Arm brach und einige Monate aussetzen musste. 1851 wechselte er auf das humanistische Gymnasium in der Clausthaler Graupenstraße, das er bis zum Abitur besuchte. Höhere Schulbildung bedeutete dort vor allem eine Ausbildung in Sprachen, naturwissenschaftliche Fächer und Mathematik spielten im Lehrplan eine geringere Rolle.
Im Großen und Ganzen war Robert zwar wohl ein meist interessierter Schüler, zeitweise belegte er sogar freiwillig Hebräisch. Tatsächlich brillierte er aber während seiner Schullaufbahn nicht unbedingt durch herausragende Leistungen. In den Sprachen war er eher mittelmäßig, seine Begabungen lagen eindeutig in der Mathematik und den Naturwissenschaften. Darüber hinaus zeigte er Talent im Zeichnen, was ihm später beruflich nützlich war, und nahm bis zum Abitur am freiwilligen Kunstunterricht teil. Außerdem sang er im Schulchor, doch dies wohl mehr aus Spaß als aufgrund einer besonderen Musikalität. Er mochte Musik gerne und lernte auch Klavier und Zither zu spielen.
»Robert betrachtete schon von früher Jugend an die Natur mit dem Auge des Forschers.«
ROBERT BIEWEND
1862 beendete er das Gymnasium mit dem Abitur, in dessen Noten man nur mit viel gutem Willen und mit der Kenntnis von Kochs späterem Lebensweg die Anlage zum erfolgreichen Wissenschaftler erkennen kann. Religion, Latein, Griechisch, Französisch und Hebräisch beendete er mit einem teilweise gnädigen »befriedigend«, in Deutsch, Englisch, Geschichte und Geografie, Mathematik und Physik hingegen mit »sehr gut«. Über Robert Kochs lateinischen Abituraufsatz nörgelte der prüfende Konrektor mit unverhohlenem Missfallen: »Wie die Schularbeiten des Abiturienten Koch häufig, so ist auch dieser Aufsatz nicht mit der Sorgfalt und dem Fleiße gearbeitet, welcher einen erwünschten Erfolg solcher Übungen bedingen … Da jedoch bedeutende Fehler gegen die Grammatik nicht häufig vorkommen und die Arbeit Bekanntschaft mit der lateinischen Sprache im Ganzen zeigt, so kann sie noch als befriedigend bezeichnet werden.«
Die Koch-Jungen waren größtenteils lebhaft und ganz bestimmt keine zarten Stubenhocker. Robert war, so lässt sich vermuten, ein eher zurückhaltendes Kind, dessen »sittliche Aufführung« im Abiturzeugnis in der Schule als »sehr gut« und außerhalb der Schule als »ohne Tadel« bescheinigt wurde. Er war beliebt und gehörte als Primaner der »geheimen« Schülerverbindung »Concordia« an. Außerdem hatte er mit drei etwa gleichaltrigen, kräftigeren Brüdern und dem nur ein Jahr jüngeren Cousin Robert Biewend reichlich Rückendeckung, um sich sowohl in als auch außerhalb der Schule behaupten zu können.
In einer solch großen Familie ist es für ein Kind jedoch schwierig, sich von den vielen Geschwistern abzusetzen. Robert Koch fand seine besondere Begabung in der Entdeckung und Erforschung der Natur und ihrer Gesetze. Naturverbundenheit wurde bei den Kochs hoch geschätzt: Mathilde Koch liebte Tiere und Pflanzen und versuchte auch ihre Kinder dafür zu begeistern. Die Wiesen, der große Garten und die Ställe des Hauses am Kronenplatz boten den Kindern reichlich Möglichkeiten, die Natur hautnah zu erleben. Besonders interessiert war Robert, der mit großer Leidenschaft alles, was ihm unter die Finger kam, sammelte und mit neugieriger Akribie untersuchte: Pflanzen, Käfer, Schmetterlinge, Mineralien …
Hermann und Mathilde Koch (sitzend) sowie Helene Biewend (links stehend) mit ihren Kindern auf einem Familienfoto von Eduard Biewend vom Juni 1854. Robert steht skeptisch blickend neben seiner Mutter.
Mit Raupenschachtel, Käferglas, Botanisiertrommel und den damals brandneuen Naturkundebüchern von Johannes Leunis ausgestattet, ging er in der Umgebung auf Entdeckungsreise und lebte seine Faszination für Blütenformen, Mäuseskelette und gemusterte Steine mehr oder minder alleine aus. Vielleicht wirkte er damit auf seine Umgebung ein wenig eigenbrötlerisch. Andererseits war es gerade diese Fähigkeit zur Hingabe an ein Sujet, das anderen langweilig erscheinen mag, die ihm später in seiner Forschungsarbeit zum Erfolg verhalf und ihn als jungen Landarzt in der preußischen Provinz die langen, einsamen Stunden über dem Mikroskop gut ertragen ließ. Bei seinen Brüdern erntete er auf jeden Fall nicht besonders viel Verständnis für seine Interessen, mehr jedoch bei der vier Jahre jüngeren Emilie »Emmy« Fraatz. Die jüngste Tochter des Clausthaler Generalsuperintendenten Wilhelm Fraatz teilte Roberts Begeisterung und ging mit ihm zusammen auf Erkundung.
Robert Koch 1861 als 17-jähriger Primaner. Die Schule hätte er damals am liebsten für eine kaufmännische Ausbildung aufgegeben.
Die Erwachsenen unterstützten ihn jedoch so gut es eben ging im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten, damit er sich mit Büchern und Geräten eindecken, Aquarien und Terrarien einrichten konnte. Zeitweise züchtete Robert sogar in einer Volière Vögel. Die Katzen in der Nachbarschaft mussten sich damals vor ihm in Acht nehmen, denn mit potenziellen Vogelräubern ging er nicht zimperlich um. Sein Interesse für die Natur förderte zudem sein Großvater Andreas Biewend, vor dem die Koch’schen Kinder gehörigen Respekt hatten. Der strenge Patriarch hatte Mathildes Brüder so unerbittlich hart erzogen, dass diese sich geschworen hatte, ihre eigenen Kinder niemals so zu drillen. Der Großvater passte bisweilen auch längere Zeit auf Robert und seine Geschwister auf, und dann kam durchaus der Stock zum Einsatz – von zu Hause kannten sie das nicht. Darüber hinaus zwang der extrem ordentliche Bergbeamte mit unorthodoxen Methoden seine Enkel, die er reichlich verwildert und unerzogen fand, zum Lernen. Roberts jüngeren Bruder Hugo schikanierte er einmal in den Sommerferien mit dem Einmaleins: Eine ganze, »qualvolle«, wie sich Hugo später erinnerte, Woche lang sperrte er den damals Sechsjährigen täglich so lange in seinem Haus in Rothehütte ein, bis er die Zahlenreihen gelernt hatte.
»Bei Robert Koch traten schon früh Neigungen und Eigenschaften hervor, die auf den künftigen Naturforscher hindeuten.«
GEORG GAFFKY
Wahrscheinlich fürchtete sich Robert Koch als Kind ein wenig vor seinem Großvater, auf einer bestimmten Ebene kam er aber wohl ganz gut mit dem strengen alten Herrn aus. Andreas Biewend war durch seinen Beruf als Leiter der Eisenhütte in Rothehütte naturwissenschaftlich geschult, privat sammelte er Mineralien und Gesteine, interessierte sich für Pflanzen und Insekten, züchtete Bienen und Schmetterlinge und war ein begeisterter Gärtner. In dieser Hinsicht trafen sich die Interessen von Großvater und Enkel. Robert Koch half Andreas Biewend gerne beim Gärtnern und bei der Pflege der Bienenstöcke – in ihrer Liebe zur Natur lagen sie auf einer Wellenlänge. »Lieber Großvater, wie befindest Du Dich, wenn Du besser bist so erlaubst Du uns, daß wir Hundstage hinkommen; dann schlagen wir die weißen Schmetterlinge tod; aber wenn Du wieder herkommst; dann sollst Du unser kleines Theater sehen jeder von uns hat auch ein kleines Beet blos Helene nicht«, schrieb er ihm als Neunjähriger. Von seinem Großvater lernte Robert Koch sicherlich viel über die Gesetze der Natur.
Das Interesse für Naturwissenschaften und deren praktische Anwendung, den Sinn für technische Neuerungen und den Hang zum Tüfteln unterstützten hingegen sein Vater und sein Hamburger Onkel Eduard Biewend, der Vater seines Cousins Roë. Hermann Koch bemühte sich in seiner leitenden Stellung engagiert und durchaus erfolgreich, den Oberharzer Bergbau und die Verhüttungsprozesse technisch auf den neuesten Stand zu bringen. In seine Zeit als Bergrat fiel 1859 die Entdeckung des Neuen Lagers im Erzbergwerk Rammelsberg.
Anfang der 1860er-Jahre experimentierte Hermann Koch zusammen mit dem schwedischen Erfinder und Unternehmer Alfred Nobel in Oberharzer Steinbrüchen mit Nitroglyzerin. Wenn man den Berichten glauben darf, brachte Nobel den Sprengstoff, den er in seiner Fabrik bei Hamburg produzierte, in Flaschen in der Postkutsche nach Clausthal, das damals noch nicht einmal an das Eisenbahnnetz angeschlossen war. Wie schrecklich schief diese Transporte auf rumpeligen Straßen hätten gehen können, zeigen die tödlichen Unfälle an Nobels Teststätten; 1864 kostete eine unkontrollierte Explosion auch seinen Bruder Emil das Leben. In der Folge verbannten die schwedischen Behörden Nobels Labor aus Stockholm und erlaubten ihm Experimente mit Nitroglyzerin nur noch in unbebauten Gebieten. Die Probesprengungen im Oberharz waren eine wichtige Etappe in der Entwicklung des Dynamits, und Hermann Koch und Alfred Nobel blieben noch lange nach ihrer Zusammenarbeit in Kontakt. Wenige Jahre später half Nobel Robert Kochs jüngerem