Erstüberquerung meisterte, sind dafür während der Stoßzeiten besonders berüchtigt. Wenn Sie sich in den Gebäuden rund herum in eines der Cafés ein paar Stockwerke höher setzen, können Sie diese legendäre Kreuzung von höherer Warte aus beobachten und werden unter anderem feststellen: Der Rechtsverkehr wird auf Vietnams Straßen zuweilen höchst flexibel interpretiert. Und Kreisverkehr-Mittelinseln werden in beide Richtungen umfahren.
Im Touristenviertel von Ho-Chi-Minh-Stadt werden in den Shops T-Shirts verkauft, auf denen die Regeln beim Überqueren der Straße aufgedruckt sind: »keinen Augenkontakt, kein Stoppen, keine unberechenbaren Bewegungen, kein Warten, kein Nudelsuppe-Essen, keine Panik, kein Händchenhalten, kein Hinterfragen, kein Zurück«. Ein Journalist der New York Times berichtete von einem Merkblatt, das in einem Hanoier Hotel an Touristen ausgehändigt wird und ihnen rät: »Seien Sie entspannt und selbstbewusst.« Und »gehen Sie bewusst langsam«. Die Boulevardzeitung Toronto Sun verglich das Überqueren der Straße in Vietnam treffend mit dem alten Videospiel Frogger, in dem man einen Frosch über eine fünfspurige Straße führen muss.
Als Einstieg in die Kunst des Straße-Überquerens eignet sich der Windschatten-Trick, der auch Florian aus der Bredouille half: Heften Sie sich einfach dem nächstbesten erfahrenen Städter an die Fersen.
Und falls Sie sich dann doch noch nicht trauen: In den Großstädten ist es meist auch möglich, bis zur nächsten Ampel zu laufen. Hier sei allerdings zur Vorsicht gemahnt: Halten Sie beim Überqueren immer nach Fahrern Ausschau, die die Sache mit den Ampeln nicht so eng sehen und bei Rot durchbrettern. Auch Rechtsabbieger kommen einem dabei häufig in die Quere. Ach ja, und manchmal funktionieren die Ampeln nicht. Es gibt auch vereinzelt Zebrastreifen ohne Ampeln. Diese sind rein dekorativ und werden komplett ignoriert. Und noch ein Tipp: Schauen Sie generell vor dem Überqueren jeweils nach beiden Seiten. Auch bei Einbahnstraßen.
Sie werden auch feststellen, dass Gehsteige nur beschränkt als eigentliche Fußgängerzonen gelten: Zwischen all den Menschen, die dort kochen, Dinge verkaufen, Babys füttern, Häuser bauen, Suppe essen, Stempel schnitzen, Bambuspfeife rauchen, auf winzigen Plastikhockern sitzend Grüntee trinken und ihre Fahrzeuge parken, ist oft kaum ein Durchkommen. Der Gang durch die Stadt ist kein Spaziergang, sondern ein Zickzack- und Hürdenlauf, der den Status einer Olympiadisziplin verdient hätte.
Selbst Motorrollerfahrer machen hier den Fußgängern den Platz streitig: Bei Staus rinnt der Verkehr oft einer geplatzten Ader gleich über die Gehsteige. Kein vietnamesischer Fußgänger würde sich übrigens über hupende und drängelnde Motorroller auf dem Gehsteig beschweren.
Da für sie auf dem Gehsteig offensichtlich kein Platz mehr ist, weichen einheimische Fußgänger mit stoischer Ruhe auf die Straße aus. Ausländer hingegen kämpfen anfangs bisweilen mit dem Gefühl, etwas Unerlaubtes zu tun und möglichst schnell wieder von der Straße verschwinden zu müssen.
Sie werden jedoch, einmal abgesehen von den Touristen und den Straßenverkäufern, gar nicht viele Menschen antreffen, die zu Fuß unterwegs sind. Die Mehrheit der Vietnamesen bewegt sich auch für kleinste Strecken per Motorroller von A nach B, und den vielen Motorradtaxifahrern, die Ihnen auf Schritt und Tritt eine Fahrt auf dem Rücksitz anbieten, ist es meist völlig unverständlich, weshalb Sie sich auf Teufel komm raus zu Fuß durch die Straßen quälen wollen.
DER TOD AUF DER STRASSE
Laut Statistik verliert annähernd jede Stunde ein Mensch sein Leben bei einem Verkehrsunfall in Vietnam; darunter vereinzelt auch junge ausländische Besucher, die während eines Motorradausfluges als Selbstfahrer tödlich verunglücken. Vietnam kam im Jahr 2018 mit 26 Verkehrstoten pro 100.000 Einwohner auf den traurigen zweiten Rang der Statistik in Südostasien, hinter Thailand. Die Weltgesundheitsorganisation berichtet, dass Verkehrsunfälle in Vietnam die häufigste Todesursache für Menschen zwischen 15 und 29 Jahren darstellen. 91 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle weltweit geschehen laut Weltgesundheitsorganisation in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, obwohl diese nur über rund die Hälfte der Fahrzeuge verfügen.
Das Auswärtige Amt rät in seinen allgemeinen Reiseinformationen für Vietnam zu größtmöglicher Vorsicht im Straßenverkehr und warnt nachdrücklich davor, während des Urlaubsaufenthaltes angemietete Pkw oder Mopeds eigenhändig in dem ungewohnten Verkehr zu steuern. Vietnamesische Zeitungen haben berichtet, dass laut Fachleuten bis zu 80 Prozent der Helme in Vietnam im Ernstfall gar nicht vor Kopfverletzungen schützen würden. Insbesondere Leuten, die längere Zeit in Vietnam verbringen, empfehlen wir, etwas mehr Geld in einen teureren, stabilen Vollhelm zu investieren.
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GELD VERBRENNEN AM STRASSENRAND
ÜBER RELIGION, GLÜCKSBRINGER UND WAHRSAGEREI
Vor Staunen hätte Nina beinahe einen Lastwagen gerammt. Als sie mit dem Motorroller zur Arbeit fährt, sieht sie, wie eine junge Frau am Straßenrand kauert und bündelweise Geldnoten ins Feuer wirft.
Eigentlich wollte Nina ihre Kollegin fragen, was es damit auf sich hat. Aber im Büro sind gleich wieder so viele Dinge zu tun, dass Nina die Sache beim Eintreten bereits vergessen hat. »Sag mal, Phương, kommst du am Dienstag auch zu diesem Workshop über kapazitätsbildende Fördermaßnahmen auf der Gemeinde-, Dorf- und Provinzebene?«, fragt Nina mit Blick auf ihren Smartphone-Terminkalender.
»Dienstag? Ich muss schauen, ob das ein guter Tag für mich ist«, sagt Phương und klickt sich durch eine Website.
»Hast du dann schon andere Termine?«
»Nein«, sagt Phương. Dann sagt sie: »Am Dienstag kann man ganz viele Dinge tun. Auch zum Arzt gehen zum Beispiel. Am Tag darauf sollte man jedoch nicht weit verreisen.«
»Redest du vom Wetterbericht?«, fragt Nina. »Und was hat das mit dem Arzt zu tun?« Manchmal wird sie aus Phương nicht ganz schlau.
»Kein Wetterbericht«, antwortet Phương. Sie hat gerade in einem Mondkalender-Horoskop nachgeschaut.
»Und was sagt dein Horoskop? Ist Dienstag nun ein guter Tag für kapazitätsbildende Wasauchimmer?«
»Fördermaßnahmen. Ja, ein guter Tag«, sagt Phương.
»Heißt das, du würdest ernsthaft nicht hingehen, wenn es kein guter Tag wäre?«
Phương lächelt in den Bildschirm hinein. »Ach, ich mach das nur so aus Spaß.«
»Was denn nun?«, fragt Nina.
»Nun ja«, sagt Phương, »wenn ich etwas wirklich Großes vorhätte, etwa eine Reise in den Süden, würde ich sie verschieben, wenn dafür kein guter Tag wäre.«
Nina grinst. »Kann es sein, dass du ein bisschen abergläubisch bist?«, fragt sie Phương. Und dann fällt ihr ihre seltsame Beobachtung von der Hinfahrt wieder ein. »Phương, sag mal, verbrennst du eigentlich auch dein Geld?«
Warum in Vietnam auch iPads in Flammen aufgehen
An bestimmten Tagen, meist am 1. und 15. Tag nach dem Mondkalender, sieht man in Vietnam viele Leute auf der Straße Geld verbrennen. Auch Mobiltelefone, iPads und ganze Tankstellen gehen zuweilen in Flammen auf. Es handelt sich um Opfergaben für die Ahnen, verstorbene Familienmitglieder. Solche Gaben werden in Privathäusern und Geschäften auch auf kleine Altäre gelegt. Nun kann es sich natürlich kaum jemand leisten, bündelweise echtes Geld ins Feuer zu werfen. Es sind unechte Noten, Geld für das Jenseits, das es in den Städten überall zu kaufen gibt. Auch bei den iPads und anderen Wohlstands- und Luxusgütern, die verbrannt werden, handelt es sich um Attrappen aus Papier, die in speziellen Läden zu kaufen sind.
Ein Freund in Hanoi erzählte uns, dass das Jenseits, die Welt, in der die Verstorbenen sich