an eine Fassade glauben.
»Was ist geschehen?«
Meine Stimme schraubte sich in ungeahnte Tonhöhen, als die eigene Panik mir Steuer wie Ruder aus den Händen entreißen wollte. Doch blieb der Wassermeister höchstselbst in eigenartiger Ruhe verhaftet und wandte sich schließlich in meine Richtung, um unter schwebenden Schritten an mich heranzutreten und derweil seinen stechenden Meisterblick durch meinen Körper zu jagen. Sein Ausdruck nagelte mich in der Bewegung fest, ja, ließ mich wie versteinert vor ihm stehen, obwohl ich meinen eigenen Blick nur allzu gern von seinen Zügen abgewandt hätte.
Dann war Jharrns vernarbtes Gesicht dem meinen sehr nahe.
Derart nah, dass sich unsere Nasen wohl berührt hätten, wenn sich der Wassermeister nur weiter zu mir herabgebeugt hätte.
»Jharrn …«
Ich schluckte.
Der unverkennbare Geruch von Eiter umwaberte den Körper des Mannes, der sich breitbeinig vor mir positionierte und nun seine Hände um meine Arme zu schließen begann. Wie ein Schraubstock legten sich seine Finger um meine zitternden Glieder, sodass ich die Nähe des Hünen nur mehr als bedrohlich zu empfinden vermochte. Mein Atem beschleunigte sich auf einen hektischen Rhythmus und rasselte hörbar aus den pumpenden Lungen, während ich den Schweiß förmlich über meinen Rücken rinnen fühlte und in den Händen des Meisters zu einer Miniaturversion meines Selbst zusammenschmolz.
»Es ist noch nicht geschehen«, flüsterte er und bedachte mich weiterhin mit eindringlichen Blicken. »Aber es wird definitiv geschehen, Nakhara. Aus diesem Grunde musste ich das Gespräch mit dir suchen, mich mit all meinen körperlichen Lasten vor dir zeigen und dich fragen, ob du mich überhaupt ansehen kannst.«
»Ich … ich kann, aaaa-aber …«
Meine Zunge stolperte mehrfach.
Doch Jharrn verstärkte den Druck auf meine Arme, schloss in scheinbaren Qualen das verbliebene Auge und sog mit tiefen Atemzügen Luft in seinen bebenden Brustkorb. Im Wimpernschlag eines Augenblicks schien der Mann meinen Duft in sich aufzunehmen, als hätte er eine seltene Wüstenrose gefunden und müsste sie nun in allen Facetten genießen. In seinem augenscheinlichen Rauschzustand blähte der Wassermeister seine Nasenflügel zu Pferdenüstern, rückte mit dem Oberkörper noch ein Stück näher und presste sich förmlich an meine Schlafgewandung.
Schockschwerenot!
In ebendiesen Momenten pulsierte eine mir bisher vollkommen unbekannte Art der Furcht durch meinen Körper, die mich hilflos in den Händen des Wassermeisters lehnen, die mich sogar vollkommen in meinen Bewegungen lähmte und mein Sichtfeld schwarz vor den Augen flackern ließ.
Oft schon war ich mit Jharrns Autorität konfrontiert worden. Zumeist ohne Furcht – lediglich mit Respekt.
Ein derartiges Verhalten wusste ich jedoch so gar nicht bei mir zu deuten und erlag erstmalig einem Gefühl der vollkommenen Panik.
»Ich will, dass du eines weißt, Nakhara«, raunte Jharrn mit düsterer Stimme. »Mögen wir uns so manches Mal wie Feuer und Wasser behandelt haben, einen Schaden würde ich dir niemals zufügen und dir keinerlei körperliche Schmerzen bereiten. Ich mag deine bissige Art nicht gut leiden, ertrage weder deine aufmüpfigen Kommentare noch Widerworte auf meinen Befehl – aber ein Leid würde ich dir nicht wünschen, Frau. Ich habe dein Leben bewahrt. Mein Gesicht war der Preis. Also hege ich noch eine gewisse Hoffnung bei mir, dass du dieses Opfer zu schätzen weißt und es uns beiden erträglich gestaltest.«
»Dass ich was erträglich gestalte?!«
Endlich setzte mein Verstand seine Dienste fort und sandte einen Impuls an meine Arme, die Jharrn in einer ruckartigen Bewegung von mir stießen. Der Wassermeister taumelte trotz der enormen Krafteinwirkung kaum ein paar Schritte nach hinten, wankte aufgrund einer Teppichfalte am Boden in einen Ausgleichschritt und fing sich Sekundenbruchteile später an der Zentralstange des Nomadenzelts. Auf seinen zerstörten Zügen erschien eine Form der Empörung, so man die Muskelbewegung noch in irgendeiner Weise zu interpretieren wusste. Er sammelte sich in einer aufrechten Haltung und musterte mich wie ein Stück Vieh zum Verkauf.
Ich kam nicht umhin, meine Hände zu Fäusten zu ballen.
Zu gern hätte ich ihm die Zentralstange über den Schädel gezogen.
Niemals zuvor hatte ich mich von einem der Männer derart in körperliche und psychische Bedrängnis bringen lassen, mich stets den Situationen vor dem Entstehen entzogen und deutlich gemacht, in welcher Position ich mich vor den Herrschaften sah. Fürwahr, und obwohl die Männer sich vor bösen Zungen nicht scheuten, so hatten sie doch nie meine Grenze zu übertreten gewagt, niemals zuvor einen Finger gegen mich erhoben … oder mich gar berührt, mich bedrängt und bedroht – wie Jharrn es soeben zu versuchen riskierte. In meinen Zügen schien sich der gesamte Bluthaushalt meines Körpers zu sammeln, um selbst den dunklen Teint meiner Haut in ein erhitztes Rot zu tauchen.
Solch eine Wut! Auf Jharrn. Auf mich selbst.
So viele Fragen, die allesamt innerhalb weniger Herzschläge auf meinen Geist einzuprasseln schienen.
Weshalb ich ohne eine Regung vor ihm gestanden hatte? Weshalb es mich solche Mühen, ja, solch eine lange Zeitspanne gekostet hatte, mich aus Jharrns Bedrängnis