Für viele vietnamesische Händler aber gibt es keinen »wahren« Preis. Es gibt eine Preisspanne, mit der sie leben können und die einen Gewinn für sie bedeutet. Und dann gibt es noch Glückspreise, die besonders hoch sind, weil der Kunde sich offenbar nicht auskennt oder besonders wohlhabend und spendabel ist. Ausländer zum Beispiel.
»Halbiere als Verhandlungsbasis den Preis, den dir der Verkäufer vorschlägt«, ist im Alltag eigentlich eine passable Faustregel. Das Problem an der Sache ist aber, dass Verhandeln sich nicht so recht in Regeln pressen lässt. Denn Händler sind natürlich auch nicht dumm – wenn sie wissen, dass alle Ausländer bei der Hälfte des Preises anfangen, dann setzen sie den Einstiegspreis eben gleich etwas höher. Der beste Tipp lautet: Versuchen Sie, vorher herauszufinden, was der Gegenstand ungefähr wert ist. Das ist natürlich nicht immer ganz einfach. Vor allem Lebensmittel, Kleidung und vielerlei Arten von Souvenirs sind in Vietnam oft deutlich günstiger, als es in Deutschland der Fall wäre. Wer sich beim Einkauf an den Preisen in Berlin oder Frankfurt orientiert, zahlt am Ende vermutlich zu viel. Florians Rucksack ist möglicherweise ein günstig in Vietnam hergestelltes echtes Markenprodukt – ebenso wahrscheinlich aber ist es eine Billigkopie mit gefälschtem Markenlogo.
Handeln ist eine Abwägung zwischen Zeit und Geld. Wer gerade wenig Zeit hat, zahlt am Ende sicherlich etwas drauf. Wer aber das Gefühl bekommt, trotz aufwändigen Feilschens am Ende immer unzufrieden zu sein, sollte vielleicht von vorneherein lieber den gelassenen Weg einschlagen: nur überhöhte Preise konsequent abschmettern, den Rest mit minimalem Aufwand etwas herunterhandeln und sich nicht davon verrückt machen lassen, dass »andere« vielleicht noch weniger zahlen. Nina hat da eine deutlich gelassenere Haltung als Florian.
Daraus ergibt sich auch: Verhandeln sollte man generell mit einem Lächeln auf den Lippen. Wer handelt schon gerne mit verkrampften, erzürnten, wetternden Ausländern? Es fängt bereits bei der Körpersprache an. Viele Ausländer fühlen sich unwohl, wenn sie Verhandlungen beginnen. Sie fürchten von der ersten Sekunde an, ausgenommen zu werden, so wie Florian.
Viele Verkäufer schämen sich auch überhaupt nicht, gegenüber Touristen mal das Fünffache oder das Zehnfache zu verlangen – versuchen kann man es ja mal. Wer das dann zahlt, hat offenbar das Geld. Der »unverschämte Preis« ist deswegen in den Augen des Straßenhändlers oder des Cyclofahrers kein Betrugsversuch und eben auch keine Unverschämtheit. Er versteht nicht, warum der Ausländer anschließend sauer ist. Wenn der Kunde zahlt, war es ihm die Sache ja offenbar wert. Wir empfehlen, Preise immer vorher zu verhandeln, und nicht im Nachhinein, um schwierige Situationen zu vermeiden.
Aus all diesen Gründen sollte übrigens auch immer in Dong verhandelt werden und nicht in Fremdwährungen. Wer Fremdwährungen besitzt, ist ganz offenkundig reich. Es hilft auch, ein paar Brocken Vietnamesisch zu beherrschen, zumindest die Zahlen von eins bis zehn, oder ein paar einfache Verhandlungsbegriffe wie »Zu teuer!«. Ausländer, die Vietnamesisch können, machen schon mal deutlich, dass sie vermutlich ein klein wenig Ahnung vom Land und seinen Preisen haben.
OJE, SO TEUER! EIN PAAR SPRÜCHE BEIM HANDELN
Viele Vietnamesen finden es grundsätzlich sympathisch, wenn Ausländer überraschend mit Vietnamesisch daherkommen. Und sei es nur, dass dies die Händler zum Lachen bringt – das lockert die Stimmung.
Đắt quá! | Zu teuer! (gesprochen: Datt quaaa!) |
Đắt ơi là đắt! | Oje, so teuer! (gesprochen: Datt oi la datt!) |
Ối giời ơi! | Um Gottes willen! (gesprochen: Oi ssoi oooooi!), auch: Trời ơi! (Tschoi ooooi). |
Hết tiền rồi! | Ich habe kein Geld mehr! (gesprochen: Hät tien ssooooi!) |
Außerdem spielen Ort und Umfeld eine große Rolle: Wenn es darum geht, an einem Touristenort handgefertigte Souvenirs zu kaufen, darf man gerne voll auf Verhandlungskonfrontation gehen. Die alte Obstfrau am Marktstand in Hanoi aber bietet möglicherweise von Anfang an einen durchaus fairen Preis an und wird eher beleidigt sein, wenn man plötzlich nur die Hälfte davon zahlen will. Generell gilt es, einen Weg zu finden vom »Ach, das ist ja nicht viel Geld!« (und übers Ohr gehauen zu werden) zum »Ach, das ist ja nicht viel Geld!« (und zu beschließen, nicht um 50 Cent zu feilschen).
Feilschen bedeutet übrigens auch nicht immer, dass beide Verhandlungspartner kontinuierlich die Preise ändern, bis sie sich in der Mitte treffen, so wie das Florian gemacht hat. Ganz allgemein empfiehlt es sich, von seinen Geboten nicht allzu schnell abzurücken. Wer nicht zu schnell nachgibt, unterstreicht, dass er sich offensichtlich Gedanken gemacht hat und nicht einfach versucht, den Preis zu erraten. Einige Vietnamesen erreichen ganz wunderbare Ergebnisse, indem sie auf ihrem Eingangsangebot beharren, also eben nicht verhandeln.
Oft hilft auch ein bisschen Schauspieltalent. Sie haben eine ganz tolle Tasche im Auge? Lassen Sie sich bloß nicht anmerken, dass Sie diese unbedingt haben wollen! Setzen Sie stattdessen Ihr bestes »Ich weiß nicht so recht«-Gesicht auf.
Wenn das auch nichts hilft und der Preis immer noch zu hoch ist – pokern Sie hoch! Tun Sie so, als wollten Sie den Laden verlassen. Jetzt geht es um alles oder nichts: Gibt der Verkäufer nach, ruft Sie in letzter Sekunde zurück und geht mit dem Preis herunter? Oder lässt er Sie davonziehen? Das ist dann natürlich Pech. Aber vielleicht finden Sie genau dieselbe Tasche auch im nächsten Laden, und das Spiel geht von vorne los.
Wer gar nicht handeln möchte: Es gibt in Vietnam immer mehr Supermärkte und Läden mit angeschriebenen Preisen. Die meisten Dinge des täglichen Bedarfs lassen sich mittlerweile (ohne zu handeln) an solchen Orten beschaffen. Die kurze Umfrage im Bekanntenkreis ergab übrigens auch: Vietnamesen, die regelmäßig auf den Markt gehen, haben dort »ihre« Verkäuferinnen, die sie kennen und mit denen sie allenfalls gelegentlich ein bisschen handeln. Handeln ist keine in Stein gemeißelte Pflicht in Vietnam.
HANDELN UND GELD – FRAUENSACHE?
Historisch gesehen waren die Händler in Vietnam tatsächlich traditionell Frauen, weil diese für den Verkauf der Ernte zuständig waren. Ein wenig davon hat sich bis in die heutigen Tage erhalten. Zum Beispiel geht in Vietnam das geflügelte Wort um, dass die Frau die Hand auf der Haushaltskasse hat. Wenn der Mann Geld haben möchte, muss er seine Frau darum bitten. Die Realität ist zweifellos etwas differenzierter, aber dass die Frauen zumindest den besseren Überblick über die Haushaltskasse haben, hört man auffällig oft. Ähnlich häufig fällt der Satz, dass die Frauen vor allem deswegen das Geld hüten, weil die Männer es sowieso nur verspielen und vertrinken würden. Davon leitet sich übrigens auch der Begriff der »schwarzen Kasse« ab. Damit bezeichnen die Vietnamesen nicht etwa illegale Parteispendengelder, sondern das Geld, das der Mann seiner Frau verschweigt. Meistens, um es für Dinge auszugeben, mit denen sie nicht einverstanden wäre: Alkohol, Glücksspiel – oder auch die Liebhaberin.
5
IST DA DER WURM DRIN?
ESSEN AUF DER STRASSE
Sie sind hellblau, gelb oder dunkelrot – und sehen ein bisschen aus wie Kindergartenmöbel: Vietnams winzige Plastikstühle, die überall das Straßenbild beherrschen. Florian lässt sich auf einem solchen Stuhl nieder. Er setzt sich leicht schräg hin, da seine Beine nicht unter den kleinen Plastiktisch passen, und schaut sich um. Die Straßenfront wird fast komplett eingenommen von einer steinernen Feuerstelle, auf der ein gusseiserner Kessel Suppe kocht. Zwei junge Frauen und ein Teenager schneiden Kräuter klein und befüllen routiniert Suppenschalen mit weißen Nudeln, Brühe und Fleisch.
Nina hat ihm beschrieben, wo man gute phở bekommt, die berühmte vietnamesische Nudelsuppe. Nach einer eher ernüchternden Erfahrung in einem überteuerten Touristenrestaurant in Hanois Altstadt wagt sich Florian heute erstmals in eine Suppenküche.
Eine Frau wischt einmal schnell mit einem feuchten Lappen über den Plastiktisch und befördert