Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz


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sie ganz genau wussten, dass Jazz, der als elitär galt, ohnehin nur eine kleine Minderheit sozialer Aufsteiger und einige Jugendliche aus gehobenem Elternhaus (potenzielle künftige Führungspersönlichkeiten) ansprach. Im Oktober 1935 wurde Jazz im Rundfunk, wo er häufig in gewöhnliche Tanzmusik eingebettet war, verboten; schwieriger war es, dergleichen in der Öffentlichkeit durchzusetzen, obwohl Jazzmusiker im Umfeld vonBerliner Edelclubs bereits belästigt worden waren. Die Goldene Sieben war bereits von der Bildfläche verschwunden; nun sollten Bigbands (eigentlich Tanzorchester) wie jene von Barnabas von Géczy oder Oskar Joost ihre Musik von Jazzspezifika wie verminderten Blue Notes und stark synkopierten Rhythmen säubern und auf einfachere, altmodische melodische und rhythmische Strukturen zurückgreifen. Zudem wurde im März 1936 ein deutschlandweiter Senderwettbewerb zur Ermittlung der für das Reich idealen deutschen Jazzband organisiert. Damals galt selbst das von Fritz Weber geleitete Orchester, die erste Wahl von Radio Hamburg, den Sachbearbeitern im Propagandaministerium noch als zu jazzig, weshalb Radio Frankfurts Kandidat, eine vom völlig unbekannten Willi Burkart geleitete Tanzkapelle, zum Sieger erklärt wurde. Während der populäre Weber überall in Deutschland vor vollen Häusern spielte, wurden Burkart und seine Musiker von Jazzliebhabern durchweg abgelehnt, sodass das Propagandaministerium seine Schlappe eingestehen musste.228 Ein zweiter, 1937 gestarteter Versuch, Oskar Joosts entjazztes Orchester zur Musterkapelle zu erklären, schlug fehl, weil der den Nationalsozialisten ergebene Leiter zu selbstgefällig war und Goebbels’ Ministerialverwaltung die Sache verpfuschte.229

      Schließlich entwickelte Wilhelm Hartseil vom Sender Leipzig, ein fanatischer SA-Mann, einen Plan, die Jazzmusik durch den Gesellschaftstanz zurückzudrängen. Es sollten, begleitet von geeigneten Orchestern und mit Unterstützung professioneller Tanzlehrer, neu komponierte Tanzstücke öffentlich aufgeführt und zugleich der aus den USA importierte Lindy Hop oder Swing durch deutsche Neuschöpfungen ersetzt werden. Die Sendereihe lief von Januar bis Herbst 1938, wurde aber nur in Sachsen wirklich bekannt. Verschiedene Orchester wurden vom Sender eingeladen und Hörer aufgefordert, ihre Kommentare zu der selbst nach bescheidenen Maßstäben äußerst banalen Musik abzugeben. Für Hartseil zählten vor allem die Briefe, die ihm bestätigten, dass »jüdischer« und »Nigger«-Jazz schrecklich seien und dass man nun auf echte deutsche Alternativen, auf neue Lieder und Tänze wie etwa den »Eisenbahntanz« zurückgreifen könnte. Hartseil präsentierte die Zuschriften nach eigenem Gutdünken seinen Vorgesetzten, die ihm jedoch eine Abfuhr erteilten.230 Danach gab es in den Monaten vor dem Krieg noch einige Wiederbelebungsversuche durch SA- und HJ-Musiker, jedoch ebenfalls ohne Erfolg.231 Den Nationalsozialisten war es trotz aller Bemühungen letztlich nicht gelungen, einen deutschen Ersatz für den Jazz zu finden, der nun in den Untergrund ging, wo er die Niederlage von 1945 überlebte.

      Willi Stech, der erste Pianist der Goldenen Sieben, war als einziges Bandmitglied offenkundig Nationalsozialist. Seine Spielweise beeinflusste das nicht: Nach allem, was man weiß, spielte er genauso jazzig wie andere Studiomusiker. Das bestätigt frühere Erkenntnisse, denen zufolge die politische Überzeugung eines Musikers im Dritten Reich keinen Einfluss auf seine Darbietungen hatte. Auch ein Anhänger des NS-Regimes machte nicht notwendigerweise »Nazimusik«, ein Begriff, der, wie wir bereits sahen, fast unmöglich definiert werden kann. Dennoch stellt sich die Frage, welchen anderweitigen Einfluss die Parteizugehörigkeit eines Musikers auf seine künstlerischen Darbietungen haben mochte. Ist es denkbar, dass nicht sein Können, sondern seine politische Überzeugung den Ausschlag für ein Engagement gab? Oder gab es Nationalsozialisten in der Musikszene, die hochqualifiziert waren und auch in jedem anderen politischen System Hervorragendes geleistet hätten?

      In dieser Hinsicht gab es im Dritten Reich mehr als nur ein Szenario; eindeutige Profile lassen sich bei Musikerbiographien nicht zeichnen. Eine nach dem Zufallsprinzip zusammengestellte Gruppe von Musikern, die unter jedem Regime erfolgreich gewesen wären, umfasst Günther Ramin, Li Stadelmann, Tiana Lemnitz, Maria Ivogün, Michael Raucheisen und Elisabeth Schwarzkopf. Da sie bereits in der Weimarer Republik Karriere gemacht hatten, brauchten sie den Nationalsozialismus nicht für ihren Erfolg. Das gilt jedenfalls für den Kirchenorganisten Günther Ramin (geb. 1898), der bereits im Alter von 20 Jahren an der berühmten Leipziger Thomaskirche spielte und mit 23 Professor war. Vielleicht verleitete ihn sein Ehrgeiz dazu, sich NS-Politikern anzudienen; jedenfalls arbeitete er schon früh mit Rosenbergs NSKG zusammen und spielte im April 1935 auf Görings Hochzeit (mit der Schauspielerin Emmy Sonnemann), ebenso auf dem Reichsparteitag 1936. Auf einer Tour durch die USA 1933 machte er sich über die Klagen jüdischer Emigranten lustig.232

      Die zwei Jahre jüngere Cembalistin Li Stadelmann war bereits gegen Ende der Weimarer Republik eine erfolgreiche Kammermusikerin, allerdings besessen von Angst vor der Konkurrenz durch begabte Juden. Immerhin vertraute sie darauf, dass mit Hitler »nun unsere deutschen Meister deutsche Ausdeuter finden werden«. Sie hegte ganz sicher nationalsozialistische Überzeugungen, weil sie zur Vorhut jener gehörte, die – für die NS-Musikszene typisch – Bach zur Kultfigur erhoben und seine Musik wiederbeleben wollten.233 Ähnlich verlief die Karriere der Sopranistin Tiana Lemnitz (geb. 1897), die nach Engagements in Aachen, Hannover und Dresden 1934 zum Ensemble der Berliner Staatsoper gehörte und für ihre brillante Partie der Eva in Wagners Die Meistersinger von Nürnberg berühmt wurde. Hitler hörte sie häufig und war begeistert; 1937 ernannte er die Parteigenossin zur Kammersängerin.234 Lemnitz’ Kollegin Maria Ivogün war schon mit Anfang zwanzig, kurz vor dem Ersten Weltkrieg, von Bruno Walter entdeckt worden. Richard Strauss schätzte sie sehr, und sie machte als Zerbinetta in seiner Oper Ariadne auf Naxos 1924 in Covent Garden Furore. Auch Hitler hatte sie noch vor der Machtergreifung hoch gelobt; damals war sie gerade aus dem Opern- ins Liederfach übergewechselt. Begleitet wurde sie von ihrem Ehemann, Michael Raucheisen, einem eingefleischten Nationalsozialisten. Das Multitalent Raucheisen – neben dem Klavier beherrschte er Flöte und Geige – war in den zwanziger Jahren mit dem (»halbjüdischen«) Geiger Fritz Kreisler international auf Tour gewesen – 1945 sollte nur der englische Pianist und Liedbegleiter Gerald Moore ihm ebenbürtig sein. Im Dritten Reich waren Ivogün und Raucheisen gern gesehene Partygäste bei Hitler und insbesondere Goebbels.235 Ivogüns Starschülerin wiederum war Elisabeth Schwarzkopf (geb. 1915), die 1992 zur Dame of the British Empire erhoben wurde und 2006 in Österreich starb. Ihre Karriere verlief steil nach oben. Bereits mit Anfang zwanzig trat sie am Deutschen Opernhaus in Berlin auf, war aber auch leitend in der NS-Studentenschaft tätig. Ihre Laufbahn führte sie nach Wien, wo sie unter Karl Böhm reüssierte und Zugang zu höchsten NS-Kreisen erhielt. Sie wurde schließlich die Geliebte des SS-Obergruppenführers Hugo Jury, seines Zeichens Gauleiter von Niederdonau und Kulturliebhaber, und stand bei Kriegsende an der Schwelle zu einer noch bedeutenderen Karriere als internationaler Opernstar.236 Aus dem Rückblick lässt sich sagen, dass Schwarzkopf diese Höhen auch ohne die Nazis erklommen hätte. Nazi oder nicht: Das musikalische Können jedes Einzelnen der hier Genannten sprach für sich.

      Es gab allerdings Musiker, deren Kunst litt, weil sie sich mit der Ideologie oder Politik der Nationalsozialisten einließen. So ging es dem Geiger Gustav Havemann. Er hätte besser daran getan, sich völlig auf seine Karriere zu konzentrieren, wie er es in der Weimarer Republik als Professor und Primarius eines renommierten Streichquartetts getan hatte. Aber 1932 setzte er auf die Nationalsozialisten, wurde Funktionär des KfdK und übernahm dessen Sinfonieorchester, das aus arbeitslosen Musikern bestand. In Goebbels’ Reichsmusikkammer in leitender Position tätig, vernachlässigte er sein Geigenspiel, um stattdessen als mittelmäßiger, aber gut bezahlter Dirigent aufzutreten. Aber der Liebhaber von Frauen und Alkohol stolperte 1935 über die Hindemith-Affäre. Er stand auf der Seite des Komponisten – an sich ein Zeichen von Integrität – und verlor mit 53 Jahren seinen Posten in der RMK. Er nahm zwar seine Tätigkeit als Geiger wieder auf, war aber nur noch ein Schatten seiner selbst.237 Auch der vier Jahre jüngere Robert Heger verriet seine Muse, zwar nicht als Dirigent (da war er passabel), aber als Komponist mit seiner Oper Der verlorene Sohn, die 1936 in Dresden Premiere hatte. Alle seine Opern (fünf insgesamt) waren im Geist der spätromantischen Tradition komponiert, schreibt Erik Levi, »ohne künstlerische Originalität zu erreichen«. Was ihn jedoch als Musiker kompromittierte, war die erwähnte Oper, mit der er Flüchtlingen aus ehemals deutschen Gebieten ein Denkmal errichten wollte – seine eigene Familie war aus Straßburg von den Franzosen vertrieben worden, viele seiner Zeitgenossen mussten das nun zu Polen gehörende Westpreußen verlassen.238

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