Sarah Skitschak

Die Rose im Staub


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bitten euch, gewährt uns Gnade …«

      Doch mir war bei den Worten meiner eigenen Mutter mit einem Male der Respekt vor den Inkantationen vergangen. Die Gebetswellen verwandelten sich in ein unklares Rauschen, das in der unklaren Artikulation an Bedeutung verlor und schließlich in meinen Ohren verlosch; verlosch wie das Feuer des Glaubens zuvor. Lediglich die letzten Worte der Hohepriesterin brannten sich mit aller Macht in meine Gedanken, ließen mich vor Schreck fast zusammenfahren und jagten meinen Puls in ungeahnte Höhen. Die Tempelanlagen schienen sich vor meinem Sichtfeld zu drehen, als ich die Worte im Geist erneut wiederholte und deren Bedeutung zu erfassen versuchte.

      Ob ich die Bitten an die Götter wohl recht verstanden hatte? Ob sie tatsächlich …?

      Mein Gefühl ertaubte und die Welt rückte fern.

      Säuberungen?

      Sie planen Säuberungen?!

      ***

      Die bunten Blütenköpfe des Priestergartens nickten sanft im Keim eines Luftzuges, der sich säuselnd seinen Weg durch die Säulengänge suchte und die fleischigen Blätter der Feigengewächse umspielte. Wie eine Fata Morgana flimmerten die Eindrücke des kleinen Paradieses durch die Sommerluft und trugen allerlei Düfte von Zitrusfrüchten oder Kräutern an mich heran, sodass ich einen tiefen Atemzug in meine Lungen strömen ließ und meine Gedanken für eine Weile zur Ruhe zwang.

      Nach den Zeremonienbitten war die Furcht einem rastlosen Folterknecht gleichgekommen.

      Säuberungen.

      Ein einziges Wort, das mir eiskalte Schauer über den Rücken zu jagen vermochte – selbst, da die Hitze unser Land mit Dürre und Wüstensand überzog. Ein einziges Wort, das so viele Assoziationen in mir erweckte und mich vor der zukünftigen Aufgabe furchtschlotternd in die Flucht zu schlagen vermochte.

      Ich wusste sehr wohl, welch Unglück die Formulierung verkünden wollte. Welch eine gewichtige Bedeutung dem Wort innewohnte.

      So hatte ich das Spektakel der Gläubigen ohne weitere Worte verlassen, war in die Gartenanlage des Priesterpalastes geflüchtet, bloß, um dort auf einer der Marmorbänke zu sitzen und meinen finstersten Ängsten zu erliegen.

      Säuberungen.

      Entgegen all meiner Mühen ballten sich meine Hände zu Fäusten und bearbeiteten mit nervösen Bewegungen die Leinentunika, die unter dem Brustpanzer meiner Soldatenrüstung lugte. Ich bohrte die Fingernägel in die Gewebestrukturen, presste den roten Stoff so fest als möglich zusammen und hielt mich daran fest, als könnte ich tatsächlich Halt an einem bedeutungslosen Kleidungsstück finden. Als wäre die Gewandung mein letzter Anker vor dem Wahn, ja, als könnte sie mich vor den Bildern des Schreckens bewahren, die im Rahmen der Säuberungen auf mich einprasseln würden. Als würde es etwas verändern.

      Die Wahrheit: Nichts und niemand würde mich vor diesen Bildern bewahren.

      Nicht einmal ich selbst. Ich war Soldat.

      Ich würde meine Hände im Blut der Namenlosen tränken, da die Zeit der Gräueltaten gekommen war und mich zur Pflicht meiner Berufsgruppe rief. Meine eigenen Hände würden das Leben der Stammesangehörigen aus deren Körpern reißen und ein Schwert durch ihre vermeintlichen Ketzerherzen stoßen, während sie den Dienst an ihren Göttern verrichteten. Allein, weil deren Götter nicht die unseren waren.

      Man hatte mir viele Geschichten über die Säuberungen erzählt. Als die Zeit der vergangenen Maßnahmen näher rückte und man von Säuberungszügen berichtete, da war es mir noch immer möglich gewesen, mich hinter dem Argument der Volljährigkeit zu verstecken und nicht mit den Soldaten durch die Tore der Stadt auf das Land der Namenlosen zu gehen. Doch nun lag der fünfundzwanzigste Lebenssommer bereits über ein Jahr hinter mir, ließ mir keinerlei Argumente, die mir gestatteten, mein größtes Geheimnis noch länger zu hüten.

      Die Säuberungen sollten es offenbaren: Es war mir nicht möglich, einen Menschen zu töten.

      Ich konnte nicht. Ich war schlichtweg nicht dazu in der Lage.

      Nicht, dass ich keinen Versuch gewagt hätte, mich mit dem Gedankengut meines eigenen Volkes anzufreunden oder die Heiligkeit hinter ihren Handlungen zu erfassen. Nicht, dass ich mich nicht unter ehrlichen Mühen zum Verständnis meiner Welt gezwungen hätte – nein, ganz im Gegenteil!

      Des Nachts erdachte ich mir zu Übungszwecken die verschiedensten Tötungsszenarien, erprobte mich an der unüberwindbaren Hürde meines Geistes und scheiterte selbst in meiner Vorstellungskraft an dem einen Moment, da mein Gegner das Leben aushauchen sollte. Ich konnte und wollte das dehnbare Moralgefüge meiner Welt nicht mehr verstehen, konnte und wollte niemanden aufgrund seiner Gesinnung töten oder ihm auf andere Weise Schaden zufügen.

      In einer Welt aus Privilegien, Privilegienwahrung und Mordlust … da schien mein Gedankengut einem gefährlichen Tanz auf Messers Schneide gleichzukommen.

      Säuberungen blieben die religiöse Tradition der Soldaten. Eine Tradition, die unsere Männer zu den Toren der Stadt hinausführte und in ihrer Vernarrtheit des Glaubens zwang, einen ganzen Reiterstamm zu Gefallen der neuen Götter zu meucheln.

      Ich wollte nicht an den Säuberungen teilnehmen … und doch wusste ich: Eine Wahl war mir nicht mehr vergönnt.

      Mit hämmerndem Schädel ließ ich meinen Blick über den Priestergarten schweifen, konzentrierte mich auf die wippenden Blütenköpfe und versuchte, die Sorge im friedlichen Anblick der künstlichen Oase zu ertränken. Wie ein Traumgebilde legte sich die Natur zwischen Marmormauern und täuschte über die Realität der Wüste außerhalb der Bereiche hinweg, als verleugnete sie vehement die Existenz von Sand, Tod und Staub. Da waren ganze Meere von Jasminbüschen mit weißen Sternen, deren Kelche aus der Entfernung bloß kleine Punkte auf den dunklen Hintergrund zauberten; zahlreiche Sukkulenten, die sich an die Füße steinerner Statuetten schmiegten und an den Bewuchs vor den Stadttoren erinnerten. In Leinen gehüllte Marmorfrauen, die sich mit Schalen über einen Zierbrunnen beugten. Unverhüllte Marmorfrauen, die in ebenjenem Brunnen zu baden schienen.

      Es erinnerte an ein menschengemachtes Paradies auf Erden.

      So ganz ohne Sorgen. So ganz ohne Not.

      Doch in diesen Minuten verwandelten sich die Eindrücke in ein schales Abbild des sonst so bunten Gemäldes, das sich zwischen den Säulenwüsten der Stadt erhob und mit süßen Versprechungen eines besseren Lebens lockte. Selbst die Düfte, die für gewöhnlich meine Sinne glückselig stimmten, verwehten zu einem traurigen wie farblosen Abdruck des Kleinods.

      So sehr ich mich zwang … vergessen konnte ich nicht.

      Mit gerunzelter Stirn beobachtete ich eine der Priesterinnen beim Wässern der Feigen; beobachtete ihren Weg von den Säulengängen bis hin zum Zierbrunnen im Zentrum des Gartens und vermochte nicht, ihr honigsüßliches Lächeln auf den Lippen nachzuvollziehen. In kindlicher Sorglosigkeit setzte sie ihre nackten Füße auf das Gras, tanzte förmlich durch den Hof und führte den mit Wasser gefüllten Scherbenkrug an jeden Feigenstamm. Das kühle Nass glitzerte in der Mittagssonne, wie es da an den Pflanzen hinunter zu rinnen begann. Wie von Tau beperlt schienen plötzlich die Blätter.

      Tau …

      Wohl ein fast vergessener Mythos.

      Die Priesterin selbst störte sich nicht an meinen Blicken, blinzelte ganz verzückt auf ihr Werk und wandte sich dann um die eigene Achse, um den Krug am Zierbrunnen erneut aufzufüllen. Ihre Hand tauchte in die schillernde Oberfläche und trieb eine Weile in der Schwerelosigkeit des Elements vor sich hin. Sie genoss den Moment, während ich die Welt im Stillen verfluchte.

      Ob ich mich wohl ähnlicher Unbeschwertheit hätte hingeben können, hätte ich nur meinen Glauben an die neuen Götter gefunden? Ob aus mir ein anderer Mensch geworden wäre, würde sich die Frage nach dem Sinn hinter den Dingen … ja, würde sich diese Frage nicht unablässig in meinen Geist bohren, mich quälen, mich foltern?

      Ein kurzer Augenblick, ein Wimpernschlag, ein Blinzeln des Kosmos, da ich Neid auf diese Person verspürte. Auf die Priesterin, deren